Beziehungen, die fehlen
Die Produzentinnen Alexandra Wellensiek und Barbara Greiner über den Kulturaustausch während und nach Corona.
Um Berliner Tanzproduktionen (inter-)national auf Tour zu bringen, hat die Senatskulturverwaltung für die Jahre 2020 und 2021 Fördermittel in Höhe von 82.500 Euro bereitgestellt. Ziel dieses im Runden Tisch Tanz 2018 entwickelten Pilotprojekts Distributionsfonds ist es, Berliner Tanzproduktionen durch strategisches Touring eine längere Verweildauer auf den Bühnen zu sichern, das Berufsfeld der Produzent*innen nachhaltig zu professionalisieren und neue Produktions- und Präsentationsmöglichkeiten für Berliner Tanzschaffende zu erschließen. Mit Corona waren diese Ziele vorerst hinfällig: Das Touring ist über mehr als ein Jahr hinweg zum Erliegen gekommen. Was das für die von ihnen begleiteten Künstler*innen bedeutet und wie es weitergeht, erzählen Alexandra Wellensiek und Barbara Greiner, die als Produzentinnen mit Antonia Baehr, Jule Flierl und Eszter Salamon beziehungsweise Christina Ciupke, Begüm Erciyas und Juan Dominguez arbeiten. Das Gespräch fand im April 2021 statt, im Juni wurde das Interview aktualisiert.
Interview: Elena Philipp
Seit Anfang Juni sind die Berliner Spielstätten wieder geöffnet. Internationaler Austausch aber ist nach wie vor kaum möglich und auch das europaweite Touring läuft noch schleppend. Alexandra und Barbara, seid Ihr mit Euren Künstler*innen schon wieder unterwegs?
Barbara Greiner: Diese Woche fahre ich zu den Wiener Festwochen, seit September 2020 meine erste Auslandsreise. Ich freue mich schon sehr darauf, wieder in den direkten Austausch zu gehen und ein Theater zu besuchen. Begüm Erciyas zeigt in Wien eine Arbeit, die bereits letztes Jahr „corona-konform“ für den öffentlichen Raum entstanden ist. Auch Juan Dominguez geht mit einer Arbeit für das Hamburger Internationale Sommerfestival in den Stadtraum, so wie Christina Ciupke, die kleine Interventionen plant, u.a. nochmal den Audiowalk, der 2020 bei der Tanznacht Berlin schon zu erleben war. Also viele Projekte für draußen. Für Bühnenproduktionen, die nicht bereits geplant und verschoben wurden, ist es eher schwierig, Spieldaten zu finden.
Alexandra Wellensiek: Bei mir sind für Juli sehr kurzfristig nun noch zwei Gastspiele in Bremen und Rom in der Planung, da spürt man eine Zuversicht aufgrund der allgemeinen positiven Entwicklung. Aber das ist natürlich nur sehr punktuell.
Was war während des Corona-Jahres möglich, was ist zum Stillstand gekommen?
Alexandra Wellensiek: Bei den internationalen Festivals hagelte es Stornierungen, auch für Produktionen, die vom Vorjahr schon auf 2021 verschoben worden waren. Die Wiener Festwochen konnten durch Verschiebung ihrer Festivaltermine die Aufführungen von Eszter Salamons „MONUMENT 0.6: Heterochronie“ für diesen Juli sicherstellen, das war eine glückliche Konstellation. Mit der gleichen Produktion waren wir Ende März 2020 noch in Nanterre, obwohl die Theater regulär geschlossen waren. Gezeigt haben wir „MONUMENT 0.6“ dann für geladene Veranstalter*innen und die Presse, ein Modell, von dem mir auch andere Künstler*innen und Kolleg*innen berichtet haben. Natürlich sind die Stücke fürs Publikum gedacht, aber in dieser Konstellation, wo so wenige Auftrittsmöglichkeiten blieben, war das Format für uns hilfreich, um den Faden zu halten und eine gewisse Sichtbarkeit für die Zukunft zu erreichen. Die KunstFestSpiele Herrenhausen überlegen nun, das Stück im dritten Anlauf möglicherweise im Mai 2022 zu zeigen, und wir hoffen, dass es infolge der Wiener Vorstellungen weitere Anfragen geben wird. Ende April hatte Antonia Baehr ein Gastspiel am MACBA Museum für zeitgenössische Kunst in Barcelona. So ein Auftritt war zu dem Zeitpunkt mit künstlerischen Kompromissen verbunden, weil das Publikum sich nicht frei bewegen durfte und Abstand halten musste.
