Ausgabe Mai/Juni 2020

„Lass uns da mal Kunst draus machen“

INTERVIEW | Ein Interview mit der künstlerischen Leiterin des ada Studio, Gabi Beier, anlässlich der Ausnahmesituation unter den Vorzeichen von Covid-19.

ada Studio, Gabi Beier, Alexandra Hennig Skype-Gespräch zwischen Gabi Beier (li.) und Alexandra Hennig © Gabi Beier

Am Montag, den 23. März, treffe ich Gabi Beier auf Skype. Die Tragweite der Corona-­Pandemie lässt sich in diesen Tagen bereits erahnen. Sicherheitsmaßnahmen unterbrechen den Alltag vieler Künstler*innen; Theater, ­Galerien, Museen haben ihren Betrieb bis vorerst 19. April eingestellt. Eine Momentaufnahme mit Ausblick.

Interview: Alexandra Hennig
Dramaturgin und Tanzjournalistin

Gabi, das ada Studio ist ein besonderer Ort der freien Tanzszene Berlins – Anlaufstelle, Freiraum und Netzwerk. Du bist mit vielen Künstler*innen, Studierenden und Alumni in engem Austausch. Wie hast du die vergangenen zwei Wochen erlebt?

Gabi Beier: Es ist total verrückt, weil die Zeit so schnelllebig ist. Die Absagen von Veranstaltungen treffen die Leute nicht in erster Linie künstlerisch, sondern ganz materiell im Sinne von „ich verliere meine Gage“. Ich habe versucht, mich von Anfang an zu fragen, wie wir die Künstler*innen aus dieser Schockstarre rausholen, die Angst umwandeln können in: „Lass uns da mal Kunst draus machen“.

Wir befinden uns zum Beispiel mitten in den Vorbereitungen des A.PART-Festivals, kuratiert von den Tänzerkuratorinnen Julek Kreutzer und Diethild Meie, die parallel auch Jobs verlieren. Mit Blick auf’s Festival versuchen wir immer wieder, über Kreatives zu sprechen und zu überlegen, welche alternativen Präsentationsformate wir finden können.
Ich finde es total verrückt, wie vielfältig die Möglichkeiten dessen, was jetzt alles über das Internet gestreamt und gezoomt wird, sind. Gestern hab‘ ich darüber nachgedacht, dass ich vor Corona nie so viele Lesungen und Konzerte besucht habe… Diese ungeheure Kreativität und Vielzahl steht natürlich einer totalen Verzweiflung jeder*s einzelnen Künstler*in gegenüber.

Ich muss auch sagen, dass ich von der Bundesregierung und im besonderen der Bundeskulturstiftung etwas anderes erwartet habe. Es sollte selbstverständlich sein, dass bewilligte Gelder nicht zurückgezahlt werden müssen statt ‚erst noch zu prüfen‘. Von Anfang an wurde da noch mit Angst gearbeitet und das finde ich wirklich unangemessen und unsolidarisch. Die Grundsituation ist doch: Niemand weiß, wie lange alles geht.

Nochmal zurück zur Kunst. Hast du ein paar Beispiele von kreativen Bewältigungsstrategien, die dir in der letzten Woche begegnet sind?

Ich habe selbst vom 12. März an immer gedacht, man muss jetzt Wege finden, die auf die noch möglichen Präsentationsformen zugeschnitten sind und da landet man automatisch beim Livestream. Nach dem Motto: „Ansteckungsgefahr für Zuschauer*innen vermeiden – ok, wir streamen aus dem ada Studio – easy“. Als dann klar wurde, man kann sich da über kurz oder lang nicht in Gruppen treffen, gab es den Moment von: „Ah, wir präsentieren jede*r bei sich zu Hause und streamen von dort.“ Und jetzt sind wir gerade an dem Punkt, den Präsentationsmoment – die Aufführung an sich – neu zu befragen und zu überlegen: Was ist denn eigentlich das Resultat meiner Arbeit? Geht die Kunst nicht schon viel früher los? Gibt es Wege, die Arbeit als Prozess zu zeigen, zum Beispiel in einem Blog, der Notizen, Fotos, Videoschnipsel, Zeichnungen versammelt und am Tag der Premiere freigeschaltet wird? Lässt sich der Prozess selbst als Aufführung denken?

