Wie können wir Menschen, Bedeutungen und Dinge zusammenbringen, die normalerweise getrennt sind, und wie eine Praxis der Offenheit als eine alltägliche Praxis kultivieren?
In drei Dialogen zwischen Künstler*innen und Vermittler*innen und im Publikumsspiel “100 Fragen an die Tanzvermittlung” wird das Spektrum von Tanzvermittlung offengelegt.
Aufeinander trafen :
Jeremy Wade (Choreograf/Performer) – Maren Witte (Professorin für Theatertheorie, Tanz- und Bewegungsforschung an der Hochschule für Künste im Sozialen Ottersberg),
Jenny Beyer (Choreografin) – Diego Agulló (Dilettantischer Künstler und freier Researcher), Sabine Zahn (Choreografin für Bewegungstheater und sonstiges) – Martin Clausen (Performer/ Moderator)
Moderation: Susanne Martin
Do we need to tune in and if yes, how? Publikumsfrage
1 Salon, 1 Gastgeberin, 6 Gäste, 1 Publikum, 15 beschriebene Kartons im Bühnenraum. Begriffe wie proximity, social codes, safety, Hierarchie, host guest sind zu lesen. Gastgeberin dieses Salons ist Susanne Martin. Und weil ihrer Meinung nach nicht zu unterschätzen ist, dass Menschen sich eingeladen fühlen, heißt sie entsprechend willkommen, widmet sie sich dem Publikum und lädt es ein, Fragen zu sammeln, um sie am Ende des Salons zu stellen.
Fragen! Darum geht es in dem Salon vor allem – um Fragen an die Tanzvermittlung, um die Fragen der Gäste aneinander und um Fragen vom Publikum an das, was in diesem Salon verhandelt wird. Aber erst einmal wird gespielt! Denn darum geht es auch. Im Rahmen eines Spiel-Vortrags-Frage-Settings sind die 6 Gäste eingeladen, jeweils zu zweit 5 min mit den Kartons „zu spielen“, in 10 min 2 Statements zu geben, und am Ende Fragen vorzulesen, die sich ihnen im „Spiel“ und während des Statements des Partners oder der Partnerin stellten.
What could be a suggestion for diversity in artistic communication? Maren Witte
Die Annäherung der sechs Gäste an die bedeutungsschwangeren Kartons heißt an diesem Morgen auch: Bühne frei für unterschiedlichste Herangehensweisen an Begriffe, Objekte, Bedeutungsgenerierung, Kommunikationsstrategien und an das Gegenüber: Während die einen sich Zeit nehmen, die Begriffe zu lesen und für das Publikum lesbar zu machen, interessiert andere das sinnliche Spielen mit den Objekten. Während jemand versucht, Zusammenhänge zwischen Begriffen herzustellen, lässt ein anderer Assoziationsräume durch Zufall entstehen. Wo die einen Ordnung schaffen, reißen andere sie ein.
Individuell und vielfältig ist das Vorgehen der Gäste im Spiel. Ihre Gedanken sind allerdings nah beieinander, wenn sie über die Begegnung mit dem Publikum sprechen: Von Räumen für „Austausch“ ist die Rede, für „Berührung“, „Beisammensein“, „Nachbarschaft“ und „Nähe“, von „Erfahrungsräumen“ und „Veränderungen in Innenräumen“.
Wie können wir Menschen, Bedeutungen und Dinge zusammenbringen, die normalerweise getrennt sind, und wie eine Praxis der Offenheit als eine alltägliche Praxis kultivieren? Diego Agulló
Dahin zu gelangen, wo man selbst noch nicht war – als Mensch und als Tänzer, dorthin, wo der Körper und der Tanz noch nicht waren, das fasziniert Diego Agulló: the “risk to be transformed”. Nach Austausch mit Fremden und mit Menschen aus anderen Bereichen sucht Jenny Beyer. Nach einem Feld, in dem Unsicherheit entsteht, wo Rollen getauscht werden oder Grenzen verschwimmen, wo sich beide Seiten verändern können und ein Drittes entsteht. Aber braucht es dafür tatsächlich mehr Formate? Und eine spezifische Form der Kommunikation? fragt Jeremy Wade. Was ist künstlerische Produktion denn anderes als ein Kommunikationsprozess? Warum gehen die Gelder für Vermittlungsarbeit nicht direkt an die KünstlerInnen? Und braucht es überhaupt die Institution des Theaters für die angestrebten Begegnungsräume?
Was ist die Oberfläche meiner Arbeit? Wann berührt sie Menschen? Und wie mache ich sie größer? Jenny Beyer
Inwiefern sich Vermittlungsarbeit überhaupt von der eigenen künstlerischen Praxis trennen lässt, fragen sich mehrere der eingeladenen KünstlerInnen an diesem Morgen. Vermittlung sei eine Haltung, eine Perspektive und das Anliegen, Berührungspunkte mit dem Publikum entstehen zu lassen. Die „Oberfläche der eigenen künstlerischen Arbeit“ zu vergrößern, zugunsten dieser Berührungspunkte beschreibt Jenny Beyer als essentiellen Teil ihrer Arbeit; wie etwa in ihren „open Studios“, wo sie das Publikum frühzeitig in den künstlerischen Prozess hineinholt. Oder wie bei Sabine Zahn, wenn sie Menschen in die künstlerischen Räume einbezieht, die mit dem Produktionsprozess in Kontakt kommen, sei es der Hausmeister, ein Nachbarn oder ein Kind.
Wie gehe ich in den Innenraum anderer Menschen? Sabine Zahn
Wenn die Begegnung nun stattfindet, wie gelangt man dann in den „Innenraum von Menschen“, wie Martin Clausen es beschreibt? Wie kommuniziert man? Und welche Gefahren birgt die Kommunikation, die heutzutage meist effizient, sauber und beständig aktiv zu sein hat? Die nicht selten hierarchisch und bevormundend ist, und wo auch in Vermittlungsinitiativen erzieherische und normative Tendenzen präsent sind, so Jeremy Wade. Sollte man das Feld nicht doch der Kunst überlassen, „which is good in fucking with communication, to fight for breaking the social code attached to communication“?
Explizite Antworten gab es auf keine dieser vielen Fragen. Implizite schon. Sie waren versteckt in den Fragen und in dem Erlebten. Denn am Ende durfte auch das Publikum spielen, sich begegnen, an Innenräume anklopfen und Fragen stellen, wie etwa: „Come on, do you really think it is actually realistic that everyone participates?” oder “Welches Potential eröffnet sich für Vermittlung im Rückgriff auf eine spontane choreografische performative Aktion ohne Worte?“
Zwar wurden nicht ganz 100 sondern nur 62 Fragen generiert, diese stehen hier als pdf-Download zur Verfügung.
Dokumentation: Christin Schmidt