Ausgabe September/Oktober 2021

Einen Zoll voran und darüber hinaus

Über das partizipative Projekt Moving the Forum, das Tanz ins Humboldt Forum bringt

Räume erschließen für den Tanz: Präludium zu Moving the Forum im Juni 2021 mit "Insights of Erasure" von Dominique Tegho. Im Schlüterhof tanzen Jocaste-Kyriaki Zografou Mantzakidou und Elio Coulibaly. © MaluvaPictures

Moving the Forum ist eines der ersten performativen Projekte am kürzlich eröffneten Humboldt Forum. Wie es innerhalb der umstrittenen Institution Raum für andere Perspektiven schaffen und einen Teil des Programms für den Tanz erschließen möchte, beschreibt die Dramaturgin und Kuratorin Jana Lüthje, die Moving the Forum gemeinsam mit der Tänzerin, Choreografin und Tanzvermittlerin Jo Parkes initiiert hat.

Text: Jana Lüthje
Dramaturgin und Kuratorin

Fragen an eine Institution

Was können Körper im Raum bewegen innerhalb einer Architektur, die von vielen als Sinnbild für Macht und hegemoniales Streben wahrgenommen wird? Was für Veränderungen können sie anstoßen und welche Impulse für ein Umdenken setzen – in einer Institution, die seit Jahren im Werden begriffen ist und bereits vor ihrer Eröffnung eine solche Spaltung der Gesellschaft Berlins erzeugt?

Diese Fragen stellten wir uns, als wir vor drei Jahren mit der Projektidee Moving the Forum an das Humboldt Forum herantraten. Unser Ansatz war, Tanz als Medium zu nutzen, um auf die mit dem Humboldt Forum verbundenen und trotz offensiver Debatten und Aktionen offenen Fragestellungen zu verweisen: die ausstehende Aufarbeitung kolonialer Strukturen, das Auslöschen eines Teils der DDR-Historie oder die Kumulierung kultureller Mittel für einen Ort, an dem unter anderem zur Kolonialzeit gewaltvoll entwendete Objekte ausgestellt werden. Angesichts einer sich neu gründenden Institution wollten wir einen Teil des Programms für den Tanz erschließen – auch im Sinne einer Umverteilung von Ressourcen – und Formate schaffen, die in Berlin arbeitenden Tanzkünstler*innen ermöglichen, selbst den Prozess zu gestalten und zu entscheiden, ob und wie sie sich dieser Einrichtung nähern wollen.

Partnerschaften im Prozess

Unter partizipativem Ansatz bringt Moving the Forum – our bodies – our position – our dance vierzig in Berlin lebende Künstler*innen zusammen mit an ihrer Arbeit interessierten Communities. Über den Zeitraum eines Jahres setzen sie sich mit Inhalten der Sammlungen am Humboldt Forum und der Geschichte des Ortes kritisch auseinander. Dazu gehören Audio Walks mit Zeitzeug*inneninterviews („Listening Bodies“), Formen von „Listening Activism“ und Abhandlungen zum Weg („trajectory“) der ausgestellten Objekte vom Ethnologischen Museum in Dahlem ins Humboldt Forum („Restless Objects“).
Kern des Projekts ist dabei die Multiperspektivität des künstlerischen Teams, das in insgesamt zwölf Projekten verschiedene Ansätze gewählt hat, mit dem Gebäude und seiner Präsenz in Berlin umzugehen und Position zu beziehen.

In einem ko-kreativen Prozess hoffen wir, langfristige Partnerschaften aufzubauen zwischen den Teilnehmenden aus Nachbarschaftsorganisationen, Schulen und breit gestreuten einzelnen oder inhaltlich begründeten Einzelkontakten sowie den Künstler*innen, die an der Schnittstelle von zeitgenössischem Tanz und partizipativer Praxis arbeiten – einige in dieser Form auch zum ersten Mal. Das Potenzial, so viele Berliner Künstler*innen mit und ohne Erfahrung in partizipativer Arbeit zusammenzubringen, ein Netzwerk und Austausch unter ihnen zu kreieren und somit einen Impuls für partizipativen Tanz in Berlin zu setzen, war ein bedeutender Beweggrund, das Projekt in Angriff zu nehmen.

Die Institution (neu) verhandeln

Moving the Forum ist ein Projekt, in dem wir konstant beobachten und weiterentwickeln, Themen setzen, Anforderungen und Strategien des Nach-Außen- und Nach-Innen-Wirkens überprüfen.

In all dem setzen wir auf eine transformative ­Praxis. Moving the Forum sucht den Dialog mit den Mitarbeiter*innen des Humboldt Forums auf allen Ebenen der Organisation und bietet Interventionen und physische Praktiken als Möglichkeiten, den Raum – auch den des Überdenkens eigener Praktiken und Positionen und individueller Verantwortung innerhalb der Institution – (neu) zu verhandeln. Hierbei greifen wir die gegenwärtige Dynamik auf, in der das Humboldt Forum nicht umhin kommt, sich selbstkritisch mit Fragen der Dekolonisierung oder der Restitution zu befassen.

