Ausgabe Mai-Juni 2022

Pausiert Euch!

Ein Gespräch übers Innehalten und Andersstarten mit Barbara Greiner, Jacopo Lanteri und Felicitas Zeeden, dem neuen Leitungstrio der Tanzfabrik Berlin Bühne.

Das Dreierteam für die Leitung der Tanzfabrik Berlin Bühne (v.l.): Felicitas Zeeden, Jacopo Lanteri und Barbara Greiner.
 © Julian Weber

Schon Anfang des Jahres hat in der Bühnenabteilung der Tanzfabrik Berlin ein Leitungswechsel stattgefunden. Im Trio in die Öffentlichkeit treten Jacopo Lanteri als Künstlerischer Leiter, Felicitas Zeeden als Dramaturgin und Barbara Greiner für Verwaltung und Finanzen. Im Gespräch stellen sie konkrete Vorhaben für ihre Zusammenarbeit vor, sprechen über die neue Struktur im Team – und ihr Mai-Vorhaben, „Pause as Resistance“.

Interview: Elena Philipp

Jacopo, Du arbeitest – mit Unterbrechungen – seit 2013 an der Tanzfabrik, Felicitas seit 2018. Barbara, Du bist neu im festen Team, arbei­test aber auch schon länger mit der Tanzfabrik zusammen?

Barbara Greiner: Ich habe eine längere Beziehung zur Tanzfabrik, über die Produktion der Tanznacht­Ausgaben 2012, 2014 und 2016 und über Projekte mit deufert+plischke sowie Christina Ciupke. Das Haus ist mir recht vertraut, und das war mit ein Grund, warum ich angefragt wurde, ob ich Interesse hätte, einzusteigen. Und jetzt verantworte ich die Verwaltung, die Finanzen und die Administration.

Als Trio wollt Ihr die Strukturen der Tanzfab­rik neu gestalten. Eine Kernfrage: Wie erfolgen Abstimmungen und Entscheidungen?

Barbara Greiner: Die Organisationsstruktur der Tanzfabrik ist eher unhierarchisch und flach. Wir treffen nicht nur zu dritt Entscheidungen, sondern Vieles wird im großen Team durchgesprochen. Das gehört zur DNA der Tanzfabrik.

Jacopo Lanteri: Wir verstehen uns als Stellvertre­ter*innen für das breitere Team der Bühnenabtei­lung; und das ist nicht die einzige Leitungsfunk­tion in der Tanzfabrik. Die Schulabteilung wird wei­terhin durch Gisela Müller verantwortet. Es gibt immer auch Gesamtmeetings für die Tanzfabrik, und bestimmte Entscheidungen wollen wir alle zusammen treffen.

Barbara Greiner: Meine Funktion gab es in der Büh­nenabteilung noch nicht losgelöst, sondern immer in der Kombination von Geschäftsführung und Künstlerischer Leitung. Durch Felicitas ist jetzt auch nochmal ein anderer Schwerpunkt ins Leitungsteam gekommen – die Dramaturgie.

Was war der Anlass für den Leitungswechsel?

Jacopo Lanteri: Leitungswechsel gehören zu Ins­ titutionen dazu, sie garantieren eine dynamische Weiterentwicklung. In diesem Fall kamen bestimmte Themen auch durch das postkolonial ausgerichtete Projekt Twist auf den Tisch, das nur teilweise statt­ gefunden hat. Die letzten Projektphasen wurden abgesagt, da die Tanzfabrik aus meiner Sicht als Institution zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend vorbereitet war, um ein Projekt über Dekolonialität und Machtverhältnisse durchzuführen. Wer spricht, wer hört zu, wer ist an den Tisch eingeladen? Da muss eine Institution auch viel Selbstkritik üben. Dieser Prozess hat auch viel Positives angesto­ßen, und es ist für uns klar geworden, dass es der richtige Moment ist, die Institution an die nächste Generation abzugeben. Ludger Orlok hat die Tanz­ fabrik mit großem Erfolg 14 Jahre lang geleitet und zu einer Institution mit festen Mitarbeiter*innen transformiert. Das ist ein großes Verdienst.

Felicitas Zeeden: Dieser Prozess in den letzten anderthalb Jahren hat uns zu einer größeren Sen­sibilität für Leitungsstrukturen und -­prozesse gebracht. Wir haben lange darüber gesprochen, wie wir uns verstehen als Tanzfabrik, und kamen zu der Ansicht, dass man eine künstlerische Institution vielleicht nicht mehr als Einzelperson leiten sollte.

Barbara Greiner: Ein Aspekt war auch, dass die Tanzfabrik gewachsen ist und Dinge komplexer geworden sind, gerade der Verwaltungsapparat mit der Konzeptions­- und EU­-Förderung. Das war von einer Person in der Doppelfunktion als Künst­lerischer Leiter und Geschäftsführer nicht mehr zu bewältigen. Einen eigenen kaufmännischen Bereich zu schaffen, war daher konsequent. Wenn eine Organisation wächst, müssen die Strukturen mit­ wachsen.