Der zeitgenössische Tanz ist keine repräsentative Kunst. Der kann andere Wege finden und natürlich auch mal im Wohnzimmer stattfinden. Die spannende Frage ist doch: Wie fächert sich der Moment der Präsentation – wir sind alle mit Publikum in einem Raum zur selben Zeit am selben Ort – unter den aktuellen Bedingungen in räumliche und zeitliche Diversität auf? Ich habe neulich ein großartiges Video aus der TanzTangente gesehen, in dem eine junge Frau eine Impro-Szene in ihrer Küche erarbeitet hat. Wie sie die Schublade rauszieht und das Messer rausholt, war das Beste, das ich seit langem gesehen hab‘!

Wie wird sich nach Covid-19 nicht nur der Tanz und die Kunst, sondern auch unser Leben verändert haben? Welche Spuren wird diese Ausnahmesituation hinterlassen haben?

Das ist superkomplex. Mein Grundgefühl ist: Es wird alles auf Null sein. Dieser Satz: „Man kann sich eher das Ende der Welt vorstellen, als das Ende des Kapitalismus“, ist ja jetzt auf eine paradoxe Art und Weise wirklich geworden. Es fühlt sich an wie das Ende der Welt und ist gleichzeitig nicht das Ende des Kapitalismus.

Ich glaube, es wird total divers sein. Wenn es um gesamtgesellschaftliche Solidarität geht, bin ich leider nicht so optimistisch. Ich fürchte, dass sich doch die Stärkeren durchsetzen werden. Aber mit ein bisschen Glück wird einiges andere auch besser werden. Systeme werden hoffentlich hinterfragt, zum Beispiel wenn es um Lieferketten oder Produktions- und Arbeitsbedingungen geht. Dank dieser wundervollen Videokonferenzen werden Binnenflüge hoffentlich obsolet…

Und für die Kunst bin ich super optimistisch, dass genau diese Formate, die wir jetzt finden, Teil der zukünftigen Tanzpräsentation und des künstlerischen Arbeitens bleiben werden.

Wie wird das „social distancing“ – die Abwesenheit der Körper oder der verordnete Abstand zwischen den Körpern – den Tanz als körperliche Kunst beeinflussen?

Es ist erstaunlich, wie man sich doch an das Bild der Distanz gewöhnt. Wie schnell sich der ‚Sozialvertrag‘ dessen, worauf sich eine Gesellschaft geeinigt hat – Selbstverständlichkeiten wie Händeschütteln, Umarmungen, Beisammensein – verändert. Gestern schaue ich den Tatort und ich denke „Moment, warum sind die alle im selben Zimmer?“. Es entstehen neue Vorstellungen von konformen und non-konformen Verhaltensweisen, die sich einbrennen und wiederum selbst zur Norm werden. Ich denke, es ist die Frage, wie lange das alles noch dauert – davon hängt ab, ob man das alles wieder einüben muss…

Wenn wir davon ausgehen, dass Tanz die direkteste aller Künste ist, lässt sich argumentieren, dass er am Ende auf leibliche Präsenz angewiesen ist. Die kinästhetische Wahrnehmung ist so wichtig – es geht nicht allein um Hören und Sehen. Das erklärt, warum bei klassischen Live-Streams oder Videoaufnahmen immer eine Dimension fehlt. Ich glaube, die Rolle des Tanzes wird in Bezug auf Körperlichkeit und Wahrnehmung die gleiche bleiben. Der Irrtum liegt vielleicht eher darin, anzunehmen, vorher wäre alles ganz sozial und un-distanziert gewesen.    ◂

Kuratiert von Julek Kreutzer und Diethild Meier
A.PART-Festival 2020
18. April – 17. Mai 2020
ada Studio im digitalen Raum
www.apart-festival.com

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