Kunst des Aufhörens
In den Sophiensælen steht ein Leitungswechsel bevor: Andrea Niederbuchner und Jens Hillje übernehmen ab der kommenden Spielzeit die künstlerische Leitung. Nach notwendigen Baumaßnahmen wird im Dezember 2023 das neue Programm starten. Mit Ende der Spielzeit 2022/2023 endet auch die Zeit Franziska Werners, die seit 2008 am Haus ist, seit 2011 als Künstlerische Leitung. tanzraumberlin-Redakteurin Johanna Withelm spricht mit ihr über den bevorstehenden Abschied und blickt auf die letzten 15 Jahre zurück. Wir treffen uns an einem Nachmittag im März im Büro der Sophiensæle.
Interviw: Johanna Withelm
Wie geht es Dir jetzt kurz vor Deinem Abschied?
Franziska Werner: Mir geht es sehr gut. Es herrscht gerade eine besondere Atmosphäre am Haus, und ich kann vieles, das sich über die Jahre eingeschliffen hat, nochmal anders schätzen. Ich freue mich darauf, bald loszulassen und die Verantwortung abzugeben. Für mich ist es gerade ein toller Luxus, dass ich mich zum Ende hin nochmal auf das aktuelle Programm konzentrieren kann, ohne mich parallel schon um die nächste Spielzeit kümmern zu müssen. Zum Glück ist die Pandemie soweit abgeklungen, dass wir zum Ende nochmal volles Programm machen können. Es macht Spaß, viele bekannte Künstler*innen hier zu haben, mit denen ich eine langjährige künstlerische Beziehung habe. Aber es wird in den nächsten Wochen auch nochmal einige neue Namen und Arbeiten am Haus zu sehen geben.
Wie kann man in unserer Wachstumsgesellschaft heute eigentlich ein gutes Aufhören gestalten?
Franziska Werner: Für mich geht es darum, nach 15 Jahren diese Institution auch wieder zu verlernen, weil sich ja alle Gedanken, Konzepte und Projekte immer im Rahmen der Sophiensæle bewegt haben. Mal wieder ins Offene gehen. Es stellt sich ja viel öfter die Frage, wie man coole Anfänge gestalten kann. Über die Kunst des Aufhörens wird wenig gesprochen, aber gerade als Dramaturgin weiß ich, wie wichtig das Ende ist. Ein gutes Ende ist die halbe Miete.
Wie war Dein persönlicher Anfang in den Sophiensælen?
Franziska Werner: Ich kenne das Haus seit seinen Anfängen 1996, zunächst als Besucherin. Ich fand früher wie heute die Räume toll. Mit der Atmosphäre und dem besonderem Potenzial war das so ein Ort, wo man einfach hingegangen ist, manchmal auch nur um im Foyer abzuhängen, aber dieses Gefühl ist natürlich stark mit dem Berlin der Neunziger verbunden. Mit einer guten Freundin wollte ich dann zum Jahrtausendwechsel irgendwo Geld verdienen und wir waren auf der Suche nach einem Ort, an dem es cool und lustig ist. Die Sophiensæle waren damals bekannt für ihre Silvesterparties, wir sind dann ganz unbedarft in das Büro hineinspaziert und haben gefragt, ob wir an Silvester an der Bar arbeiten können. Das hat auch geklappt, allerdings haben wir nicht an der Bar gearbeitet, sondern am Einlass Stempel verteilt. Irgendwann haben wir dann mit dem Stempeln aufgehört und auf der Tanzfläche im Festsaal gefeiert, es war ein lustiger Abend, danach habe ich neben dem Studium tatsächlich zwei Jahre an der Bar gearbeitet. Dann war ich ein paar Jahre weg aus Berlin, und bin 2008 als Produktionsdramaturgin ans Haus zurückgekehrt. 2011 habe ich die künstlerische Leitung übernommen.
Wie hat sich die Berliner Tanzszene in Deiner Wahrnehmung im Lauf der Jahre entwickelt?
Franziska Werner: Die Tanzszene hat einen starken Emanzipationsprozess durchgemacht und ist heute viel professioneller, selbstbewusster, ausdifferenzierter und bildet einen sehr starken Anziehungspunkt. Dass Choreografinnen wie Florentina Holzinger oder Constanza Macras heute an Stadttheatern spielen war früher undenkbar. Es ist schon Wahnsinn, wieviel da passiert ist. Künstlerisch und ästhetisch hat sich auch viel bewegt – früher gab es ja den Grabenkampf zwischen Tanz-Tanz und Konzept-Tanz, das ist heute nicht mehr so präsent. Heute ist der Tanz stärker als je zuvor und für mich aktuell eine Kunstform, von der sehr viel innovative Impulse ausgehen. Ich habe das Gefühl, dass gerade nach der Pandemie der Tanz als eine genuin körperliche Kunstform nochmal wichtiger geworden ist. Ich merke das auch an der Resonanz des Publikums die nach den pandemiebedingten Schließungen sehr stark war und ist.
