edition May/June 2019

Zur Nachahmung empfohlen

Wie sich der Runde Tisch Tanz Berlin aus Hamburger Perspektive darstellt

Runder Tisch Tanz, Treffen im HAU © Xenia Leydel Runder Tisch Tanz, Treffen im HAU © Xenia Leydel

Drei zentrale Entwicklungsziele für die Berliner Tanzszene nennt der Abschlussbericht des Runden Tisch Tanz: die Verbesserung der Künstler*innenförderung, die Stärkung der vorhan- denen Tanzorte und die Einrichtung eines Hauses für Tanz und Choreografie. Darauf haben sich die Beteiligten – Tanzschaffende aller künstlerischen und organisatorischen Bereiche, Kulturpolitiker*innen und Mitglieder der Kulturverwaltung – in einem partizipativen Prozess 2018 geeinigt. Als auswärtige Beobachterin hat Kerstin Evert am _Runden Tisch Tanz_ teilgenommen. Lange in Berlin als Tanzwissenschaftlerin und Dramaturgin tätig, ist sie seit 2006 Künstlerische Leiterin des Choreographischen Zentrums K3 in Hamburg. Wie sieht sie den Berliner Vorstoß in Vergleich mit dem Förderprogramm Tanzplan Deutschland, dem sich die Gründung von K3 verdankt? Inwieweit hat der Runde Tisch Tanz eine bundesweite Vorbildwirkung?

Text: Kerstin Evert
Künstlerische Leitung K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg, Tanzwissenschaftlerin, Dramaturgin

Zu Beginn ein Blick zurück: Im Jahr 2005 startete die Initiative der Kulturstiftung des Bundes Tanzplan Deutschland mit einer Tour: Auf Initiative der Stiftung kamen – zumeist zum ersten Mal – in verschiedenen Städten Vertreter*innen aus Kulturpolitik und -verwaltung mit Akteur*innen der Tanzszenen zusammen, um gemeinsam Ideen für die Entwicklung des Tanzes vor Ort zu konzipieren. Das finanzielle Engagement der Städte und Länder wurde befördert durch das Match Funding von Tanzplan. So wurden im Zeitraum von 2006 bis 2010 in neun Städten Projekte angestoßen, die den Tanz vor Ort deutlich gestärkt haben. Die konzeptionellen Schwerpunkte reichten von Tanzausbildung über Tanzvermittlung und Erhöhungen von Freie-Szene-Projektmitteln bis zur Gründung choreografischer Zentren wie K3 in Hamburg oder den Uferstudios in Berlin.
Allerdings war zumeist mehrjährige Überzeugungsarbeit nötig, um die Weiterfinanzierung zu sichern. Die Finanzkrise 2008 schien ein „gutes“ Argument, um die sehr erfolgreichen Projekte nicht weiter zu fördern. Die _Tanzplan_-Ausschreibung hatte ausdrücklich Nachhaltigkeit über 2010 hinaus verlangt, dennoch zeigte sich fast überall, dass Tanz haushaltspolitisch weit hinter anderen Kunstformen rangierte. Vielleicht einfach deshalb, weil die notwendigen Summen zu niedrig waren, um wirklich wichtig zu sein und politischen Handlungsdruck zu erzeugen? Seit der Tanzplan-Phase aber ist das Selbstbewusstsein der Tanzszene deutlich gewachsen, nicht zuletzt, weil Interessenvertretungen im politischen Feld eigenständig für die Kunstform agieren.

