Ausgabe März/April 2021

Weiter tanzen!

Seit 30 Jahren fördert die fabrik Potsdam alle Facetten des zeitgenössischen Tanzes.

Aus einem besetzten Fabrikgebäude ist ein internationales Zentrum für Tanz und Bewegungskunst erwachsen: Die Entwicklung der fabrik Potsdam von ihrer Gründung 1991 bis heute würdigt Astrid Priebs-Tröger, die als Autorin für die Potsdamer Neuen Nachrichten schreibt.

Text: Astrid Priebs-Tröger
Freie Journalistin

Als im Wendewinter 1989/90 junge Kreative ein verlassenes Fabrikgebäude in der Potsdamer Innenstadt besetzten, ahnten sie nicht, dass sie damit den Grundstein für eine inzwischen 30-jährige Erfolgsgeschichte legten. Damals entstanden im Schatten der politischen Wende erste Strukturen von freien Theatern in Brandenburg. Und so wurde 1991 auch der Verein fabrik Potsdam e. V. gegründet, dessen Aushängeschild nach wie vor die Potsdamer Tanztage sind, die sich im vergangenen Jahr bereits zum 30. Mal jährten.

Aufsteigen, Fallen, Weitergehen

Nach dem ersten Lockdown waren sie lakonisch-optimistisch mit „Weiter tanzen“ überschrieben und vom Mai in den August verschoben worden. Und während das Berliner Festival Tanz im August nahezu vollständig digital stattfand, entwickelte die fabrik unter Hochdruck angepasste Formate und zahlreiche Open-Air-Angebote für ihr Publikum. Wie beispielsweise die „Fugue / Trampoline“-Performance des kanadischen Tänzers und Akrobaten Yoann Bourgeois, die zur Eröffnung kongenial unsere krisenhafte Gegenwart spiegelte.

Aber seine Allegorie auf das menschliche Leben – Aufsteigen, Fallen, Weitergehen – hat im weitesten Sinne auch mit der Entwicklungs­geschichte der fabrik Potsdam zu tun. Die damaligen Gründerväter Wolfgang Hoffmann und Sven Till (Sabine Chwalisz stieß erst 1992 dazu) haben sich damals stark an ihrem Vorbild, der Tanzfabrik in Westberlin, orientiert. Diese jungen Menschen hatten als selbst ernannte „Selbsthilfegruppe“ eine Vision für ihr soziokulturelles (Tanz-)Zentrum: Sie wollten sich und anderen Räume schaffen, um ihr kreatives Potenzial zu erfahren und auszuprobieren. „Durch die Zusammenführung verschiedener Kunstrichtungen unter einem Dach – Zeitgenössischer Tanz, Körpertheater und Musik – versucht die fabrik, festgefahrenen Strukturen entgegenzuwirken“, schrieben sie in einer ihrer ersten Selbstdarstellungen.

Aus diesen Anfängen ist nach dem Wegzug aus dem maroden Fabrikgebäude in der Gutenbergstraße und der etappenweisen Konsolidierung im Kunst- und Kulturquartier Schiffbauergasse ein internationales Zentrum für Tanz und Bewegungskunst geworden – nicht nur sichtbar mit und bei den Potsdamer Tanztagen, die jährlich bis zu 7.000 Besucher*innen, im Corona-Jahr 2020 immerhin 3.000 anzogen, sondern auch mit Kooperationen wie Dance in Residence, Choreografen-Residenzen über Studio Québec oder internationalen Netzwerken wie Étape Danse. Das 19-köpfige Team um Sabine Chwalisz und Sven Till unterstützt kontinuierlich Potsdamer Künstler*innen wie das Künstler*innenkollektiv Kombinat, die Company von Laura Heinecke oder das Duo Anita Twarowska und Murillo Basso.

Künstlerischer Leuchtturm im Flächenland

Als künstlerisch ins Land ausstrahlender Leuchtturm für Bewegungskunst strickt die fabrik Potsdam seit 2015 verstärkt künstlerische Netzwerke mit Akteur*innen aus der Region, wie jüngst mit der Tanzkompanie von Golde Grunske aus Cottbus über Dance in Residence Brandenburg. Dieses neue überregionale Kooperations- und Netzwerkprojekt der fabrik-Tochtergesellschaft fabrik moves und unter anderem der TanzWERKSTATT Cottbus wird aus Mitteln des Bundesprogramms Neustart Kultur gefördert und soll als überregionales Kooperations- und Netzwerkprojekt Strukturen für den Tanz in Brandenburg stärken und für die Zukunft sichern.

Das bundesländerübergreifende Netzwerkprojekt Explore Dance, in dem die fabrik gemeinsam mit Hamburg und München Tanzprojekte für Kinder und Jugendliche fördert, wurde 2019 mit dem Deutschen Theaterpreis ausgezeichnet.

Darüber hinaus sieht sich die fabrik in einem ostdeutschen Flächenland, in dem es keine universitäre Kunstausbildung gibt, als Vermittlerin zwischen Ausbildung und Praxis, sichtbar nicht nur in der Kooperation mit dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin, sondern auch mit dem dualen Studiengang Bewegungspädagogik und Tanz in Sozialer Arbeit der Potsdamer Fachhochschule Clara Hoffbauer.

Explosionswunsch von innen

Die eindrucksvolle Entwicklung der fabrik Potsdam vollzog sich immer aus der Selbstbehauptung heraus, als Expansionswunsch von innen, und sie findet seit drei Jahrzehnten unter den einengenden Bedingungen von jährlicher Projektförderung durch das Land und die Stadt Potsdam statt. Trotzdem gelang es, nachhaltige Strukturen zu schaffen, die auch jetzt während der Corona-Krise anderen zugutekommen. Die fabrik engagiert sich unter anderem im Aktionsnetzwerk KulturMacht-Potsdam, das sich seit Sommer 2020 auf die Fahnen geschrieben hat, die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur für Potsdam sichtbarer zu machen und dabei eine möglichst große Zahl von Kulturakteur*innen zu beteiligen – nicht nur im Corona-Kontext, sondern langfristig darüber hinaus.

Die fabrik wird aller Voraussicht nach auch zukünftig Motor sein und nachhaltige künstlerische Impulse geben, die den Facettenreichtum von Tanz sichtbar machen. Seit 2015 gelang Ihr das beispielsweise mit der Förderung des Nouveau Cirque unter dem Schirm des zeitgenössischen Tanzes. Dieser soll endgültig aus dem Nischendasein befreit und als selbstverständlicher Teil von Kunst und Kultur, und im wahrsten Sinne des Wortes barrierefrei, zugänglich werden. So wie bei den 30. Potsdamer Tanz­tagen, die nicht nur mit „Fugue / Trampoline“ von Yoann Bourgois sondern auch mit „Fremdgehen“ von Sabine Zahn oder „Hope Hunt“ von Oona Doherty diesen Weg überzeugend aufzeigten.

MADE IN POTSDAM 2021. Ein Kunstspaziergang
17. – 28. März 2021
fabrik Potsdam und Kunstraum Potsdam
www.fabrikpotsdam.de

Folgt uns