von links: Diethild Meier, Gabi Beier, Julek Kreutzer. Foto: Johanna Withelm, Editing Diethild Meier

Das jährlich im Mai stattfindende A.PART-Festival bietet Tanzstudierenden und Absolvent*innen eine Plattform für erste choreografische Arbeiten. Tanzraumberlin-Redakteurin Johanna Withelm spricht mit dem Kuratorinnenteam Julek Kreutzer und Diethild Meier sowie der künstlerischen Leiterin und Geschäftsführerin des ada Studio, Gabi Beier, über das diesjährige Festivalprogramm, dessen kuratorische Vision und darüber, was sich für das Festival durch die erstmalige Förderung der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa verändert. Wir treffen uns an einem kalten Morgen im März im Büro des ada Studio auf dem Gelände der Uferstudios.

Interview: Johanna Withelm

Die diesjährige Ausgabe läuft unter dem Motto „A.PART-Festival 2023 macht Radau – es wird bunt, lustig und laut“. Wie kam es zu dieser Setzung?

Diethild Meier: In den künstlerischen Positionen in diesem Jahr geht es viel darum, sich bemerkbar zu machen, das Wort zu ergreifen. Das Wort Radau hat etwas Anachronistisches und Subversives, aber auf eine sympathische, vielleicht kindliche Art. Und das Bunte ist etwas, das sich bisher durch alle Festival-Ausgaben zog, weil es keine ästhetische Linie oder Thematik gibt, sondern ein Zusammenwirken von komplett unterschiedlichen Herangehensweisen an Tanz. Und wir feiern diese bunte Mischung.

Julek Kreutzer: Wir haben in diesem Jahr 69 Bewerbungen erhalten, mehr als je zuvor. Und es gibt momentan so einen Drive unter den Leuten, und das Bedürfnis danach, laut zu sein.

Diethild Meier: Ein bisschen auf die Kacke hauen.

Was bewegt die jüngste Generation Berliner Choreograf*innen zurzeit und wie schlägt sich das im Festival-Programm nieder?

Diethild Meier: Es gibt eine Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen mit Fragen rund um Self Care, Speaking up, um Machtstrukturen und Identität.

Julek Kreutzer: Es sind sensible Themen, denen sich die Choreograf*innen tastend und fühlend nähern. Und gleichzeitig geht es ums Rausgehen und Lautsein. Die diesjährigen Festivalkünstler*innen beschäftigen sich zum Beispiel mit dem selbstermächtigenden Aspekt von Lovesongs in der Popmusik, sie machen den Mund auf und ergreifen das Wort, sie erforschen die eigene Stimme und das Unwohlsein mit ihr. Sie reflektieren über Tod und Sterben aus der Perspektive einer Clownin oder verarbeiten ihre Erfahrungen mit der deutschen Ausländerbehörde. Es treffen verschiedene Formsprachen aufeinander, zum Beispiel wird es ein Musical geben, eine Bewegungsstudie der Alltagsgesten und eine mittelalterliche Boyband die mit Elementen des Drag arbeitet.

Gabi Beier: In allen Arbeiten ist eine Komponente der Selbstermächtigung zu finden. Es ist spannend, dass sich das so institutionsübergreifend durchzieht.

Neben den bekannteren Ausbildungsstätten Berlin Dance Institute, Dance Intensive Programm der Tanzfabrik, ETAGE - Schule der Darstellenden Künste Berlin, Hochschulübergreifendes Zentrums Tanz Berlin (HZT) und Tanzakademie balance 1 ist in diesem Jahr auch das DART Programm Berlin und das motion*s Studio dabei. Wie kam es zu der Erweiterung?

Julek Kreutzer: Das DART-Programm ist in diesem Jahr erstmalig unter den Bewerbungen aufgetaucht, ein Ausbildungsprogramm, das an eine zeitgenössische Company mit Sitz in Potsdam angegliedert ist. Das motion*s Studio war mit seinem Vorausbildungsprogramm mit Schwerpunkt Urban Dance bereits in den letzten zwei Festival-Ausgaben vertreten – eine faszinierende Schule mit einer starken Community und einem verrückten, sehr breiten Angebot.

Diethild Meier: Uns geht es vor allem um die Künstler*innen, die von diesen Ausbildungsprogrammen kommen, und die eben auch versuchen, in der Berliner Tanzlandschaft Fuß zu fassen. Wir wollen hier ganz bewusst den Tanzbegriff öffnen und den Bereich Urban Dance nicht als kommerziell abstempeln, sondern genau hinschauen. Dann können wir sehen, dass Choreograf*innen aus diesem Bereich ebenso interessante Arbeit machen und ebenso kritisch denken, sie wenden nur eine andere Ästhetik an.

