Ausgabe Mai-Juni 2023

Wie startet man ein Projekt?

Cover der Broschüre "Tanz(en in Berlin. Eine Toolbox für eine bessere Arbeitskultur in der Freien Tanzszene." Grafik: Maximilian Mauracher, David Rindlisbacher

Wie sieht ein guter Projektstart in der Freien Berliner Tanzszene aus? Einen Antwortversuch liefert die kürzlich erschienene Broschüre Tanz(en) in Berlin – Eine Toolbox für eine bessere Arbeitskultur in der freien Tanzszene der AG Arbeitskultur, einer Arbeitsgruppe und Bottom-up-Initiative des ZTB – Zeitgenössischer Tanz Berlin e.V. Die Broschüre zeugt von der dringenden Notwendigkeit und Bereitschaft, die Arbeits- und Produktionsweisen im Zeitgenössischen Tanz zu verändern.

Kasia Wolińska
Tänzerin, Choreografin, Autorin, Vorstand ZTB e.V. 2019-2023

Im Bereich des freischaffenden Tanzes mag der Begriff "Anfang" etwas zweideutig sein – oft steht am Anfang jedes neu finanzierten (oder anderweitig realisierten) Projekts ein Gefühl der Aufregung und Hoffnung, aber auch eine gewisse Ermüdung angesichts des ständigen Aufbruchs, des Neubeginns und der Neuplanung.

Die Kultur, die von Tanzschaffenden verlangt, Stabilität, Work-Life-Balance oder Sicherheit zu vergessen und Arbeit als Einkommens-, Sinn- und Statusquelle zu begreifen, war das Hauptthema der AG Arbeitskultur, die unter der Schirmherrschaft des ZTB e.V. organisiert wurde. Die Arbeitsgruppe hat gemeinsam den Leitfaden Tanz(en) in Berlin – Eine Toolbox für eine bessere Arbeitskultur in der freien Tanzszene herausgegeben; eine Publikation die nicht nur unsere Bedenken und Vorschläge widerspiegelt, sondern vor allem auch die Erfahrungen der Gruppenmitglieder, die alle in der Berliner freien Tanzszene aktiv sind. Zu Beginn haben wir uns über unser Verhältnis zu unserer Arbeit und die damit verbundenen Herausforderungen Gedanken gemacht. Gemeinsam schufen wir einen Raum, in dem jede*r von uns beginnen konnte, das eigene Verhältnis zur Arbeit selbst zu verändern und von diesem Punkt aus zusätzlich die Fragen nach dem Wohlergehen der Szene und ihrer Gemeinschaften anzugehen.

Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt ist die Gemeinschaft. Solidaritätsbeziehungen werden oft durch die Realitäten und Mechanismen des sogenannten Marktes torpediert, wo die Erschöpfung der menschlichen Ressourcen und der Wettbewerb eher die Regel als die Ausnahme sind. Dennoch ist das Beharren auf Solidarität unerlässlich, wenn es darum geht, für unsere Rechte zu kämpfen und die Art und Weise, wie wir unsere Arbeit verrichten, zu verändern. Mit dieser Publikation wollen wir eine Grundlage für das Gespräch über die Gegenwart und Möglichkeiten der Zukunft der Berliner Tanzszene schaffen, denn wir alle tragen eine gewisse Verantwortung, wenn es um die Gestaltung der Szene und ihrer Arbeitskultur geht.

Wie können wir also ein Projekt so starten, dass es mehr bewirkt, als nur den Status quo zu erhalten? Jedes Projekt hat wahrscheinlich naturgemäß eine Reihe von Anfängen – von der Entwicklung des ersten Konzepts über das Schreiben von Anträgen bis hin zum glücklichen Moment der Förderbewilligung. In unserer Broschüre werden einige Strategien für die Anfangsphasen der Zusammenarbeit vorgeschlagen. Dabei handelt es sich oft um sehr persönliche Wege zur Bewältigung der Kommunikation und der Gruppendynamik. Die Leitung dieses Prozesses – z. B. in der Rolle der Choreograf*in ­– erfordert auch, sich auf die Verhandlungen zwischen den persönlichen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der anderen Beteiligten einzulassen. Von Anfang an ist eine transparente Kommunikation entscheidend. Niemand möchte in die Situation kommen, mitten im Probenprozess auf ein Gespräch über Geld bestehen zu müssen. Die finanziellen Bedingungen sowie die grundsätzliche Organisation der Arbeit selbst sollten im Voraus besprochen werden, damit potenzielle Kollaborateur*innen entscheiden können, ob sie beteiligt sein möchten oder nicht.

Eine transparente Kommunikation sollte auch bei inhaltlichen Gesprächen maßgeblich sein. Nehmen wir die Position der Tänzer*innen als Beispiel – diese haben ein Recht darauf zu wissen, was ihnen angeboten und von ihnen erwartet wird. Obwohl sich der künstlerische Bereich oft seines transgressiven Charakters rühmt, finden die meisten Grenzüberschreitungen in den Proberäumen und innerhalb der Kommunikation in Projekten statt, weniger auf der Bühne. Es ist daher entscheidend, die Grenzen einer gesunden Zusammenarbeit zu definieren und die Fähigkeit zu entwickeln, die eigenen Grenzen zu schützen und sie Anderen zu setzen, wann immer es nötig ist.

Nicht zuletzt lohnt es sich, einen weiteren Ansatz zu erwähnen, nämlich die Bestrebungen und Ziele der Arbeit selbst. Unsere Publikation weist jede Andeutung zurück, dass eine künstlerische Vision es rechtfertigen kann, andere zu verletzen und in Gefahr zu bringen, sei es auf psychologischer, physischer oder sozioökonomischer Ebene. Das Wohlergehen der Personen, die an den Tanzstücken arbeiten, ist wichtiger als das Produkt selbst, und diese Sichtweise sollte uns als Leitfaden dienen. Wir hoffen sehr, dass dieser Leitfaden die Menschen dabei unterstützt, ihre eigenen Wege zu finden, um mit den Herausforderungen der Arbeit umzugehen, und dass es schließlich mehr freudige Anfänge gibt, die in der Zukunft zu einem noch freudigeren Arbeitsumfeld führen.

 

Mitglieder der AG Arbeitskultur:

Angela Alves, Olympia Bukkakis, Rike Flämig, Beatrix Joyce, Enrico L’Abbate, Matthias Mohr, Ania Nowak, Benjamin Pohlig, Anna Romeo, Mateusz Szymanówka, Simone Willeit, Kasia Wolińska

Die Broschüre (DE): Tanz(en) in Berlin – Eine Toolbox für eine bessere Arbeitskultur in der freien Tanzszene

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