Ausgabe Januar-Februar 2021

Kanal für die Schreiblust (1)

Auf der Plattform Stream veröffentlicht eine Gruppe Berliner Tanzschaffender ihre Texte zu Live Art.

Schreiben als künstlerische Praxis: Mit dem Anliegen, dieser Praxis einen Raum zu geben, gründete eine Gruppe Tanzschaffender im ersten Lockdown die Online-Plattform Stream. Angedockt ist die offene Gruppe an die Tanzfabrik Berlin, auf deren Webseite auch die Texte veröffentlicht werden. Wie sie ihre „Schreib-Bewegung“ aufgestellt haben, erzählten Sasha Amaya, Beatrix Joyce, Sandra Man, Lea Pischke und Felicitas Zeeden tanzraumberlin in einem Zoom-Gespräch.

Interview: Elena Philipp

Hallo, Ihr Alle! Sagt, wie habt Ihr zusammengefunden?

Felicitas Zeeden: Im April oder Mai 2020 haben wir zum ersten Mal gesprochen, da ist die Idee gewachsen. Schreiben war das, was im Lockdown noch ging, im Gegensatz zu vielen anderen Tanz-Praktiken.

Sandra Man: Wir haben überlegt, wo unsere Texte veröffentlicht werden könnten – aber uns fiel nichts ein. Allein von der Länge her hätten sie alle gängigen Formate gesprengt. Also taten wir uns zusammen, anfangs zu zweit, zu dritt, dann luden wir andere ein. Stream ist eine offene Gruppe, es stoßen immer wieder Leute dazu. Wir haben Stream auch nicht als Projekt formuliert, sondern haben mit den Texten begonnen, die da waren, und haben überlegt: Was brauchen wir?

Auf Eurer Plattform heißt es, Ihr seid ohne ein Konzept angetreten. Was verbindet Euch?

Sandra Man: Das Begehren und die Lust am Schreiben und Veröffentlichen, die überschießt über das, was es an Angeboten gibt, empfinde ich als Motor des Ganzen. Wie kann man anders schreiben über das, was man sieht?

Sasha Amaya: Ich finde es herausfordernd, gerade jetzt zu schreiben, da nicht so viel getanzt wird. Ich habe darüber nachgedacht, wie eng diese Praktiken miteinander verbunden sind: tun, beobachten, schreiben und wie wir sie in Relation setzen können.

Inhaltlich ist Stream sehr breit ausgerichtet. Die einzelnen Texte stehen für sich, thematisch und auch formal ist das Veröffentlichte sehr unterschiedlich: Ältere Texte sind dabei und Beiträge, die im Auftrag von Künstler*innen entstanden sind. Wie entscheidet Ihr, was auf der Online-Plattform erscheint?

Felicitas Zeeden: Dafür gibt es wenig bis keine Vorgaben. Wenn eine von uns einen ihrer Texte wichtig findet, wird er veröffentlicht, auch wenn er aus dem Archiv stammt.

Beatrix Joyce: Wir haben keine Redaktion, Stream ist keine journalistische Publikation. Wir kommen zusammen, um unsere Texte publizieren zu können, in allen möglichen Formaten. Für sie bauen wir einen Raum.

Sandra Man: Die Relation von Text und Performance ist eine andere als in einer Zeitung – wie wir über etwas schreiben ist wichtiger als Aktualität. Wir kritisieren unsere Texte auch nicht. Einziges Kriterium für eine Veröffentlichung ist, dass ein Beitrag sich auf Live Art oder Performance bezieht. Angetreten sind wir, das Feld zu erweitern – aber wir versuchen, den Gegenstand unserer Aufmerksamkeit konsistent zu halten.

Lea Pischke: Immer mehr Künstler*innen haben das Bedürfnis, ihre Tätigkeit schriftlich zu reflektieren und die Analyse, die Überlegung nicht mehr anderen zu überlassen.

Empfindet Ihr journalistische Formate als ungenügend?

Sandra Man: Uns geht es nicht um ein „Dagegen“ – ich lese mit großer Lust Texte mit ästhetischen Urteilen, aber ich glaube, es gibt eine Palette an Bezügen zu Leser*innen, so wie auch zu Kunstwerken.

Lea Pischke: In den gängigen Publikationsformaten gibt es ein enges Verständnis von Texten über Tanz. Entweder sind sie kritisch oder beschreibend. Aber es gibt nichts dazwischen, daneben oder darüber. Ich glaube, dass die Kunstform Text und die Kunstform Tanz ihre Überschneidungen viel mehr erforschen könnten. Dafür ist Stream eine Plattform.

Wie sind Stream und die Tanzfabrik Berlin miteinander verbunden?

Felicitas Zeeden: Ich arbeite dort, und wir haben im Tanzfabrik-Team entschieden, Stream zu hosten; die Tanzfabrik ist ja grundsätzlich offen für Prozesse und unterschiedliche Praktiken. Mit Stream haben wir unter anderem Texte zu Tanzfabrik-Formaten wie Open Spaces und der Tanznacht veröffentlicht, aber inhaltlich gibt es keine Beeinflussung.

Gibt es für Stream eine Finanzierung?

Sandra Man: Nein. Wir haben keinen Antrag gestellt, auch nicht bei den Corona-Fördertöpfen. Das war Absicht: nicht etwas zu entwerfen, sondern zu schauen, was sich entwickelt. Aus der Antragspraxis kenne ich es, dass man dem Entworfenen dann hinterherhechelt.

Lea Pischke: Wir schreiben im Eigenauftrag, manchmal schreiben wir im Auftrag, dann werden wir bezahlt. Ob Texte auf Stream landen, liegt in unserem eigenen Ermessen. Wir alle hatten Berührungsängste mit dem Gedanken, uns in die Antragsmaschinerie zu werfen, uns vorzuformen, die Intuition zu beschneiden – wir wollten erst einmal tun.

Sandra Man: Eine Finanzierung war nicht unser erster Antrieb – es war gut, erst mal anzufangen. Das muss man sich leisten können, ja. Aber es ist wichtig, dass wir uns nicht verbieten, etwas zu tun, weil wir zuvor das Mindest­honorar aufstellen müssen.

Ihr setzt auf eine organische Entwicklung. Wo seht Ihr Stream in einem Jahr?

Sandra Man: Wie wohl die Welt in einem Jahr aussieht? Stream soll genug Zeit haben, von sich aus zu wachsen – ich wünsche mir, dass die Plattform etwas sein kann, nicht sein muss.

Beatrix Joyce: Ich hoffe, dass die Leute engagiert bleiben, dass wir Stream nachhaltig machen können. Und es wird interessant für uns, wer die Leser*innen sind.

Lea Pischke: Da kann ich mich Beatrix nur anschließen. Für mich persönlich werden zwei Prozesse ablaufen: Wie ändert sich mein Schreiben in Bezug auf Tanz, Bewegung, Live Art? Und für wen schreibe ich, wer interessiert sich für meine Texte? It’s time to go viral – pun intended.

www.tanzfabrik-berlin.de/de/stream#

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