edition September/October 2019

Einjährige Affäre?

Meg Stuarts Tanzkongress: Als Sommerkurs eine durchaus gelungene Erfahrung, meint die Tanzjournalistin Christine Matschke. Für einen Kongress unter dem Motto „A Long Lasting Affair“ hätte sie sich mehr Raum für Reflexion und mehr soziale Nachhaltigkeit gewünscht.

Tanzkongress Kurs © Klaus Gigga Tanzkongress Kurs © Klaus Gigga

Christine Matschke
Tanzjournalistin

Der Tanzkongress 2019 war in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit. Erstmals legte die Kulturstiftung des Bundes die Leitung in künstlerische Hand: Unter dem Motto „A Long Lasting Affair“ lud die Choreografin Meg Stuart ans Festspielhaus Hellerau in Dresden.
Genau 500 Plätze für Tanzschaffende im weitesten Sinne standen für die fünftägige Großveranstaltung zur Verfügung. Eine spezielle Ausbildung war nicht erforderlich, körperliche Präsenz und Teilnahme an allen Tagen wurden vorausgesetzt, das Programm bis einen Tag vor Beginn geheim gehalten.

Wissen in Bewegung bringen
Es herrschte eine zwanglose Atmosphäre am Festspielhaus Hellerau, so als würde der Geist der Lebensreformbewegungen hier in einem zeitgenössischen Gewand wehen: Draußen im Garten wurde diskutiert, meditiert, Gemüse geschnippelt und abgewaschen – jede*r hatte Küchendienst. Wer wollte, konnte sich mit einem Gedicht am Poetry Place verewigen oder in einem Gewächshaus, gleich neben Hochbeeten, Kaffeeküche und Snack-Bauwagen, telepathische Postkarten verschicken.
Auch im Gebäude ließen sich intuitiv Schneisen durchs Programm schneiden. Die Türen standen offen, so dass man jederzeit zu den Gesprächen, Ritualen und den als Open-Level-Angebote konzipierten körperpraktischen Kursen dazustoßen konnte.
Wie bereits im Vorhinein in der Zeitschrift tanz von Meg Stuart angekündigt, war der gesamte Tanzkongress darauf ausgelegt, Wissen in Bewegung zu erfahren, zu generieren und auszutauschen. Auf ein Abendprogramm mit öffentlichen Aufführungen hatte die Choreografin deshalb bewusst verzichtet. Stattdessen lud sie mit „Down by the Water“ zum Publikumstag an die Elbe, inklusive Aufruf, eigene Pflanzen und Geschichten mitzubringen.

An losen Enden
Obwohl das Konzept marketingtechnisch gut gewählt war – im Hygienemuseum lief parallel die Ausstellung „Von Menschen und Pflanzen“ – blieben die kulturinteressierten Dresdner*innen genauso aus wie die erwartete Flut an Pflanzen und dazugehörigen Geschichten. Solch ein Projekt hätte funktionieren können. Etwa durch eine Kooperation mit einer lokal ansässigen staatlichen Tanzinstitution wie der Palucca Hochschule Dresden. Doch die Berliner Szene, aus der der größte Teil der Künstler*innen stammte, blieb weitgehend unter sich.
An ähnlich losen Enden hingen auch die Ergebnisse der sogenannten „conventions“, die am letzten Kongresstag stattfanden. In kleinen Gruppen wurde hier Brainstorming zu Themen wie Gemeinschaft und Abhängigkeit, Ökologie und Regeneratives Theater, zu Feminismus- und Konsum-Fragen betrieben. Es folgte ein Abschlusstreffen im großen Saal, bei dem den einzelnen Gruppen gerade mal fünf Minuten für ihre Präsentation blieben. Raum für gemeinsame Reflexion und Diskussion mit allen Anwesenden gab es nicht. Demokratische Teilhabe blieb symbolisch – die Stimme jeder*s Einzelnen fand nur beim Durchzählen aller rund 350 verbliebenen Teilnehmer*innen Gehör.

Gesamtgesellschaftlich kompatibel?
Gründe zu einer weitreichenden Auseinandersetzung hätte es hingegen genug gegeben. Bereits im Vorfeld waren aus Tanzkreisen kritische Stimmen laut geworden, auf der Webseite tanznetz.de etwa der Hinweis, dass die Bedingungen einer Akkreditierung nicht kompatibel seien mit Beruf und Mutterschaft – ein Aspekt, den auch die Feminismus-Gruppe aufgriff, der aber nicht weiter diskutiert wurde.
Was von diesen fünf Tagen nachhallt, sind zwei Fragen: Sollte Tanz, so sehr er sich auch an die Peripherien begibt, nicht immer als Teil der Gesellschaft gedacht werden? Und wie lässt sich auf einer staatlich finanzierten Großveranstaltung wie dem Tanzkongress nicht nur die ganze Vielfalt der Tanzszene erfahrbar machen, sondern auch Raum für konkrete Utopien schaffen?
Eine ernst gemeinte „Long Lasting Affair“ ließe die „conventions“ idealerweise in Arbeitsgruppen münden. Wurzeln schlagen durften sie im Vorhinein zum Kongress schließlich schon durch diverse international verortete Satellitenprojekte. Dazu gehörten etwa fünf vom Goethe-Institut ermöglichte Salons in New York, Bogotá, Madrid, Helsinki und Neu-Delhi. Möge der internationale Salon bei der Tanzplattform 2020 in München hier Überraschungen bereithalten.

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