Ausgabe November/Dezember 2019

Kunst und Politik – Hand in Hand

Beim 6. Tanztreffen der Jugend standen gesellschaftlich und politisch relevante Themen im Fokus der sechs eingeladenen Produktionen.

„Check out your mate", Kindertanzcompany von Sasha Waltz & Guests © Eva Radünzel „Check out your mate", Kindertanzcompany von Sasha Waltz & Guests © Eva Radünzel

Tradition haben die vom Bundesministerium für Forschung und Bildung geförderten Wettbewerbe für junge Künstler*innen bei den Berliner Festspielen: Das Theatertreffen der Jugend wurde 1980, vor bald 40 Jahren, gegründet. Die Treffen für junge Musiker*innen und Autor*innen gibt es seit 1984 respektive 1986. Erst 2014 ist auch ein Bundeswettbewerb für die Sparte Tanz hinzugekom- men. Gesucht werden hier von einer Jury Stücke jugendlicher Tanzensembles, ob von Schulen, aus freien Kontexten oder an freie oder professionelle (Tanz-)Theater angebunden, die, wie es auf der Webseite heißt, "allein oder unter professioneller Anleitung ihre eigenen Themen finden und diese mit zeitgenössischen Bewegungssprachen in eine künstlerische Form bringen". Die ausgewähl-
ten Gewinner*innen dürfen beim einwöchigen Tanztreffen der Jugend in Berlin ihre Arbeiten zei- gen und an einem Workshop-Campus teilnehmen. Über die sechste Ausgabe des Tanztreffens der Jugend vom 20. bis 27. September 2019 berichtet Antigone Akgün, die als Redaktionsmitglied des begleitenden Blogs tief ins Geschehen eingetaucht ist.

Autorin: Antigone Akgün

Sechs Jahre existiert es nun als einer der Bundeswettbewerbe der Berliner Festspiele – das Tanztreffen der Jugend. Die in diesem Jahr eingeladenen sechs Ensembles aus Aachen, Bonn und Hamburg sowie dreimal Berlin sollten eine Bandbreite zeitgenössischer Bewegungssprachen abbilden und zugleich neuartige Perspektiven auf die Welt und die Kunst eröffnen. So das Vorhaben. Stark unterschieden sich die tänzerischen Ausdrucksstile, bis auf die Break-Dance-basierte Produktion "GOLD" der Knochenbrecher Crew aus Berlin, dabei jedoch nicht voneinander: Contact-improvisatorische sowie expressionistische Bewegungsformen zogen sich durch alle Produktionen.

Team aus Kollektiv und Individuum
Auch das Verhältnis von Kollektiv und Protagonist*innen, aus dem antiken Theater tradiert und in zeitgenössischen Inszenierungen und Tanzperformances nach wie vor ein großes Thema, wurde verhandelt – implizit, aber auch explizit, etwa in "da waren noch die anderen" des Hamburger Ensembles Tanztheater GRAZIA und "Check out your mate" der Kindertanzcompany von Sasha Waltz & Guests. Bemerkenswert dabei war der Verweis auf den Teamgedanken, der in beiden Arbeiten als Antwort auf das (Spannungs-)Verhältnis zwischen Gruppe und Einzelnen formuliert wurde. Versöhnlich zeigte sich etwa die Produktion "Check out your mate", deren insgesamt sehr junge Tänzer*innen gegen Ende des Abends nicht mehr in Battles gegeneinander antreten, sondern in ganz individuellen bildstarken Bewegungen brillieren wollten.
Themen, die die jungen Tänzer*innen zu beschäftigen scheinen, spiegelten auch die übrigen Produktionen: Sei es Digitalität ("Uncanny Valley" der Aachener Schrittmacher GENERATION2 Co-Laboration), Intimität ("#8 NAHESTEHEN/NAHEGEHEN" der Berliner ACADEMY) oder das Bewusstmachen körperlicher Präsenz ("FOKUS" der Junior Company Bonn) – jeder Inszenierung gelang es, gesellschaftlich-politisch relevante Komplexe zu verhandeln, ohne dabei an tänzerischer Expertise einzubüßen. So begeisterten die drei Mädchen der Knochenbrecher Crew in kürzester Zeit mit ihrer Break-Dance-Expertise und empowerten in "GOLD" zugleich mit ihrer Botschaft, dass Tanz in hoffnungslosen Situationen als ein Fenster der Kraft und Hoffnung fungieren kann – wenn man etwa, wie in dieser Produktion, von Abschiebung oder der Gewöhnung an eine neue Umgebung betroffen ist.
Ähnlich empowernd begriffen auch die Akteur*innen von "#8 NAHESTEHEN/NAHEGEHEN" die Qualität des Tanzes, mit dem sie sehr intime Themen ihrer Lebensrealität zur Debatte stellten und sehr klug das Publikum partizipieren ließen. Dieses war aufgefordert, in den eigenen Reihen nach Intimität zu suchen – was dramaturgisch so konstruiert wurde, dass es weder übergriffig noch peinlich erschien. Intim und bedacht erschien auch die Bewegungsästhetik von "Uncanny Valley". Die Beschäftigung mit Digitalität und ihren Folgen wurde hier in ausdrucksstarke, spannende Bewegungen übertragen und die inhaltliche Beschäftigung tänzerisch auf einem sehr hohen Niveau gehalten. Ein Credo, das allen Produktionen wichtig zu sein schien.

Symbiose von Theorie und Praxis
Dass Kunst und Politik sich folglich nicht ausschließen, bewies auch das vielfältige Rahmenprogramm des diesjährigen Tanztreffens der Jugend. Ein Schwerpunkt lag dabei auf dem Tanzstil Voguing, wofür eigens ein Ballroom organisiert wurde, der, in entspannter Atmosphäre, an die verschiedenen Elemente des Tanzstils heranführen sollte. Zudem vertiefte das Screening des Filmes "Kiki" die inhaltliche Expertise und machte die politischen Hintergründe und Motivationen des Voguing ersichtlich. Ähnlich verhielt es sich auch mit anderen Tanzstilen, die in den Intensiv- oder Impuls-Workshops des Campus-Programms angeboten wurden. Von Floorwork über GAGA bis hin zu Waacking – die Teilnehmenden konnten in etliche Entwicklungen des zeitgenössischen Tanzes Einblicke praktischer wie auch theoretischer Natur gewinnen.
Fortschrittlich war zudem die Auswahl professioneller Tanzschaffender, die das Programm vor Ort mitgestalten durften – etwa das Tanzkollektiv nutrospektif, Georgina Philp aka Leo Melody, Shailesh Bahoran oder Diana Thielen. Ihre Beiträge bewiesen zum einen, dass qualitativer Tanz in allen Ecken der Republik anzutreffen ist, zum anderen, dass gesellschaftlich marginalisierte Personen über eine immense Expertise verfügen und deswegen viel häufiger die ihnen gebührende Sichtbarkeit erlangen sollten. Von der dramaturgischen Konzeption wie auch der inhaltlichen Auswahl kann das diesjährige Tanztreffen der Jugend folglich als beispielhaft für eine aufgeklärte Durchdringung der Kunstform Tanz angesehen werden – was ihm hoffentlich in den kommenden Jahren eine größere Relevanz als bisher in der deutschsprachigen Jugendtheaterszene zuteil werden lässt.

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