Ausgabe Juli / August 2021

Die Diskurse zum Tanzen bringen

Constanza Macras und ihre Kompanie DorkyPark sind aus Berlin nicht wegzudenken. Wie ist der Stand, wie geht es für sie weiter? Sandra Luzina berichtet.

"Stages of Crisis" von Constanza Macras | DorkyPark, Volksbühne, Berlin 2021
"Stages of Crisis" von Constanza Macras | DorkyPark, Volksbühne, Berlin 2021 © Thomas Aurin

Text: Sandra Luzina
Tanzjournalistin

Constanza Macras hat mit ihrem 2003 gegründeten Ensemble DorkyPark schon so einige Berliner Theater bespielt: Das HAU Hebbel am Ufer und das Haus der Berliner Festspiele, das Maxim Gorki Theater, die Schaubühne und die Volksbühne – die Liste ist nicht vollständig. Die aus Argentinien stammende Choreografin, die seit 1995 in Berlin lebt, ist eine feste Größe in der Hauptstadt und arbeitet schon seit über 20 Jahren mit internationalen Partner*innen zusammen – zwischendurch aber musste sie immer wieder um ihren Platz in Berlin und um den Erhalt ihrer Kompanie kämpfen.

Unverkennbare Handschrift

Ende Mai 2021 wurde Macras und ihrem Ensemble der Tabori Preis verliehen. Damit würdigt die Jury „die künstlerische Kontinuität dieser langjährig arbeitenden Company [und] die einmalige, unverkennbare Handschrift ihrer interdisziplinären, wegweisenden Praxis, die ästhetische Maßstäbe auf internationalem Niveau setzt“.

Die Auszeichnung kam zur rechten Zeit, denn ein schwieriges Jahr liegt hinter Constanza Macras. Nicht nur das ständige Verschieben von Premieren, das Absagen eines Gastspiels in New York setzten ihr zu. Als Leiterin eines freien Ensembles fühlt sie sich verantwortlich für ihre Tänzer*innen. Als Mitte März 2020 der erste Lockdown verhängt wurde, schickte Macras ihr Ensemble nach Hause – und begab sich selbst in eine Art häuslicher Quarantäne. Ihre Wohnung in Kreuzberg verließ sie damals nur selten. Kolleg*innen aus Italien und New York hätten sie angerufen und schon früh vor der Pandemie gewarnt, erzählt sie.

Einige Wochen probte Macras mit den Tänzer*innen per Zoom für das neue Stück „Stages of Crisis“, doch dann brach sie das Experiment frustriert ab. Erst Monate später war dank des Testens gemeinsames Proben wieder möglich – dass die Teststrategie in Deutschland erst recht spät eingeführt wurde, merkt Macras im Gespräch kritisch an.

Im Digitalen liegt die Theater-Zukunft nicht

„Stages of Crisis“ war eigentlich als Bühnen­version der Outdoor-Performance „Forest: The Nature of Crisis” gedacht, die Macras 2013 im Müggelwald realisierte. Die Premiere sollte ursprünglich im Mai 2020 stattfinden. Ein Jahr später konnte die Performance immer noch nicht live vor Publikum gespielt werden. Deswegen zeigte Macras in Kooperation mit dem HAU Hebbel am Ufer an mehreren Tagen einen Livestream der Aufführung. Auf eine digitale Premiere habe sie sich aber nur eingelassen, so erzählt sie beim Zoom-Interview, weil schon Live-Aufführungen im Rahmen des Festivals Tanz im August geplant waren.
Mitte August wird „Stages of Crisis“ in der Open-Air-Arena der Gärten der Welt in Marzahn aufgeführt. Zu den Streaming-Enthusiasten gehört Macras ganz sicher nicht. Sie glaube nicht, dass die Zukunft des Theaters im Digitalen liege. Doch dass sie nun auch Feedback von Kolleg*innen in Süd­afrika, Indien, Chile und Argentinien bekommen habe, die sich den Livestream angeschaut hätten, habe sie gefreut.

