Ausgabe Januar-Februar 2021

Auf Lockdown folgt Live-Stream

Mit einem Online-Programm und Live-Streams hält die cie. toula limnaios den Kontakt zum Publikum aufrecht.

Tanz, tanzraumberlin Magazin, cie. toula limnaios, Bernd Sahlig, Livestreaming Technik-Aufbau in der HALLE Tanzbühne Berlin für eine Live-Streaming-Probe von Toula Limnaios’ „isson“. Foto: Bernd Sahlig

Bereits Ende März, zwei Wochen nach dem ersten Corona-Lockdown 2020, veröffentlichte die cie. toula limnaios ein Online-Programm mit Tanzfilmen. Im Oktober 2020 übertrug die Tanzkompanie, die zu den wenigen finan­ziell tragfähig ausgestatteten Ensembles in Berlin gehört, den ersten Live-Stream aus ihrer Spielstätte, der HALLE Tanzbühne ­Berlin. Worauf sie beim Filmen und Streamen von ­Choreografien achten, erzählt Ralf R. Ollertz, Komponist und gemeinsam mit Toula Limnaios Künstlerischer Leiter der Kompanie.

Protokoll: Elena Philipp

Wie wir so schnell auf online umgestellt haben? Unsere Premiere im Konzerthaus am 12. März 2020 wurde zwei Stunden vor Beginn abgesagt. Wir wollten den Zuschauer*innen trotzdem die Möglichkeit bieten, unsere Arbeit zu sehen, und wir mussten eine Lösung finden, ab diesem Zeitpunkt als Ensemble unter Corona-Bedingungen zu arbeiten. Die komplette Konzeption für das Jahr 2020 ist in den zwei Wochen nach dem ersten Lockdown entstanden. Zwölf Stunden haben wir täglich gearbeitet, um das hinzukriegen, und schon Ende März haben wir unsere Arbeitsweise geändert: Toula hat auf Einzelproben umgestellt und hat so drei Premieren mit dem Ensemble erarbeitet, die wir im August und Oktober 32 Mal in der HALLE aufführen konnten. Von April bis Ende Juli haben wir in einem kostenlosen Online-Programm jede Woche einen unserer Tanz- oder Dokumentarfilme sowie Interviews und Filmfassungen unseres Repertoires ausgestrahlt und damit Einblicke in unsere Arbeit ermöglicht.

101.000 Zuschauer*innen aus 74 Ländern haben unsere Filme angesehen. Viele Zuschauer*innen haben gespendet, es gab zahlreiche Zuschriften und Briefe – das hat uns sehr berührt.

Inhalte für unser Online-Programm hatten wir genug. Seit 2002 produzieren wir Tanzfilme, mit mehreren Kameras aufgezeichnet und im Studio geschnitten. Im April haben wir begonnen, uns mit Live-Streaming zu beschäftigen. Wichtig war uns, dass auch das in hoher filmischer Qualität realisiert wird: in HD, mit mehreren Kameras und einer Live-Bildregie. Wir haben recherchiert, welche Ausrüstung man braucht, haben investiert, im September geprobt und Ende Oktober erstmals einen Live-Stream aufgezeichnet. Drei Abende haben wir seither online live gezeigt, „tell me a better story 1+2“ und „isson“.

Proben muss man das im Detail: Man muss die Technik erlernen und einen detaillierten Regieplan erstellen. Welche Kamera sendet wann? Auch der Bildschnitt ist genau festgelegt. Die drei bis vier Kameras werden von Kameraleuten bedient, Toula macht live den Schnitt und entscheidet, was in dem Moment gesendet wird und damit auch in der Aufzeichnung überdauert. Felix Grimm, unser technischer Leiter, und ich betreuen den Ton, das Licht, die Ausspielung und die Nachbildkontrolle. Außerdem sind wir im Live-Chat für die Zuschauer*innen ansprechbar – alles gleichzeitig.

Bei „isson“ gab es vier fest installierte Kameras: zwei ferngesteuerte PTZ-Kameras, die 360 Grad in alle Richtungen filmen können, einen Camcorder und eine weitere Filmkamera für die Totale. Zukünftig werden wir auch mit einer kabellosen Kamera auf der Bühne „zwischen“ den Tänzer*innen arbeiten. Bei unseren produzierten Tanzfilmen der letzten 17 Jahre, die von eigens engagierten Filmteams um Walter Bickmann und Doris Kolde aufgezeichnet und geschnitten werden, gab es bewegliche Kameras schon öfter, aber wir haben das für unsere Livestreams noch nicht ausprobiert. Es ist komplizierter, weil die Kameraperson das Stück sehr gut kennen muss.

Sinn macht eine bewegte Kamera für uns erst dann, wenn man intimere Einblicke in das erhält, was auf der Bühne passiert, wenn Details sichtbar werden, die man als Zuschauer*in sonst gar nicht sieht – das ist eine künstlerische Entscheidung. So wie die Frage der Online-Ausspielung generell: Jede*r Künstler*in muss für sich selbst entscheiden, ob er oder sie das möchte. Wenn jemand sagt: meine Arbeit kann so nie transportiert werden, ist das vollkommen in Ordnung.

Unser Online-Programm und zukünftige Live-Streamings sind kein Ersatz für unsere Aufführungen, sondern ein eigenständiges künstlerisches Format. Das zu betonen ist uns wichtig. Wir haben in den vergangenen Monaten aber festgestellt, dass Live-Streaming ein weiterer Weg sein kann, Menschen teilhaben zu lassen, die nicht ins Theater gehen können oder die weit weg leben. Unsere bisherigen Erfahrungen mit Live-Streaming sind sehr spannend und wir werden es auch zukünftig in unseren Spielplan integrieren. Tanz braucht Publikum und das Publikum braucht Tanz.

Noch arbeiten wir mit einem Streaming-Anbieter, aber für 2021 planen wir einen eigenen Server, auch für unsere Medienbibliothek, so dass wir alle Funktionen selbst betreuen können. Das ist ein finanzieller Ruck, aber er lohnt sich. Zusätzlich arbeiten wir daran, dass eine TV-App entwickelt wird, mit der man unsere Tanzfilme und Live-Streams auf dem Fernseher ansehen kann. Die App muss programmiert und verbreitet werden, dann könnten sie auch andere Ensembles und Choreograf*innen in ganz Berlin nutzen. Und unser nächstes Stück, das wir gerade proben? Das soll natürlich als Live-Premiere vor Publikum stattfinden!

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