Im Traumkörper
Inspiriert von Carmen Maria Machados "Das Archiv der Träume" (Orig. "In the Dreamhouse")

Text: Parvathi Ramanathan
Tänzerin, Forscherin und Schriftstellerin, mit gelegentlichen Ausflügen in die Poesie.
Traumkörper als Lichtdesign
Du liegst im Dunkeln, bereit anzufangen. Du öffnest deine Augen – und ein Lichtstrahl kommt heraus. Das Licht hat eine Farbe Deiner Wahl – ein gedämpftes Weißblau um das Mondlicht zu imitieren, ein metallisches Rot für einen Hauch von Geheimnis oder ein leuchtendes Grün für eine Unterwasserwelt. Du steuerst das Licht mit Deinen Gedanken. Es werden keine Fresnel- oder PAR-Dosen benötigt, um die Tanzperformance zu beleuchten. Deine Augen machen alles.
Du bewegst dich durch den Raum und zeichnest einen schwungvollen, violett gefärbten Bogen. Unabhängig voneinander wie die Augen eines Chamäleons kannst Du sogar zwei Farben auf einmal produzieren.
Trotz dieser Talente müssen Tänzer*innen natürlich auch Mini-Jobs annehmen.
Heute Abend: Auftritt im Club, um die Tanzfläche zu beleuchten. Etwas zur Begleitung von Minimal Techno.
Blinzeln-Blinzeln-Blinzeln-Blinzeln! Lila-Lila-Lila-Mauve!?
Ups! Technische Probleme.
Traumkörper als Doktorknie
Notiz des Doktors
Datum: 17.11.2009
Symptom: Schmerzen im rechten Knie
Diagnose: Entzündung im Meniskus aufgrund von Überanstrengung
Medikation: Kalte Kompressen. Dehnen. Ruhe für 5 Tage.
Notiz des Doktors
Datum: 20.11.2009
Symptom: Knackendes Geräusch im rechten Knie
Diagnose: Radialer Riss im Meniskus
Medikation: Probenpause bis zur Heilung
Notiz des Doktors
Datum: 30.11.2009
Symptom: Starke Schmerzen ohne Beweglichkeit
Diagnose: Hartnäckiger Riss. Verrenkung.
Medikation: Aufhören. Einfach aufhören.
Datum: 5/12/2009
Doktor im Urlaub
Traumkörper als bequeme Freundschaft
Ah! Dieser Bauch und seine weichen Kanten. So geschmeidig zum Anfassen! Wie schön er sich abhebt und sich im Raum vor Dir ankündigt. Die Vertiefung Deines Bauchnabels ist wie ein tiefer Brunnen, in dem ein Esslöffel Olivenöl ruhig stehen könnte. Feines Haar an den Seiten und dichtes Haar in der Mitte, wie eine bezaubernde Präriewiese. Du spreizt deine Finger weit und versuchst, so viel wie möglich von deinem Bauch in jede Hand zu bekommen, und schüttelst ihn kräftig. Du lachst. So wie Du auf einer Party Hände schüttelst und Dich vorstellst, mit jemandem lachen als ob Du es ernst meinst.
Den anderen geht es gut. Dir auch. Es gab Zeiten, in denen diese Freundschaft angespannt war. Aber jetzt fühlst Du Dich in ihrer Gegenwart wohl. Ihr tröstet euch sogar gegenseitig.
Traumkörper als vollmundiges Drama
Zweiunddreißig Figuren drängen sich um einen Platz.
Akt I, Szene I:
Vier Kluge – potenziell lästig –
Aus dem Ensemble herausgerupft (von der Krankenkasse übernommen).
Traumkörper als Trugbild
In Deinem Traum befindest Du Dich in einer verrauchten Jazz-Bar. Die Pianistin spielt mit Verve, bis eine Stubenfliege auftaucht und um ihr Ohr schwirrt. Sie verscheucht die Fliege, aber ihre Hände kehren zur falschen Taste zurück und imitieren den Klang des summenden Insekts. Sie drückt sie wieder und wieder. Ding Ding ... weit entfernt von der Melodie von vorhin. Ding Ding...Dong. Ding Dong!
Es ist deine Türklingel. Du stehst aus dem Bett auf, um nach der Tür zu sehen, und vergisst die Magie, die dein Körper gerade vollbracht hat. In Sekundenschnelle hat er die Handlung eines Traums erschaffen und dann eine kleine Änderung in der Handlung vorgenommen – alles mit einem akustischen Element – nur damit Du Dich in die wache Welt zurückbegeben kannst. Ding Dong.