Ausgabe September-Oktober 2022

Mit vollem Einsatz Halbwesen

Florentina Holzinger und ihre Kompanie eröffnen Mitte September mit „Ophelia’s Got Talent“ die Spielzeit an der Volksbühne.

Florentina Holzinger schaut ernst in die Kamera. Sie trägt ein weißes Top und schwarze Trainingshosen. Ihre Arme sind vor dem Oberkörper verschränkt.
Interessiert an allem Körpereinsatz zwischen Stuntshow und klassischem Ballett: Florentina Holzinger. © Apollonia Theresa Bitzan

In ihren Shows fliegen Ballerinen an Seilen durch die Luft, nackte Leiber tauchen sich in Farbe, Motorräder bremsen erst kurz vor der Rampe ab: Florentina Holzinger liebt es spektakulär. Ihre Produktionen sind eine einzigartige Mélange aus Tanz, kulturhistorischer Reflexion und Showelementen. 1986 in Österreich geboren, studierte sie an der School for New Dance Development (SNDO) in Amsterdam Choreografie und arbeitete danach in der Freien Szene. 2020 wurde sie mit „TANZ“ zum Theatertreffen eingeladen. Seit der Spielzeit 2021/22 gehört Florentina Holzinger zum künstlerischen Team der von René Pollesch geleiteten Berliner Volksbühne, wo sie in der letzten Spielzeit schon „A Divine Comedy“ zeigte.

Interview: Elena Philipp

Florentina Holzinger, die Produktion, mit der Sie die Volksbühnen-Saison starten, ist „Ophelia’s Got Talent“ betitelt. Worum geht es?
Wir beschäftigen uns mit Wasserwesen, wobei im Lauf des Abends unterschiedliche Stories an die Oberfläche kommen. Ophelia ist nur eine von vielen Figuren aus der Mythologie, wie Nereiden, Meerjungfrauen oder Leda. Diese Halbwesen entwickeln sich bei uns zu einer neuen, ans Wasser angepassten Spezies. Dramaturgisch führen Talentshows durch den Abend, das „Ophelia-Sein“ wird trainiert.

Was ist Ophelias Talent? Eine attraktive Wasserleiche darzustellen, im Rahmen kanonischer Literatur, die Frauen als Opfer zeichnet?
Für mich ist Ophelia kein Opfer, sondern eine Person, die ihre gesellschaftliche Rolle sehr bewusst einnimmt und richtig gut darin ist, sie zu verkörpern. Das ist durchaus ambivalent: Ophelia befriedigt Phantasien, die sicher nicht ihre eigenen sind – aber das ist Teil des Spiels. Deswegen interessieren mich auch die Feenwesen im Ballett, weil sie sich bewusst entscheiden, mit ihrem Körper auf eine bestimmte Weise umzugehen. Bei uns unterrichtet Inga Busch, eine Schauspielerin aus dem Volksbühnen-Ensemble, wie man die perfekte Ophelia verkörpert und am besten das Ertrinken spielt. Und mit Expert*innen anderer Körperdisziplinen geht es um Schwimmstile, um Freitauchen und Apnoe.

Da Ihre Shows oft for real mit den Gefahren spielen, gibt es sicher wirklich Wasser auf der Bühne?
Ja, auch wenn es technische Begrenzungen gibt, spielen wir in und um Wasserstellen, die mal ein olympisches Sportbecken bedeuten, mal das offene Meer, Aquarien oder Reagenzgläser. Wasser wird oft mit Weiblichkeitsthemen in Zusammenhang gebracht. Aus dem 19. Jahrhundert gibt es zahllose Gemälde von halbnackten oder nackten Wasserfrauen, die für das Kreatürliche und ‚das Andere‘ stehen. Der Fischschwanz ist das Sinnbild dafür, dass die Frau keine Sexualität hat, deshalb ist es mir wichtig, dass diese bei uns nicht versteckt wird; wir sind die meiste Zeit nackt. In der Show beschäftigen wir uns mit Konzepten wie Fluidität und Anpassungsfähigkeit, mit der Heilkraft von Wasser und seiner Gewalttätigkeit. Das geht in Richtung apokalyptischer Szenarien, und es kommen für die Theatertricks auch Sturmmaschinen zum Einsatz.

Klingt nach einem filmreifen Setting. Worin bestanden die technischen Begrenzungen? Die Gewerke der Volksbühne gelten ja eigentlich als mit allen Wassern gewaschen.
Für die Proben mussten wir uns einen eigenen Raum suchen, weil das Gewicht der Wassertanks für die Probebühne zu groß gewesen wäre. Durch unsere Kontakte in die Berliner Stunt-Szene haben wir in Karlshorst eine Halle gefunden, die darauf ausgelegt ist, dass alles, was eingebaut wird, auch funktional ist, und nicht, wie im Schauspiel, nur so aussehen muss. In drei Wochen Probenzeit am Rosa-Luxemburg-Platz stellen wir die Show jetzt auf die Bühne. Aber „Ophelia’s Got Talent“ hat die Vorstellungen der Volksbühne sehr übertroffen, was den Aufwand angeht.

Was ist eigentlich verabredet für die Zusammenarbeit?
Noch ist das sehr in the making. Ich bin schon angehalten, in den vier Jahren mit einer gewissen Kontinuität etwas zu machen, und wir sind mit unseren Shows definitiv präsent am Haus, so wie in der letzten Spielzeit mit „A Divine Comedy“. Aber ich möchte nicht in eine Situation gelangen, dass ich überproduziere. Meine Arbeiten, die eine größere Dimension haben, so wie „Ophelia’s Got Talent“, brauchen ihre Zeit. Mir ist es sehr wichtig, dass wir als Team gemeinsam ein Trainingsmomentum haben. Wir lernen während der Proben, wie man mit Sauerstoff unter Wasser arbeitet – das macht man nicht von einem Tag auf den anderen.

Wie fühlen Sie sich als Choreografin, die bislang vor allem in der Freien Szene produziert hat, im Theaterkontext?
Ein Department, das uns die Kostüme näht, ist für uns ein extremer Luxus, wir machen das normalerweise alles selber. In einem Staatstheater mit zig Instanzen und Hierarchien dauert andererseits alles, was anspruchsvoll ist, lange. Wir gehen mehr Kompromisse ein als in anderen Shows.

Und wie steht es ums Publikum?
Dass wir seit der Einladung zum Theatertreffen mit der Theaterbrille gelesen werden, ist mir klar, und das referenzieren wir mit dem Ophelia-Narrativ. Ich habe mich gefragt, wer kommt, wenn wir jeden Monat spielen, gepaart mit der Frage, ob uns das taugt, eine Show so oft zu zeigen. Wir sind vorher in der Freien Szene Europas getourt, haben unsere Arbeiten auf Festivals gezeigt. Das Berliner Publikum hat mich positiv überrascht. „A Divine Comedy“ hatte ein Momentum. Nach dem Tanz- und Theaterpublikum sind viele neue Leute gekommen, die gehört haben, dass es eine coole Show ist. Das ist für mich ein Zeichen großer Offenheit.

Florentina Holzinger
Ophelia’s Got Talent
15., 17. – 19. und 25. – 26. September 2022
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
www.volksbuehne-berlin.de

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