Von der produktiven Leere
Janne Gregor über einen Zusammenstoß der Bewegungskulturen, aus dem ihr neues Stück entstand.
Janne Gregor ist ausgebildet in Physical Theatre und hat Choreografie am Hochschul übergreifenden Zentrum Tanz Berlin studiert. Wie unterschiedlich das Verständnis von körperlichem Einsatz im zeitgenössischem Tanz bisweilen ist, zeigt ihr Beitrag. Für Janne Gregor sind diese Unterschiede produktiv – entstanden ist aus dem von ihr erlebten Clash der Körperkulturen ihr neues Stück. „erSCHÖPFUNG“ hat im Januar am Theater discounter TD Berlin Premiere.
Text: Janne Gregor
Performerin und Choreografin
Es war Viertel nach. Die Tänzerin kam ins Studio, balancierte einen Kaffee und ein halbes Croissant in den Händen. Sie legte ab und zog sich um: „Na dann werd’ ich mich mal aufwärmen!“, sprach’s und legte sich auf den Boden. Lag da. Die Augen geschlossen. Atmete, atmete. Schlief sie?
Ich beobachtete sie und wurde müde. Meine Gedanken wanderten. Wann hatte ich mich selbst zum allerersten Mal „aufgewärmt“? Vermutlich als ich mit der Akrobatikausbildung begann. Dort stürmten wir die Halle und starteten nach dem Rennen und Trampolinspringen unsere 10 breiten Klimmzüge, 20 einbeinigen Kniebeugen, 30 Liege- stütze auf Fäusten, 40 Rückenheber und 50 Situps. Nach kürzester Zeit glitzerten unsere Stirnen und Augen und es verdunkelten sich unsere T-Shirts. Wir schwitzten! Die Luft in der Halle war zum Zerschneiden. Das waren unsere Körper! Die konnten was.
Die Tänzerin rührte sich. Atmete ein, drehte in Zeitlupe ihren Kopf und ... atmete aus! Einen langen Luftstrom.
Lange Luftströme zu machen, um keine Seitenstiche zu bekommen – so hatte ich es vor vielen Jahren gelernt, bei einer Physical Theatre-Kompanie in Tschechien. Denn so konnte man ewig weitermachen. Und darum ging es dort. Wer beim Essen gesehen wurde, wurde ausgelacht, nirgendwo gab es Stühle und es wurde nicht geschlafen – denn ständig gab es etwas zu trainieren, kreieren, erfinden, bauen oder proben. Dem Körper wurde abverlangt.
Und gehe ich nicht genau darum als Zuschauerin ins Theater? Um den Performenden nahe zu sein, während sie sich bewegen, tanzen, verausgaben, erschöpfen, schwitzen. Während sie uns etwas erzählen, indem sie an oder mit sich arbeiten. Sie ihren Körper der Performance zur Verfügung stellen, ihn in eine andere, in eine Bühnen-Energie bringen, die sich auf meinen Zuschauerinnenkörper übersetzt und auch hier etwas zum Schwingen bringt?
Ich grübelte. Wurde ungeduldig. Ich wollte, dass sie sich bewegt. Warum eigentlich? Irgendwie hielt ich das für besser. Ich wollte Einsatz statt Einkehr. Doch fast war ich etwas neidisch, wie sie so da lag, alle Viere von sich gestreckt.
So hatte ich auch mal gelegen, als ich völlig erschöpft nach Hause kam und mich entgegen meiner sonstigen Hamsterigkeit tagsüber hinlegte. Ein mir sehr fremdes Tun. So lag ich also da, unfähig, mich zu rühren. Und das Erste, was ich bemerkte, war, dass mich kein schlechtes Gewissen plagte. Es war richtig, hier zu liegen. Es war gut. Eine herrliche Leere durchflutete meinen Kopf. Eine Leere, die entsprang, weil ich vorher gewirkt hatte. Ein gutes Nichts! Und dann wurde das Nichts produktiv. Mir schwebte ein Stück mit Menschen vor, die es sich zum Lebensinhalt gemacht hatten, sich körperlich zu verausgaben. Sportler. Eine Boxerin. Würde eine Boxerin sich cremend in eine Ecke zurückziehen, weil ihr Knie schmerzte? Nein! Die würde sogar boxen, wenn Knie, Nase, Arm und Leber schmerzten. Die würde dann erst recht boxen!
Doch will man das überhaupt sehen? Menschen, die sich körperlich völlig entkräften, denen die Gesichtszüge entgleisen, deren Zusammenbruch vorhersehbar ist? Vielleicht guckt man da lieber weg, macht das Licht aus. Und dann hört man sie nur noch. Ja! Alle Sequenzen der körperlichen Verausgabung würden in Dunkelheit stattfinden, so dass man den Atem, die Schritte und Schläge der Performenden nur noch hören könnte. Ab und zu blitzte Licht auf, eine fotoähnliche Momentaufnahme von den Performenden würde sichtbar. Dann wieder Dunkelheit und ihre Geräusche. Trotz geöffneter Augen würde man nur Bruchteile sehen. Die Bilder der Verausgabung auf der Bühne gingen in den Köpfen des Publikums weiter, würden von ihm selbst erschaffen.
Doch um die körperliche Verausgabung würde es in dem Stück gar nicht gehen. Sondern um die Leere danach. Um Stillstand. Und das, was daraus Neues entstehen kann.
Die Tänzerin war noch immer still. Doch ich merkte, dass sie etwas tat. Sie bewegte sich minimal, ruckelte vielleicht ein paar Faszien zurecht. Es folgten kleine Verdrehungen, Dehnungen, Anwinklungen. Sie öffnete ihre Augen und gähnte mir geradewegs und erstaunlich lang und glücklich ins Gesicht. Es schien ihrem Körper richtig gut zu tun. Sie folgte ihm einfach.
Nach einer endlos langen Zeit des Liegens begab auch ich mich in die Vertikale, eine kleine Verdrehung, eine Anwinklung. Und so begann ich nach und nach, zu planen. Ein Stück mit Profis der Erschöpfung. Mit Menschen, die immer wieder über ihre Grenzen gehen. Zwei davon sind damit sogar Weltmeister*in geworden. „erSCHÖPFUNG“ sollte das Stück heißen.
Immer an die eigenen Grenzen zu gehen war also nicht der Weg. Sondern einfach erst einmal alle Viere von sich zu strecken.
„erSCHÖPFUNG“. Von und mit fünf Profis der körperlichen Verausgabung: Yara Atrisha Traore (Krumptänzerin + Krump-Weltmeisterin 2018), Charlotte Noack (Boxerin), Tamar Grosz (Tänzerin, von Gaga bis Ballett), Veronika Nowag-Jones (Schauspielerin mit 50 Jahren Bühnenerfahrung), Daniel „Mando“ Mandolini (Live-Musiker, Vize-Weltmeister im Teambeatboxen).