Strategie zur vollen Potenzialentfaltung
Berlin ist trotz steigender Mietpreise weiterhin der Magnet für die internationale Tanzszene. Dass die Kulturpolitik in Berlin nach langer Überzeugungsarbeit der Tanzszene finanzielle Mittel bereitgestellt hat, um 2018 mit dem _Runden Tisch Tanz_ in einem partizipativen Prozess mit den unterschiedlichen Akteur*innen ein zukunftsfähiges Konzept für den Tanz zu entwickeln, sollte deshalb Signalwirkung weit über Berlin hinaus haben, denn positive Entwicklungen in der Berliner Förderpolitik können auch in anderen Städten politischen Handlungsdruck für den Tanz erzeugen. Zwar ist die Berliner Tanzlandschaft mit ihren – laut Abschlussbericht des RTT – über 2.400 Tanzschaffenden und über 1.700 Vorstellungen pro Jahr allein schon durch diese Menge nicht mit anderen deutschen Städten vergleichbar. Doch die Bedarfe sind überall sehr ähnlich. So sind die Empfehlungen des RTT in großen Teilen auf andere Städte und Bundesländer übertragbar: als Analyse der für die nachhaltige Entwicklung des Tanzes notwendigen Maßnahmen, Instrumente und Strategien. Das macht den RTT so wichtig für den Tanz insgesamt, nicht nur in Berlin.
Der Berliner Kulturpolitik liegt nun ein 80 Seiten starker, detaillierter Bericht vor, dessen Empfehlungen sie eigentlich „nur noch“ umsetzen muss. Dass die Szene intern bei allen Einzelinteressen produktiv diskutieren und streiten kann, ist ebenfalls ein wichtiges Ergebnis. Beeindruckend ist, wie detailliert die Beteiligten der AGs sich mit fünf Themenschwerpunkten beschäftigt haben, um einen umfassenden Ansatz dafür zu entwickeln, wie Tanz seine künstlerischen, gesellschaftlichen, politischen, sozialen und bildenden Potenziale voll entfalten kann. An den Themen der AGs und den Empfehlungen zeigt sich, dass viele Fragen, die auch 2005 behandelt wurden, weiterhin aktuell sind. Das betrifft die adäquate Förderung künstlerischer Arbeitskontinuität, die Stärkung der bestehenden Tanzorte, die Etablierung künstlerischer Forschung, bezahlbare (Proben-)Räume, den Ausbau der Tanzvermittlung, die internationale Distribution von Produktionen und Maßnahmen zur Ganzhabe (ein von der AG Diversität geprägtes Wort, in dem eine umfassendere Vorstellung von Beteiligung zum Ausdruck kommt als im Wort Teilhabe, Anm. d. Red.). Zentral aber ist aus meiner Sicht die Empfehlung, in Berlin endlich ein Haus für Tanz und Choreografie zu gründen und perspektivisch 2025 zu eröffnen, ein eigenständiges Tanzvermittlungszentrum und Tanzarchiv inklusive.
Ein Haus für den Tanz in Berlin ist überaus wichtig für die Kunstform insgesamt, kann man eigenständige Orte für den Tanz in Deutschland doch eher an einer denn an zwei Händen abzählen. Kulturinstitutionen schaffen schon durch ihre Existenz – eine gewisse Größe vorausgesetzt – Wahrnehmung, erzeugen durch Verortung in Form einer Immobilie Sichtbarkeit und Ansprechbarkeit. Woraus wiederum gesellschaftliche Anerkennung entsteht, denn etablierte Institutionen werden zumeist als Repräsentation von Fachkompetenz betrachtet. Vielleicht ein etwas schiefer Vergleich: Bei aller Kritik scheint die Elbphilharmonie in Hamburg dennoch eine stärkere politische Aufmerksamkeit auch für andere Kulturbereiche in der Stadt zu schaffen. Wenn sich also das inhaltliche Profil des neu zu gründenden Hauses klug in die bestehende Tanzlandschaft einfügt, dabei gezielt bislang bestehende Leerstellen fokussiert, dann kann das Haus eine wichtige Katalysatorfunktion für die Kunstform erreichen, von der am Ende der Tanz insgesamt – in Berlin und bundesweit – profitiert.