Welchen Stellenwert hatte und hat der Tanz an den Sophiensælen?
Franziska Werner: Die Sophiensæle waren immer eine wichtige Adresse für den Tanz und sind es auch weiterhin. Ich habe versucht den Tanz am Haus zu stärken und fest zu verankern, das war ein langer Prozess. Das Nachwuchsfestival Tanztage Berlin ist ein starker Pfeiler im Profil der Sophiensæle. Mit Peter Pleyer als freiberuflichem Tanzkurator hatten wir den Wunsch, den Tanznachwuchs langfristig im Programm zu verankern. Für diese Aufbauarbeit brauchst Du natürlich Kolleg*innen am Haus, die diesen Prozess kontinuierlich betreuen, es gab aber lange Zeit nicht genügend finanzielle Ressourcen dafür. Mit Anna Mülter als Nachfolgerin haben wir dann zumindest eine halbe feste Stelle geschaffen, das war schon ein Fortschritt. Erst seit 2020 haben wir mit Mateusz Szymanówka eine Tanzdramaturgie-Vollzeitstelle im Team, die längst überfällig war. Was nun aber immer deutlicher wird, ist das finanzielle Loch der Tanztage Berlin. Leider ist in der kommenden Konzeptförderung für die Sophiensæle dafür kein Aufwuchs vorgesehen. Ich muss aber sagen, dass es nicht mehr vertretbar ist, ein produzierendes Festival dieser Größenordnung mit 120.000 Euro im Jahr zu realisieren, auch nicht mit den neuen Empfehlungen zu den Honoraruntergrenzen. Da klaffen die Außenwahrnehmung dieses renommierten Festivals und die finanzielle Realität sehr weit auseinander. Ein substanzielles Budget von 250.000 Euro im Jahr ist notwendig, um das Festival weiter angemessen realisieren zu können.
Vom 25. Mai bis zum 1. Juli findet das letzte Festival in Deiner Zeit als Künstlerische Leitung statt, es heißt Leasure & Pleasure. Wird es auch Tanz zu sehen geben?
Franziska Werner: Mit Leisure & Pleasure präsentieren wir ein sechswöchiges Festival zu den politischen Dimensionen von Genuss, Erholung und Freizeit. Themen wie Arbeitsethik, Work-Life-Balance, Care, Selbstausbeutung und Pausen gegen die Erschöpfung sind ja auch in der Tanzszene vieldiskutiert. Und es werden tatsächlich viele Tanzproduktionen zu sehen sein. Gleich zum Eröffnungswochenende zeigen Jeremy Nedd und Impilo Mapantsula erstmals in Berlin die Produktion The Ecstatic, eine präzise Bewegungsstudie, die anhand des südafrikanischen Pantsulas dem Moment ekstatischen Erlebens nachspürt. Und in Fiebre lädt das Team um Tamara Alegre in eine fiktive Landschaft voll Schleim und Glibber ein, in der Erotik und Begehren zur Quelle der Ermächtigung werden. Aber auch viele weitere Namen aus der Tanzszene sind mit dabei, wie Jen Rosenblit, Ania Nowak, Juan Pablo Cámara, Lecken, Sophie Guisset, Joanna Tischkau, Ceylan Öztrük, Angela Alves, public in private/ Aimé C. Songe, Double Much und einige mehr. Die Tanzschaffenden haben einfach sehr viel zu diesen Themen beizutragen! Für mich ist es wirklich toll, dass ich damit meine Zeit an den Sophiensælen beenden kann, wer verabschiedet sich nicht gerne mit Pleasure.
Wie wird Dein Sommer aussehen?
Franziska Werner: Ich werde viel Zeit in meinem Garten in Brandenburg verbringen, diverse Reisen machen und in Ruhe Menschen besuchen mit endlich einmal mehr Zeit als nur für einen Kaffee.
Am 1. Juli wird Dein Abschiedsfest stattfinden. Was wirst Du am 2. Juli machen?
Franziska Werner: Wahrscheinlich schlafe ich entspannt aus und fahre dann in den Garten raus. Wenn das Wetter schön ist, werde ich zum See radeln und eine lange Runde schwimmen.
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