Barbara Greiner: Im langen Lockdown seit November waren die Digitalpräsenzen, die viele Theater aufgebaut haben, eine gute Möglichkeit, Lectures oder Filme zu zeigen. Sofern sie technisch gut gemacht sind. Aber das geht nicht mit allen Produktionen, und uns fehlt es auch nach wie vor an technischer Expertise.
Alexandra Wellensiek: Antonia Baehr und Jule Flierl, hatten kürzlich eine Lecture Performance im HAU4. Nachdem die eigentlichen Aufführungen im Dezember 2020 nicht stattfinden konnten, war das ein Format, das dieser Zusammenarbeit eine gewisse Sichtbarkeit gegeben hat – die Leute haben verbindlich ein Ticket gekauft, im Anschluss gab es ein moderiertes Gespräch und es wurde ein Film gedreht.
Welche finanziellen Folgen haben die Verschiebungen und vor allem die Stornierungen?
Barbara Greiner: Wir hatten Glück, im letzten Frühjahr sind für die von mir begleiteten Künstler*innen nur drei Gastspiele ausgefallen. Und ich hatte den Eindruck, dass die Häuser sich sehr bemüht haben, fair zu sein. Das Berner Festival auawirleben hat alles versucht, um das volle Honorar zu zahlen oder alternative Formate zu ermöglichen. In einem Fall gab es die volle Kompensation bzw. Schadensersatz, da die Absage super kurzfristig war, und es gab eine Verschiebung nach 2021, mit einer kleinen zusätzlichen Kompensation, die das Theater aus nicht zurückgegebenen Eintrittsgeldern an die Künstler*innen weitergereicht hat. Aber das war und ist sehr unterschiedlich.
Alexandra Wellensiek: Jedes Bundesland handhabt das anders, jedes Festival, je nachdem, welche Regeln die Geldgeber*innen vorgeben. Ganz zu Beginn der Krise erlebte ich, dass die vollen Honorare gezahlt wurden. In Belgien bekamen wir jetzt im April 2021 noch 30 Prozent Kompensation für eine Stornierung – das ist dort die Vorgabe der Regierung, da kann man nichts verhandeln.
Wie sind die Künstler*innen über die Runden gekommen?
Alexandra Wellensiek: Die großen Förderprogramme greifen ganz gut, vor allem Neustart Kultur und die Stipendien. Jetzt sind wir alle noch ganz gut gepuffert, aber wenn die teils auch schon verlängerten Programme 2022 auslaufen, wird man sehen. Schwieriger ist es vermutlich für diejenigen, die nicht selbst Projekte initiieren, sondern zum Beispiel als Tänzer*innen arbeiten.
Welche Chance bietet der Distributionsfonds vor diesem Hintergrund?
Alexandra Wellensiek: Der Fonds ist toll, das müssen wir sagen. Wir haben so etwas lange gefordert – eine Förderung nur für die Produzent*innen, bei der wir nicht Künstler*innen die Gelder wegnehmen. Wir haben das ganze letzte Jahr hindurch weiter unsere Arbeit gemacht, halten unsere Kontakte mit Veranstalter*innen und Festivals. Aber Corona schwebt über uns allen. Es fehlt der lockere Austausch, der Moment, in dem sich alle sehen – die Orte, an denen man kurz andockt und das Gespräch dann per Telefon oder E-Mail weiterverfolgt. Es ist schwieriger, an die Leute heranzukommen.
Barbara Greiner: Neue Sachen aufzubauen ist viel schwieriger! Man kann bei denjenigen anknüpfen, die man schon kennt. Aber neue Partner*innen und Spielorte zu gewinnen, die eine*n Künstler*in noch nie gesehen haben, ist fast unmöglich.
Alexandra Wellensiek: Man merkt, dass die Veranstalter*innen selbst sehr angespannt sind. Seit dem Winter gibt es eine gewisse Routine, aber auch eine gewisse Ermüdung. Man muss sich gut verabreden, mit einem Monat Vorlauf. Manchmal gibt es dann einen tollen Moment, in dem man Zeit für einen Austausch hat.
Wie geht es Euren Kolleg*innen? Für Ende April hattest Du, Barbara, einen Austausch angeregt.
Barbara Greiner: Ja, um bei allen im Distributionsfonds nachzufragen, wie es läuft. Ich denke, alle machen gerade ähnliche Erfahrungen, aber manche können bereits auf ein größeres Netzwerk zurückgreifen. Das ist in so einer Situation hilfreich. Die Distributionsarbeit ist etwas, das man nicht von einem auf den anderen Tag aufbaut, und es braucht auch unter „normalen“ Umständen Zeit, bis man die Früchte der Arbeit sieht. Deswegen ist es wichtig, dass diese strukturelle Förderung weitergeht und im besten Fall auch ausgebaut wird, damit noch mehr Künstler*innen in Zukunft davon profitieren können.