Dirty Sexy Money
Arm aber sexy sein – schon lange Schnee von gestern oder im-mer noch der Status Quo der freien Tanzszene? Im Rahmen der diesjährigen Tanztage Berlin vom 5. bis 20. Januar gibt es neben dem Bühnenprogramm eine Zukunftswerkstatt zum Thema Geld und ein Panel, das sich mit Nachwuchskünstler*innen und deren Anliegen beschäftigt. Aus diesem Anlass und ausgehend von der Geschichte der Tanztage Berlin denkt Tanztage-Kurator Mateusz Szymanówka über Selbstausbeutung von Künstler*innen, nach-haltige Finanzierungssysteme und über generationenübergrei-fende Verantwortung nach.
Text: Mateusz Szymanówka
Tanzdramaturg, Künstlerischer Leiter Tanztage Berlin
Im Jahr 2009 hat das Team der Tanztage Berlin unter der Leitung von Peter Pleyer die teilnehmenden Künstler*innen gebeten, einen Fragebogen zu ihren Arbeitsbedingungen auszufüllen. Das Experiment ergab, dass die meisten Projekte über einen Zeitraum von einigen Wochen bis mehreren Monaten mit einem Budget zwischen 0 und 800 Euro entwickelt wurden, in der Regel mit einem sehr bescheidenen Koproduktionszuschuss des Festivals. Die Informationen über die Finanzierung der Aufführungen und die dafür vorgesehene Probenzeit wurden in der Festivalbroschüre zusammen mit den Texten, die die Aufführungen beschreiben, veröffentlicht – sehr zum Unmut der damaligen Kulturverwaltung, wie es heißt. Mit dieser Taktik sollte nicht nur die prekäre wirtschaftliche Situation der Nachwuchs-künstler*innen verdeutlicht werden, sondern auch die Notlage des Festivals selbst: Während ein Großteil der Welt mit den Folgen der globalen Finanzkrise zu kämpfen hatte, wurde die Grundfinanzierung der Tanztage gestrichen, was Sorgen um ihre Zukunft aufkommen ließ – nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass sich dieses Problem im Lauf ihrer Geschichte stellte. Mit der diesjährigen Ausgabe wird das Festival dank einer einmaligen Zusatzförderung durch den Hauptstadtkulturfonds Produktionsbudgets von etwa 15.000 Euro anbieten, vergleichbar mit der Einstiegsförderung der Berliner Senatsverwaltung. Die Zahlen mögen sich seit 2009 geändert haben, doch einiges ist geblieben: Trotz Erfolgsgeschichte und Publikumsliebling stehen die Tanztage nach wie vor auf keinem gesicherten finanziellen Fundament und sind auch durch die Selbstausbeutung ihrer Teilnehmer*innen möglich. Die fast drei Jahrzehnte ihres Bestehens – von den DIY-Wurzeln am Pfefferberg bis zur allmählichen Institutionalisierung in den Sophiensaelen – sind ein Zeugnis für die Prekarität und Widerstandsfähigkeit der Szene. In gewisser Weise sind die Tanztage immer noch das, was viele aufstrebende Künstler*innen zu sein verdammt sind: sexy, aber arm. Aber wer will das mit Ende 20 schon sein?
Auch heute ist es noch erschreckend häufig der Fall, dass Tanz- und Performancekünstler*innen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, mit kaum finanziellen Mitteln arbeiten. Vor allem in der bildenden Kunst geben verschiedene Galerien neue Arbeiten von darstellenden Künstler*innen mittels Stipendien in Auftrag, die weit hinter dem zurückbleiben, wofür die Tanzszene vehement gekämpft hat. Gleichzeitig ist das öffentliche Fördersystem undurchsichtig und erfordert eine spezielle Ausbildung, um sich in seiner Komplexität zurechtzufinden. Für internationale Künstler*innen kommt noch hinzu, dass die Übersetzung ins Deutsche ein zusätzlicher Kostenfaktor darstellt. Viele Aufführungen, die in der Stadt präsentiert werden, kommen dank alternativer Ressourcen wie familiärer Unterstützung, Spenden von Freund*innen oder dem Zugang zu einem Proberaum, der oft nicht mehr als ein Wohnzimmer ist, zustande. Der Tribut, den all dies fordert, ist beträchtlich: Das unregelmäßige Einkommen, der Spagat zwischen mehreren Jobs, die Knappheit der Möglichkeiten und der Wettbewerb bei gleichzeitig hohem Erfolgsdruck wirken sich oft auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nachwuchskünstler*innen aus. In Zeiten, in denen Studierende und Absolvent*innen des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz Berlin (HZT) ihre Zukunftsängste in diesem Bereich äußern, ist es dringend notwendig, ihre Sorgen aufzugreifen und sie ebenso ernst zu nehmen wie die der etablierten Künstler*innen, die aus dem Fördersystem herausgefallen sind. Kurzum, dies ist ein Plädoyer für die generationenübergreifende Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft und fordert die Unterstützung derjenigen, die in Bezug auf Sichtbarkeit und Möglichkeiten genug kompensiert wurden, um von Politik und Medien gehört zu werden. Dieses Plädoyer erfordert zudem unermüdliche Gespräche über Geld in einer Gesellschaft, in der man, wie das deutsche Sprichwort besagt, nicht über Geld spricht, sondern es hat. Ein weiterer, absolut entscheidender Aspekt dieses Problems ist die Frage, wie der Tanz innerhalb des Kapitalismus selbst funktioniert und wie sich unsere Herausforderungen mit den breiteren gesellschaftlichen Kämpfen überschneiden. Diese Selbstbetrachtung ist von zentraler Bedeutung, um ein nachhaltiges Finanzierungssystem zu schaffen, das die Künstler*innen nicht verschlingt und wieder ausspuckt. Ohne die Spannung zwischen künstlerischer Autonomie und wirtschaftlichen und politischen Realitäten zu verstehen, werden wir nicht in der Lage sein, die unbestreitbare Wahrheit anzusprechen, dass Kürzungen in der Kulturförderung im Kern immer ideologisch sind.
Bei einem Treffen in den Uferstudios im Heizhaus vor der Eröffnung der letztjährigen Tanznacht stellte die junge Choreografin Pamela Moraga eine Frage, die zum Nachdenken anregte: Wie sähe eine Tanzszene aus, wenn es genug für alle gäbe? Für mich war dies ein Echo auf das, was die zeitgenössische wachstumskritische Theorie als das "gute Leben" beschreibt – ein Lebensstil, der sich auf Wohlbefinden, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und sinnvollen Wohlstand konzentriert und die Bedeutung von sozialen Beziehungen, Gemeinschaft und Freizeit betont. Diese Frage habe ich ins neue Jahr mitgenommen, und ich hoffe, dass sie auch bei den Tanztagen Berlin 2024 diskutiert wird, wo wir traditionell und schonungslos mit unseren Freund*innen und Kolleg*innen über unsere Arbeit sprechen werden.
Forever Young? On emerging artists, aesthetics and concerns in Kooperation mit dem Performing Arts Program: 15.1.2024, 19 Uhr
Future Workshop #4 MONEY in Kooperation mit dem ZTB e.V.: 16.1.2024, 19 Uhr
TANZTAGE BERLIN 2024
5. - 20. Januar 2024
Sophiensæle
www.tanztage-berlin.sophiensaele.com