Ein Stück über Corona zu machen, sei nicht ihre Absicht gewesen, betont Macras. „Es war gedacht als Stück über Ökologie und Ökonomie; jetzt ist es auch ein Stück über die Zukunft des Theaters.“ Assoziationen zur Pandemie stellen sich aber natürlich ein bei diesem dystopischen Stück.

Zeitgeist-Fabeln mit rasantem Witz

„Hong Kong Supermarket“ steht über dem verwaisten Glaskasten auf der Bühne des HAU1. Die beiden Getränkekühlschränke sind leer bis auf eine Tiefkühlpizza und eine Packung Pasta. Eine Tänzerin entdeckt die Pasta Panzani und hebt gleich zu einem Vortrag über Bild und Bedeutung an. Eingewoben ist eine Passage aus einem Text des französischen Semiotikers Roland Barthes, in dem er ein Reklamefoto des Teigwarenherstellers Panzani analysiert. Es geht in „Stages of Crisis“ auch um Konsumverhalten und das Phänomen der Imitation. „Die Leute ahmen das nach, was sie im Internet sehen“, sagt Macras. Das sei evident geworden in der ersten Welle der Pandemie, als es zu Hamsterkäufen bei Nudeln und Klopapier kam.

Zeitgleich zur digitalen Premiere von „Stages of Crisis“ fand auch das Berliner Theatertreffen statt, das nun schon zum zweiten Mal ins Netz verlegt werden musste. Es bildet hier den Fokus der Reflexionen über die Krise der Bühnenkunst. In einer chorischen Szene nehmen die Tänzer*innen mehrere Anläufe, um zu erklären, um was für eine anachronistische Veranstaltung es sich überhaupt handelt. Das „theatre meeting“ steht hier für Prestige­denken und ein hierarchisches System, das abgeschafft gehört. „Aber wir sind ja nur Tanz“, kommentiert eine Tänzerin resigniert.

Wie schon in „Forest: The Nature of Crisis“ werden Grimmsche Märchen mit der kapitalistischen Gegenwart kurzgeschlossen. „Es war einmal eine Studentin aus Saragossa“ – so beginnt Macras’ Version von „Schneewittchen“, in der sich ein zugekokstes Partygirl, das den Kredit für eine teure Eigentumswohnung nicht mehr bedienen kann, in eine Öko-Tussi verwandelt. „Hänsel und Gretel“ wird mit Motiven aus dem „Ring des Nibelungen“ verwoben. Diese Zeitgeist-Fabeln haben einen abgedrehten Witz.

Krisen, die in die Körper fahren

Die Tanztheater-Inszenierungen von Constanza Macras sind rasant, ironisch und hybrid; auch „Stages of Crisis“ ist ein wilder Mix aus Tanz, Performance, Text und Musik. Die Diskurse zum Tanzen bringen – so lässt sich die Methode Macras beschreiben. Es geht um Nachhaltigkeitsdebatten, Spekulationsblasen und die Auswirkungen der digitalen Revolution – und darum, dass nicht jede*r Zugang zu Streamings hat. Neben dem Zitat von Roland Barthes sind auch philosophische Gedanken von Donna Haraway eingeflossen, die ein neues Zusammenleben der Arten fordert.

Mit deutschem Liedgut werden romantische Vorstellungen vom Wald thematisiert. Aber alle Naturschwärmereien werden von Macras lustvoll zerpflückt. Sehr komisch ist die Persiflage auf den französischen Choreografen Jérôme Bel, der 2019 angekündigt hat, künftig auf Flugreisen zu verzichten, um seinen CO2-Abdruck zu reduzieren, und der als Greta Thunberg des Tanzes gilt.

