Körper sein im Hier und Jetzt
KÜNSTLER*INNENSTIMME | Zusammenspiel von Kunst und Leben: Der Tanzort Ponderosa feiert sein 20. Jubiläum.
Internationales Tanzzentrum, ein Ort für Austausch und Entwicklung, Kunstraum, Gemeinschaft: Das alles und noch viel mehr ist Ponderosa e.V. Der Verein, ansässig auf dem genossenschaftlich verwalteten Gelände des Gutes Stolzenhagen in Brandenburg, blickt auf mittlerweile zwanzig Jahre Experimente mit den performativen Aspekten neuerer Tanzentwicklung zurück – „und von da aus in die Zukunft“, wie das (Autor*innen-)Kollektiv aus Stolzenhagen gen Berlin funkt. Was treibt Ponderosa, zweite Heimat für etliche Tanzkreative aus Berlin und Umland, im zwanzigsten Jahr seines Bestehens um?
Ponderosa e.V.
Vom Stall- zum Schwingboden: Die Verwandlung von Ponderosa in den zwanzig Jahren seines Bestehens zeigt sich auch an den wechselnden Namen der Studios. Aus ersten Tanzprojekten auf löchrigem Stallboden im Sommer wurde zuerst das Studio Milkgarden und dann das Lightcastle mit Fußbodenheizung und Schwing-Holzboden zur ganzjährigen Nutzung. Dort hängt auch ein Foto vom künstlerischen Team des Black Mountain College von 1946, einem der historischen Referenzpunkte im Zusammenspiel von Kunst und Leben, auf den sich das internationale Tanzzentrum bezieht.
Auf der Suche nach dem Rhythmus des Lebens
Gemeinsam mit ihrem Mann Uli Kaiser gründete Stephanie Maher Ponderosa im idyllischen Unteren Odertal. Fasziniert von den noch ungenutzten (Frei-)Räumen erschufen sie auf einem abgelegenen LPG-Gelände in Brandenburg ihre ganz eigene Utopie. „Diese Chance, hier aus dem Nichts in den Ruinen von diesem Gut einen Tanzboden zu bauen, war absolut einmalig”, blickt Maher zurück. Im kirchenähnlichen Kuhstallstudio im ersten Stock erzählen die massiven Raum- und Deckenbalken viele Geschichten. Dort haben sich internationale Künstler*innen der Tanz-Improvisation, Choreografie und Somatics in Seminaren, Workshops und Festivals ausgetauscht.
Die Reihe von Studierenden, die hier zu innovativen Kunstschaffenden ausgebildet wurden, ist lang, divers und schon fast eine eigene Szene. Dabei ging es oft hoch her mit nächtelangen Contact Improvisations und Raves, Konzerten, Filmabenden und Projektvorstellungen, Sonnenaufgangsmeditationen und Spaziergängen am Oderkanal, Tee- und Feuerritualen. Diese Mischung aus gemeinschaftlichem (Alltags-)Leben, Kunst und dem permanenten Austausch war für Ponderosa schon immer Programm.
Alternatives Leben abseits des urbanen Raums
Ponderosa sieht sich als ein Ort der vielen Möglichkeiten. In der Gemeinschaft wird nicht nur in den Studios, sondern auch auf dem Gut, in den Gärten, den Küchen und der Umgebung miteinander gearbeitet, in einem permanenten, lebendigen Dialog: Über Tanz und Choreografie, über Körper und ihre Heilung, aber eben auch über Genderfragen, politische Themen oder queere Lebensformen. Also über alles, was der Tag an physischem und psychischem Erleben gebracht hat. „Wir verhandeln immer wieder neu, wie wir zusammenkommen. Alle sind eingeladen, das mitzubringen, was sie haben und geben wollen. Genau das macht die Schönheit und Lebendigkeit unserer Gemeinschaft aus“, reflektiert Stephanie Maher über die bewegte, wilde Reise Ponderosas.
Das Kollektiv um Peter Pleyer, Maria F. Scaroni, Kathleen Hermesdorf, Joy Mariama Smith, Yoav Admoni und Shelley Etkin versteht das künstlerische Schaffen in einem größeren Kontext. Das Kreative muss in Form und Inhalt aus der Gemeinschaft herauswachsen. Dafür gibt es nicht nur den einen Weg. So wurde gemeinsam ein Raum geschaffen, der für Spontanität, Experimente, Forschung und Leben steht.
Coronakrise als Chance für erprobte Alternativen
Mit Ausbruch von Corona war schnell klar, dass das geplante Jahresprogramm mit seinem Schwerpunkt auf körperlichem Austausch und internationalen Gästen so nicht stattfinden kann. Hier konnte die zwanzig Jahre gelebte Improvisation weiterhelfen. Denn Ponderosa hat seit Jahren den Garten als choreografischen Raum erobert und mit Shelley Etkin oder Benoît Lachambre erforscht, nach den sexuellen Debatten der letzten Zeit sogar einen Workshop mit Michael J. Morris und Keith Hennessy veranstaltet, in dem die Interspecies-Verbindungen in der umgebenden Natur mit Bezügen zur Eco-Sexuality- Bewegung untersucht wurden: Wenn die menschlichen Körper auf Abstand gehen müssen, kommt man so vielleicht der Natur näher.
Als die Black Lives Matter-Bewegung an Fahrt und Sichtbarkeit zunahm, hatte Joy Mariama Smith schon fünf Jahre Erfahrung damit, ihre Workshop- und Aktivismusreihe COLOR BLOCK auf Ponderosa zu veranstalten: Ein Residenz- und Austauschprogramm von und für BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) am Rande der Welt in Brandenburg? Die unconference im vorigen Jahr, die mit ihrem Open-Space-Format festgefahrenen und hierarchischen Formen entkommen will, wurde Namensgeberin des diesjährigen unfestival – ehemals TanzLand Festival. Dort entwickeln Anfang September langjährige Ponderosa-Mitglieder im Austausch mit lokalen, kreativen Bewohner*innen Installationen, begehbare Archive, Spaziergänge und performative Interventionen, die auch unter pandemischen Bedingungen erlebbar sind. Und dabei den Blick auf das schärfen, was nicht nur in Krisenzeiten wichtig ist: Ein Körper zu sein im Hier und Jetzt, im Austausch mit der Welt, die uns umgibt.
www.ponderosa-dance.de