In einer Serie von LABs suchten wir im Winter 2020 den theoretischen und historischen Input in ein praxisbezogenes Wissen zu überführen. Als ein Ergebnis bildeten wir im LAB „Intersectionality | Decolonizing institutions and the body – combining art and activism” für unser Gesamtprojekt eine flachere Struktur aus drei kuratorischen Teams mit unterschiedlichen Zuständigkeiten, die vielfältige Perspektiven in die inhaltliche Gestaltung einbeziehen.

In diesen Teams entwickeln wir Formate der Öffnung unseres Rechercheprozesses für unterschiedliche Publika in digitaler wie analoger Form, inklusive eines diskursiven Programms, das die Themen der künstlerischen Recherchen aufgreift und rahmt und einen Ort der Diskussion und Interaktion, des Lernens und Reflektierens schafft.

Beziehungen stiften

Wir beschäftigen uns damit, wie wir einen radikalen Wandel durch Verbindung und künstlerische Aktion schaffen können (um hierarchische Strukturen wissend), und mit der Notwendigkeit, unsere eigene Praxis und unsere performativen Körper zu dekolonisieren und Privilegien zu reflektieren.

Diese Fragen sollen mit Moving the Forum ebenso an die Öffentlichkeit gebracht werden wie Beispiele von aktivistischer künstlerischer Arbeit und Netzwerkbildung bekannter Künstler*innen. Referent*innen der LABs wie beispielsweise Mamela Nyamza, deren Arbeit von Beginn an darauf ausgerichtet war, Machtstrukturen provozierend Frage zu stellen und eine klare politische Haltung zu transportieren, oder Nasheeka Nedsreal, die als eigenen dekolonialen Ansatz mit dem Soul Sisters Netzwerk und dem Blackism collective den Aufbau einer eigenen Institution mit eigener Kultur, eigenem Publikum, eigenen Regeln und Räumen gewählt hat, werden eingeladen, mit den Künstler*innen in Austausch zu treten.

Auf praktisch-künstlerischer Seite soll neben Interventionen und einer Abschlusspräsentation nach jedem Kapitel ein Open Space etabliert werden, sobald Covid-19 dies erlaubt. Ende August 2021 haben wir mit der ersten Residenzphase von vier künstlerischen Teams begonnen, deren Prozess im öffentlichen Raum des Forums und auf unserer projekteigenen Webseite zugänglich gemacht wird.

Formate an der Institution verankern

Aus diesen Veranstaltungen können wiederkehrende Formate und kollektive kuratorische Ansätze entstehen, die in Zukunft am Humboldt Forum verankert werden – als eine langfristige (Selbst-)Verpflichtung der Institution, in den Tanz zu investieren und auf die Kontinuität einer lokal geführten Diskussion zu setzen. Auch aus diesem Grund hatten Jo Parkes und ich der Programmleitung des Humboldt Forums nahe gelegt, zur Stärkung des Tanzes und Community-Arbeit nicht eine singuläre, international renommierte Figur zu beauftragen, sondern das vorhandene Potential zu nutzen und zahlreiche in Berlin lebende Choreograf*innen in die Gestaltung eines partizipativen Tanzprojektes einzubeziehen.

In diesen Anliegen ist uns wichtig, nicht gegen die Kulturschaffenden ausgespielt zu werden, die gegen die Institution mobilisieren. In vielem teilen wir ihre Kritik und suchen nach Wegen, einen third space für den Dialog zu schaffen und unsere Erfahrungen, Strategien und Spuren all denen zu hinterlassen, die an diesem Wissen interessiert sind.
Wie Marie Yan, Postcolonial Discomfort Advisor im kuratorischen Team von Moving the Forum, in einer unserer Reflektionen über das Projekt in den Raum stellte: „If a wall is moved by an inch – was it worth it?“ War es den Einsatz wert, wenn sich eine Mauer nur einen Zoll weit bewegt? Ein Fazit werden wir in einem Jahr ziehen können.

Vielleicht schaffen wir nicht den gewünschten Raum im Forum. Aber Bewegung wird stattfinden: innerhalb der Gruppe der beteiligten Künstler*innen und im Verfolgen gemeinsamer Ziele, im Engagement für partizipative Arbeit, über das Forum hinaus.
Ganz im Sinne von Nora Amin, die dem kuratorischen Team zum Thema Diskurs angehört: „What can a dancing body achieve within an architecture of power and hegemony? If it can not move the forum, it will definitely move beyond it.“ Was kann ein tanzender Körper innerhalb einer Architektur der Macht und Hegemonie erreichen? Kann er das Humboldt Forum nicht bewegen, wird er sich in jedem Fall darüber hinaus bewegen.

Informationen zum Projekt:
https://movingtheforum.org

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