Welche Vorhaben wollt Ihr in der neuen Konstel­lation realisieren?

Jacopo Lanteri: Eine Idee begleitet uns schon seit einigen Monaten und im Mai werden wir sie umset­zen: Wir lassen die Bühnenabteilung der Tanzfabrik für einen Monat pausieren. Theater und Kunstorga­nisationen sind, wie alle kapitalistischen Struktu­ren, immer in Betrieb – rund um die nächste Produk­tion, das nächste Projekt. Deshalb haben wir uns gefragt, wie wir Zeit schaffen können, um die heute notwendigen Anpassungen in unserer Struktur vor­ zunehmen. Zeit, um uns zu fragen: Wie tun wir die Dinge? Welche materiellen Bedingungen werden für unsere Aktivitäten geschaffen? Was reproduzie­ren wir? Eine Zeit, ohne den alltäglichen Betrieb zu bedienen, eine Zeit, in der etwas Neues entstehen kann, aber auch eine Zeit, in der wir auf aktuelle Krisen reagieren können.

Felicitas Zeeden: Wir verstehen diese Pause als einen subversiven Akt, um das Unwesentliche aus­zublenden und Raum für das zu schaffen, was eigentlich am Wichtigsten ist: Bedingungen zu schaffen, unter denen Künstler*innen Werke schaf­fen können, die die Weltperspektive verändern. Die Pause ist eine Möglichkeit, sich diesem Zustand der ständigen Effektivität, der ständigen Produktion zu
widersetzen und uns – und einigen eingeladenen Künstler*innen – zu erlauben, Zeit für Reflexion und Veränderungen zu schaffen. Sowohl in unserer Organisation als auch in unserem Umfeld. Ein ande­rer Inspirationspunkt ist die feministische Literatur, das doing less als Reaktion auf die neoliberale Leistungsgesellschaft. Nancy Fraser, Tithi Bhattacharya und Cinzia Arruzza mit Feminism for the 99% bei­spielsweise oder Jenny Odells How to Do Nothing: Resisting the Attention Economy.

Barbara Greiner: Zum Pausieren gibt es auch im Theater­ und Tanzbereich schon Beiträge, etwa von Agnès Quackels und Barbara van Lindt, den bei­ den künstlerischen Leiterinnen des Kaaitheater in Brüssel, in ihrem Artikel The Jello, the Nothing, the Something and the Rest(s).

Inwiefern lasst Ihr die mit der Tanzfabrik eng verbundenen Künstler*innen an Eurer kreativen Pause teilhaben?

Felicitas Zeeden: Die Möglichkeit, zu pausieren, ist natürlich ein Privileg. Dieses möchten wir mit ande­ren teilen. Deshalb werden uns während der Pause vier Residenzkünstler*innen begleiten: Florin Flue­ras, Ana Libório, Harun Morrison und Dafne Nar­vaez. Außerdem gibt es einmal in der Woche eine Session, die öffentlich ist und zu der alle Künst­ler*innen, Kolleg*innen, Akteur*innen der Szene sowie die breite Öffentlichkeit eingeladen sind. Diese Session findet immer dienstagnachmittags bei uns in den Uferstudios statt. Es wird kein Pro­gramm und kein spezifisches Vorhaben geben, es ist die Einladung, gemeinsam mit uns zu pausieren.

Wie geht es im Juni weiter?

Felicitas Zeeden: Zur Idee der Pause gehört es auch, ein Stück weit offen zu lassen, was danach kommt – zum Beispiel neue Themen oder kurato­rische Schwerpunkte, die möglicherweise während der Pause entstehen. Gleichzeitig arbeiten wir auch jetzt schon an unserem Jahresprogramm – wir bleiben natürlich ein Produktionshaus. Im Herbst wird es einige künstlerische Vorhaben geben, die an das Thema der Pause andocken oder auch Gegenentwürfe zu unserer hyper­kapi­talistischen Welt imaginieren. In den Zusammen­ arbeiten an der Tanzfabrik wollen wir generell die Kontinuität wahren, das ist uns wichtig, aber es wird zusätzlich neue Künstler*innen geben, mit denen wir bislang nicht gearbeitet haben. Akseli Aittomäki fragt in seinem Projekt „Erdlinge“ als Umweltaktivist und Künstler, wie wir einen neuen Bezug zu unserem Planeten finden können. Inky Lee beschäftigt sich in „Floating Roots“ als Auto­ rin, Performancekünstlerin und Musikerin mit Mig­rationsgeschichten aus Südkorea und Fragen von Dekolonialität.

Bedeutet das eine Abkehr der Tanzfabrik vom auf die Künstler*innen zentrierten Programm und eine Hinwendung zum Kuratieren?

Jacopo Lanteri: Die Künstler*innen müssen sich weiterhin nicht einer kuratorischen Handschrift anpassen, aber wir wollen auch bestimmte Themen in das Programm einfließen lassen. Beide Ansätze werden parallel existieren – kuratorische und künst­lerische Anliegen.

Barbara Greiner: Wir haben viel vor. Jetzt nehmen wir uns Zeit für die Imagination und treten dann in Aktion.

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