edition January/February 2020

Zukunftsweisendes Zeichen

Mit dem Pilotprojekt Tanzpraxis wird erstmals die tägliche künstlerische Praxis honoriert.

Tanzhonorar, Arbeitsgruppe "Money and more" des Runden Tisch Tanz 2018 © Xenia Leydel

Strukturell gestärkt wird der Tanz in Berlin: das beschloss das Parlament im Dezember 2019. Basierend auf den drei Säulen „Kontinuität künstlerischen Arbeitens“, „Stärkung dezentraler Infrastruktur“ und „Neue Einrichtungen für den Tanz“ werden nun die Maßnahmen aus dem Runden Tisch Tanz angegangen. Besonders erfreulich: Mit dem Pilotprojekt Tanzpraxis werden in den nächsten zwei Jahren mehr als 30 Tänzer*innen/Choreograf*innen für die Professionalisierung ihrer künstlerischen Praxis kontinuierlich mit einem monatlichen Festbetrag gefördert. Konzipiert wurde das auch als ‚Tanzhonorar‘ bezeichnete Modell in einer Arbeitsgruppe des Runden Tisches Tanz 2018. Wie es funktioniert, beschreiben Mitglieder der Gruppe.

Gabi Beier in Zusammenarbeit mit Sunniva Vikør Egenes, Kareth Schaffer, Katarzyna Wolinska und Benjamin Pohlig
„AG Money and more" des Runden Tisch Tanz 2018

Das Projekt Tanzpraxis (Arbeitstitel: Tanzhonorar) ist in der Arbeitsgruppe „Money and more“ am Runden Tisch Tanz 2018 entstanden. Es tauchte als Stoppschild in der Debatte um die Überarbeitung des bestehenden, projektbasierten Fördersystems für die darstellenden Künste und den Tanz in Berlin auf: Die Beteiligten, in der Mehrzahl Tänzer*-Choreograf*innen, wollten sich gleich in der ersten Sitzung einmal die Frage gestatten, ob man denn weiterhin ausschließlich die Kunst(-Produkte) fördern wolle oder ob es denn gerade in der Kunstform Tanz nicht vielmehr darum gehen müsse, ein Förderinstrument für die Künstler*innen und ihre tägliche künstlerische Praxis zu entwickeln, das ihnen ein langfristiges, kontinuierliches, nachhaltiges Arbeiten ermöglicht. Die kleine Sub-AG, die sich fortan damit befasste, nannte sich zunächst „Utopia“, woran man sieht, dass sich anfangs keine*r vorstellen konnte, solch ein Förderprogramm in die Realität umsetzen zu können. Ein internationaler Rundumblick zeigte jedoch, dass es in einigen Ländern solch ein Förderinstrument bereits gibt, und es wurde beschlossen, anhand dieser Beispiele ein Berliner Modell zu entwickeln.

Norwegen als Vorbild

Da in der AG mit Sunniva Vikør Egenes eine norwegische Künstlerin vertreten war, wurde das norwegische Modell in den Fokus genommen. Getragen von der norwegischen Tänzer*innen-Gewerkschaft NODA vergibt das Programm in einem differenzierten System und abhängig davon, an welchem Punkt ihrer professionellen „Karriere“ sich die Bewerber*innen befinden, Förderungen – für die Dauer von ein bis drei Jahren für junge Künstler*innen bzw. mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren oder bis zum Eintritt ins Rentenalter für etablierte Künstler*innen. Der Betrag wird monatlich ausgezahlt und bemisst sich in der Höhe an der unteren Einkommensgrenze des Landes.

Nach mehreren Telefonaten mit Kristine Karåla Øren, Leiterin des Norwegischen Tanzkünstler*innenverbands Norske Danskunstnere beschloss die Gruppe, das norwegische System so zu adaptieren, dass daraus ein realisierbares Förderinstrument für den Tanz in Berlin entsteht, das Tänzer*innen und Choreograf*innen in der Ausübung ihrer künstlerischen Praxis nachhaltig fördert.

Künstlerische Prozesse jenseits der Projektlogik

Eine Probe-Ausschreibung in der Berliner Tanzszene im Sommer 2018 sollte Informationen darüber liefern, wie die Künstler*innen ihre Praxis beschreiben und welche Kriterien der Bewertbarkeit sich daraus destillieren lassen. In kürzester Zeit entwickelte die Gruppe ein Online-Bewerbungsverfahren, über das sich Berliner Tänzer*innen und Choreograf*innen, die zu dem Zeitpunkt länger als drei Jahre künstlerisch in der Stadt tätig waren, für ein „imaginäres“ Tanzhonorar bewerben konnten.

Da die Ergebnisse bereits auf dem Symposium „Konkrete Utopien – Berliner Zukunftsperspektiven für den Tanz“ im September 2018 vorgestellt werden sollten, stand für diesen Modellversuch nur eine kurze Zeitspanne von fünf Wochen zur Verfügung. Die Bewerber*innen sollten sich selbst kurz vorstellen, ihre künstlerische Praxis beschreiben und eine Idee entwickeln, wofür sie das Tanzhonorar verwenden würden und auf welche Art die Professionalisierung ihrer künstlerischen Praxis in die Gesellschaft hinein wirken würde.

Es gingen 105 Modellbewerbungen ein, die in der Zusammenschau ein lebendiges Bild dessen abgeben, was möglich wäre, wenn die tagtägliche Arbeit der Tänzer*innen und Choreograf*innen entlohnt werden würde. Nahezu alle Künstler*innen beschrieben den Wunsch, andere Formen des Teilens der künstlerischen Arbeit jenseits klassischer Bühnenformate entwickeln zu wollen. Natürlich soll und wird es auch weiterhin Tanzstücke auf den Bühnen dieser Stadt geben, und auch potenzielle Träger*innen des Tanzhonorars werden diese kreieren, aber es geht darum, parallel zum projektorientierten Arbeiten künstlerische Prozesse zu fördern, die keiner Projektlogik folgen.

Kontinuität fördern

Tänzer*innen zum Beispiel, die täglich trainieren und im Moment davon abhängig sind, dass ein*e Choreograf*in sie engagiert und über eine Projektförderung honoriert, haben derzeit keine Chance, sich selbst über öffentliche Fördertöpfe zu finanzieren, obwohl sie kontinuierlich an der Professionalisierung ihrer tänzerischen Praxis arbeiten. Choreograf*innen könnten zwischen den Projekten, für die sie unter Umständen öffentliche Förderung erhalten würden, kontinuierlich weiter arbeiten, die begonnene Praxis fortführen oder eine neue entwickeln.

Das Land Berlin könnte mit dem Pilotprojekt Tanzpraxis, einer fundierten, wissenschaftlichen Evaluierung und einer Übernahme in das reguläre Berliner Förderprogramm ab 2022 Vorreiter für eine wirklich nachhaltige, zukunftsweisende Künstler*innenförderung sein und damit Alternativen auch für andere Bereiche der Gesellschaft aufzeigen.

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