Anregung: größer denken!
Klar, die Umsetzung der Empfehlungen kostet Geld. Aber weiterhin ist Tanz in den Kulturhaushalten deutlich schwächer aufgestellt als andere Kunstformen. Diese Unterfinanzierung zeigt auch der Abschlussbericht des RTT: Selbst in Berlin mit seiner Vielzahl an Tanzschaffenden und Vorstellungen erreicht die Gesamtfördersumme des Tanzes – inklusive Ballett – im Schnitt von 2015 bis 2017 mit 15,3 Mio. Euro gerade die Fördersumme eines Sprechtheaters, der Schaubühne am Lehniner Platz. Die im Abschlussbericht errechneten Mehrausgaben für die Umsetzung der ersten Maßnahmen in den Jahren 2020 und 2021 belaufen sich auf 6,3 Mio. Euro. Auch hier lohnt der Vergleich mit dem institutionellen Theater, denn diese Summe ist laut RTT-Bericht halb so hoch wie der Jahreshaushalt des Maxim Gorki Theaters.
Haushaltspolitiker verweisen bundesweit bereits wieder auf anstehende Zeiten mit weniger sprudelnden Steuereinnahmen. Es ist zu hoffen, dass dem Tanz nicht wie 2008 wieder auf die Füße fällt, dass er – anders als andere Sparten – immer noch kaum mit institutionellen Förderungen in Haushaltsplänen verankert ist und die Finanzbedarfe im Vergleich immer noch „klein“ sind. Mit dem Abschlussbericht des RTT hat Berlin nun den Vorteil vieler guter Argumente, um sich finanziell signifikant für den Tanz einzusetzen. Nun braucht es den Mut der politischen Entscheider*innen, das zurzeit vorhandene Geld für die volle politische und finanzielle Umsetzung der RTT-Empfehlungen bereit zu stellen.
Die Stärkung des Tanzes in Berlin hat dann hoffentlich nicht nur einen deutlichen Effekt für die dortige Szene. Vielmehr sollten andere Bundesländer und Städte sich dazu auf- und herausgefordert sehen, auch vor Ort Runde Tische zu starten, Fördermittel zu erhöhen, bestehende Strukturen und damit den Tanz insgesamt zu stärken. In jedem Fall sollte sich, dem Beispiel Berlins folgend, eine deutlich gesteigerte Wertschätzung des Tanzes in Kulturhaushalten und Förderinstrumenten landauf und landab niederschlagen. Soll Tanz auf hohem künstlerischem Niveau überall zugänglich sein, ist dies enorm wichtig – denn sonst ist das Ungleichgewicht zwischen einer für Tanzschaffende attraktiven TanzHAUPTstadt Berlin und sich ausdünnenden Szenen in anderen Regionen absehbar.

Perspektive 2025
In sechs Jahren eröffnet also innerhalb einer bis dahin deutlich gestärkten Berliner Tanzszene als eine der letzten Maßnahmen der RTT-Empfehlungen in Berlin das Haus für Tanz und Choreografie. Parallel dazu entwickelt sich bundesweit ein dezentrales Netz von unterschiedlich profilierten Kompetenzzentren, ist Tanz insgesamt nachhaltig strukturell und finanziell gestärkt, können Tanzschaffende auf Grundlage substanzieller Förderungen kontinuierlich arbeiten, ist es selbstverständlich, dass Intendant*innen von Stadt- und Staatstheatern aus dem Tanz kommen. Zudem besteht das zurzeit von 2018 bis 2021 laufende Förderprogramm Tanzpakt Stadt – Land – Bund weiter, das modellhaft auch für andere politische Felder zeigt, wie die föderalen Ebenen produktiv zusammenwirken können. (Zum Tanzpakt Stadt – Land – Bund siehe auch das Interview auf Seite 12, d. Red.)
Die Überzeugungsarbeit für den Tanz geht weiter. Der Runde Tisch Tanz Berlin und die Umsetzung seiner Empfehlungen sind dabei wichtige Schritte mit hoffentlich bundesweiter Signalwirkung, für den Tanz größer zu denken!

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