Hauptanliegen Support
Barbara Friedrich, Begründerin der Tanztage Berlin und Mit-Initiatorin etlicher Strukturprojekte für den Tanz, geht offiziell in den Ruhestand.
Martin Clausen
Performer und Regisseur
„Sie ist ein politischer Mensch und schlau. Man meint, man macht Small Talk. Das dient ihr aber dazu, Dinge durchzusetzen. Unangenehm ist das nicht, weil sie nichts Böses will. Und es ist auch süß, wenn sie denkt, man merkt es nicht.“ (Ein*e Mitarbeiter*in)
Barbara Friedrich muss einige Zeit in einer ganz anderen Welt gelebt haben. Einer anderen als der, in der sie die letzten 25 oder 30 Jahre verbracht hat. Anders lässt sich nicht wirklich erklären, wie sie sich in die Lage versetzen kann, einerseits mehr oder weniger komplett von ihren Aufgaben absorbiert und erfüllt zu sein, andererseits der immer wieder verstandes- und gesundheitsgefährdenden Absorbierung vieler Kulturschaffender etwas entgegensetzen zu können. Ihr gedankliches Innehalten und ihr tatsächliches Interesse an Menschen ermöglichen ihr immer wieder, eigene Perspektiven produktiv werden zu lassen.
Nachdem sie ihr Angestelltenleben in einem bayrischen Elektrokonzern verlassen hatte und ehrenamtlich unter anderem für den Arbeiterbund tätig war, widmete sie sich nach der Wiedervereinigung einer Neuauflage der vor Nationalismus warnenden Aktion „Anachronistischer Zug“. Dann, ganz im Sinne der Vorläuferorganisation des heutigen Jobcenters, wandelte sie nach einer „Anpassungsqualifizierung“ ihr Work to Live-Leben zum Live to Work (und sonst nicht mehr allzu viel) und wurde gefürchtete wie geschätzte, ausgesprochen beharrlich-taktische Verhandlungspartnerin, eine Szene-Hookerin, kulturpolitische Netzwerkerin, freundschaftliche Betreuer- und Beraterin – Buyer und Seller in einem.
Als Leiterin der Tanztage Berlin, ihrem Begegnungs-, Experimentier- und Präsentationsformat diversester Künstler*innen, mündete sie das Festival 2001 mutig und energetisch aus dem Pfefferberg in die Sophiensæle ein, damals geleitet von ihrem very alter ego Amelie Deuflhard. Dort haben sie bis heute erfolgreich drei weitere Kurator*innen überdauert.
Etwas mehr als ein Jahrzehnt genügte Barbara, um eine weitere Lücke im System zu erkennen, zu benennen und langsam zu schließen: Die Uferstudios als Projekt begründeten sich unter anderem in einer desaströsen Berliner Probenraumsituation, die die Choreograf*innen und ihre Tänzer*innen immer wieder in baufällige, zugige Möbellager, Gemeindesäle oder Garagen ausweichen ließ, ja, die sogar die Presse zu Behauptungen verführte, ortsspezifische Projekte entstünden aus einem Mangel an Proberäumen. Das Netzwerk TanzRaumBerlin, 2004 zunächst als Konsortium zur Raumfindung und Interessenbündelung gegründet, wurde mit Barbara ganz von pragmatischen Grundsätzlichkeiten geleitet und hat sich, wie die meisten der von Barbara angestoßenen Projekte, erfolgreich verstetigt.
„Ihre Neugier-Denke ist immer stark darauf gerichtet, was noch fehlen könnte.“ (Simone Willeit)
Entstanden ist im Wedding ein mannigfaltiger Ort, getragen von mehreren Institutionen wie der Tanzfabrik Berlin oder dem ada Studio, von Gruppen und Einzelpersonen, die das ehemalige Trambahndepot bevölkert, besucht, wimmelnd und begrünt haben. Lebendig bleiben die Uferstudios auch durch das HZT – Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin, das unterhalten wird von einer Kooperation zweier Hochschulen, der Universität der Künste Berlin (UdK) und der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ (HfS), und dem Netzwerk TanzRaumBerlin.
In den Uferstudios gelang Barbara 2012 auch ihr Lebens-Coup, auf den hoffentlich im Jahr 2208 junge Tanzschaffende anstoßen werden: der Erbpachtvertrag mit den Eigentümern und die Umwandlung des Miet- in einen Erbpachtvertrag. 196 Jahre lang ist das Gelände für den Tanz gesichert.
Und nun? Als Expertin von Geheimtipps für die Brandenburger Seenlandschaft durchquert sie demnächst bei angemessenen Temperaturen hoffentlich öfter als zuvor stille oder langsam dahinfließende Gewässer und versucht, ihren von nicht endenden Schreibtisch-Stunden, Sitzungen, klingelnden Telefonen und explodierenden Zahlen strapazierten Organismus zu kühlen.
Ist ihr das gelungen, wird sie sich weiterhin ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen und mit einer diversen Community in Kontakt und Austausch sein, vom Praktikanten bis zum Menschen mit höherem Bekanntheitsgrad, mit Tanzbesessenen wie mit Menschen, die es wieder aus dem Beruf Tanz oder Choreografie hinausgespült hat, die ihre Zeit in der Szene dennoch in ihrer Biografie nicht missen möchten. Sie wird weiter anderen Feste bereiten. So wie keine Tanztage vergingen ohne gemeinsame Suppe, gekocht von der Chefin höchstpersönlich. Ein politischer Akt der flachhierarchischen Vergemeinschaftung, Ergebnis ihres respektvoll-suchenden Gemeinsinn-Sinns.
Der Satz “without Barbara we all wouldn’t be here”, der sicher schon in sehr vielen Sprachen und von zahlreichen Performer*innen gesagt oder gedacht wurde, trifft so zu wie nicht zu, handelt es sich beim System Barbara Friedrich doch um ein stets weit verzweigtes Netzwerk, unter das sich, ganz in ihrem Interesse, nirgendwo alleinig Barbara fecit schreiben ließe.
Da sie hier in diesem Medium – das sich im Übrigen auch ihrer Initiative verdankt – nun gar nicht zu Wort gekommen ist, wäre eine neue Rubrik einzuführen, die etwa “Auf eine Weißweinschorle und ein Zigarettchen mit Barbara Friedrich“ hieße und uns ihren Gedanken weiter nah sein ließe.
Mitarbeit: Bernhilde Bonath, Conny Breitkreutz, Sheena McGrandles, Veronika Münder, Maik Richter, Benjamin Schälike, Franziska Schrage, Simone Willeit.