Julek Kreutzer: Es ist problematisch, wenn diese Menschen per se nicht als Künstler*innen wahrgenommen werden. Und es erzeugt auch Wut auf die zeitgenössische Tanzszene.

Gabi Beier: Die Frage „Wer darf auf die Bühne?“, die wir als Motto vor ein paar Jahren dem Alumni-Festival vorangestellt hatten, ist immer noch hochaktuell.

Das Festival wird in diesem Jahr erstmalig durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert. Was hat sich dadurch verändert?

Gabi Beier: In den letzten Jahren haben wir das Festival immer gerade so mit dem Budget des ada Studios realisiert, was dazu führte, dass das ada im Sommer schon fast bankrott war, und für den Rest des Jahres nicht mehr viel riskiert werden konnte. Das ist okay und ich bin jetzt alt genug, um damit umgehen zu können, aber es lähmt ein bisschen. Jetzt ist es so, dass wir viel freier denken und arbeiten können. Außerdem ist das Programm größer geworden, wir können mehr Künstler*innen einladen und die Honorare erhöhen. Der Großteil des Budgets fließt in die Honorare der Künstler*innen.

Diethild Meier: Wir haben die Teilnehmenden dazu ermutigt, dass wirklich alle Mitwirkenden im Projekt auch bezahlt werden, was für die Studierenden und Alumni noch nicht selbstverständlich ist. Wir reden immer von Solidarität und von Unterstützung, aber natürlich bedeutet das auch, dass künstlerische Arbeit angemessen bezahlt werden muss. Und das, was wir den Teilnehmenden jetzt anbieten, ist immer noch weit entfernt von einem echten Produktions-Budget, aber das ist auch nicht das Ziel. Es geht darum, einen gemeinsamen Prozess zu gestalten, in dem alle Teilnehmenden ein angemessenes Honorar bekommen.

Gabi Beier: Es ist wichtig, den Alumni zu vermitteln, dass dies der normale Weg ist. Und das vorzuleben – sehr früh mit Vertragsverhandlungen anfangen und sich selbst nicht unter Wert verkaufen – erzeugt einen riesigen Lerneffekt.

Diethild und Julek, ihr seid freischaffende Künstlerinnen. Wie prägt das eure kuratorische Praxis?

Julek Kreutzer: Grundlegend, weil wir ganz automatisch aus einem künstlerischen Verständnis heraus handeln. Allerdings setzen wir als Kuratorinnen ja keine Linie, an der wir uns abarbeiten, sondern wir laden Menschen dazu ein, in einen Austausch zu treten.

Wir kuratieren eine Gruppe, deren Mitglieder sich inspirieren können und fragen uns in der Auswahl auch immer, wer davon profitieren kann.

Diethild Meier:  Wir sind uns klar darüber, was wir uns gewünscht hätten oder was uns gefehlt hat im Übergang zwischen Studium und Beruf. In Berlin gibt es ein gewisses Einzelkämpfertum das durch die Förderstruktur bedingt ist – jede*r ist darum bemüht, eine Projektförderung zu bekommen, und die meisten bleiben dabei auf der Strecke. Wir versuchen dieser Mentalität etwas entgegenzusetzen. Die erste Festival-Ausgabe, die wir kuratiert haben, fand im Frühling 2020 im Lockdown statt. Und schlagartig hat das ein Licht geworfen auf all die Schattenseiten unseres beruflichen Lebens. Auf das, was sonst sowieso fehlt und was durch die Pandemie noch verstärkt wurde. Und wir saßen dann in unseren Zoomfenstern und uns war sofort klar, wir arbeiten jetzt mit den Teilnehmenden weiter und sind füreinander da. Diese Einsicht hat sich fortgeschrieben in alle weiteren Festival-Ausgaben.

 

A.PART-Festival für Berliner Tanzstudierende und Alumni 2023

Mit Arbeiten von:

Joanina Suchomel und Andreina Eymann, Libertad Esmeralda Iocco, Katherine Rojas Contreras und Pimon Lekkler, Giulia Lampugnani, Samira Aakcha und Constantin Carstens, Maia Joseph, Hana Stojaković, Adèle Aïssi-Guyon und Marta Ruszkowska, Mateo Argerich, Jessica Ikonen und Nastasja Berezin, Aminata Reuß, Sointu Pere und Oli Fierz, Kristen Rulifson und Mei Bao

5.- 7. Mai 2023, 19 Uhr, Programm 1, ada Studio Berlin

Videostream auf www.ada-studio.de vom 9.-12. Mai 2023

12.-14. Mai 2023, 19 Uhr, Programm 2, ada Studio Berlin

Videostream auf www.ada-studio.de vom 16.-19. Mai 2023

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