Die Tänzer*innen befinden sich, das kennt man schon von Macras’ Inszenierungen, in einem permanenten Ausnahmezustand. Wirtschaftliche und ökologische Krisen – die Erschütterungen sind auch in die Körper gefahren. Die Bewegungen sind unkontrolliert, überspannt, kämpferisch und oft komisch. Macras hat für „Stages of Crisis“ die Kampfzone noch einmal ausgeweitet. Die Frage nach der Zukunft des Theaters zieht sich durch das ganze Stück. Constanza Macras ist aber zuversichtlich, dass das Theater nach der Pandemie weitergehen wird. „Es ist eine alte Form. Es gab schon viele Krisen – das Theater hat sie immer überlebt.“

Herausforderungen und Zuversicht

Die letzten 16 Monate waren herausfordernd für Constanza Macras, aber als Leiterin einer freien Tanzkompanie muss sie ohnehin oft in den Krisenmodus schalten. Während der beiden Lockdowns hat sie versucht, ihre Tänzer*innen bei der Stange zu halten, ihnen Sicherheit zu geben. Fünf DorkyPark-Tänzer*innen sind mittlerweile fest angestellt; den Freien konnte Macras Probengagen bezahlen. Zunächst sah es so aus, als rutsche DorkyPark in Folge der Pandemie ins Defizit, doch nun kommen sie einigermaßen über die Runden. „Wir konnten nicht alle geplanten Vorstellungen zeigen wegen Corona, deswegen hatten wir weniger Ausgaben – ein Paradox!“

Gerettet hat sie vor allem die große Produktion „Hyperreal“, die sie Anfang September 2020 am Düsseldorfer Schauspielhaus herausgebracht haben. Die umtriebige Choreografin hat auch Jobs angenommen, für die man tough sein muss. Im Januar ist sie nach Chile geflogen, um ein Stück für das Festival Santiago a Mil zu adaptieren – sie musste sich in Quarantäne begeben, weil zwei Passagiere ihres Fluges positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden; die technischen Endproben musste sie per Zoom abhalten, was extrem schwierig gewesen sei.

Constanza Macras hat schon einige Krisen durchgestanden; jetzt aber blickt sie mit Zuversicht in die Zukunft. Im Juli wird sie ihr neues Studio in der FAHRBEREITSCHAFT in der Herzbergstraße in Lichtenberg beziehen. Es habe zwar ein langes Ringen um den Kunstort des Sammlerpaares ­Barbara und Axel Haubrock gegeben, doch im letzten Herbst konnte eine Einigung erzielt werden. „Es gibt da eine interessante Künstler-Community“, sagt Macras. Das Studio könne sie zu günstigen Bedingungen anmieten. Es soll, wie schon ihr früheres Studio in der Klosterstraße, eine Art Lab werden. Macras will junge Künstler aus anderen Ländern unterstützen; mit Performer*innen aus Chile und Uruguay steht sie schon in Kontakt. Es ist ihr auch gelungen, einige südafrikanische Künstler*innen, mit denen sie schon zusammengearbeitet hat, erfolgreich bei der Beantragung von Stipendien zu unterstützen.

Besonders freut sie sich auf den Start von René Pollesch an der Volksbühne. Der Autor und Regisseur, der ab dem Herbst mit einem Kreis von Künstler*innen das Theater am Rosa-Luxemburg-Platz leiten wird, hat sie zur Zusammenarbeit eingeladen. Bei den bisherigen Treffen habe sie ihn als sehr zuvorkommend und zugewandt erlebt, sagt Macras. Begeistert ist sie auch von den anderen assoziierten Künstler*innen und dem Ensemble der Volksbühne. Und mit den Mitarbeiter*innen aus den verschiedenen Gewerken habe sie die besten Erfahrungen gemacht, sagt sie. Constanza Macras wünscht sich schon seit langem mehr Kontinuität und Stabilität; mit der von Pollesch geleiteten Volksbühne als Kooperationspartner scheint dieser Wunsch nun in Erfüllung zu gehen.

Constanza Macras | DorkyPark
Stages of Crisis
13. – 14. August 2021
Arena der Gärten der Welt, Marzahn
www.tanzimaugust.de

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