Liebe Leser*innen,
vor 120 Jahren verkündete Isadora Duncan in ihrem ikonischen Berliner Vortrag Tanz der Zukunft: „Die Tänzerin der Zukunft wird nicht einer Nation, sondern der ganzen Menschheit angehören. Sie wird die Freiheit des Weibes in ihrem Tanze ausdrücken.“ Damit ebnete sie den Weg für einen Tanz der Freiheit und Emanzipation und entwarf ein Verständnis von Tanz als eine Art „Prophezeiungs-Praxis“.
Diese Ausgabe widmet sich dem Imaginieren der (Tanz-)Zukunft: Die Dramaturgin und Tanzwissenschaftlerin Mila Pavićević fragt sich in ihrem Essay Arguments for a Future Past, wie man über die Zukunft nachdenken kann: Ausgehend von Erlebnissen und Anekdoten aus ihrer Zeit als Dramaturgin in der kroatischen Hauptstadt Zagreb und gefärbt von den Erinnerungen an die politischen Geschichte Osteuropas, schlägt sie vor, Brücken zu bauen, breite Allianzen zu bilden und entwirft damit ein Plädoyer für eine Zukunft der Vielstimmigkeit. Wie man sich choreografisch der Zukunft nähern kann, darüber schreibt die Choreografin, Performerin und Bühnenbildnerin Cécile Bally in ihrem Text Orbital Inclination. Sie reflektiert darin ihre Arbeit mit Science-Fiction, wie sie diese als politische Praxis begreift und dazu nutzt, sich eine Zukunft vorzustellen, die immer auf sozialen Beziehungen und auf kollektiven Ängsten und Hoffnungen beruht. Auch unsere Kolumnistin Parvathi Ramanathan widmet sich den sorgen- und hoffnungsvollen Gefühlen der Zukunft – ihr Text The Body Amid a Surging River ist ein assoziativ-lyrischer Erfahrungsbericht und eine Reflexion auf den Körper in Zeiten des Protests. Es ist der vorerst letzte Text von Parvathi Ramanathan als Kolumnistin für das tanzraumberlin Magazin – danke Parvathi für Deine sechs feinsinnigen, lustigen und berührenden Kolumnen!
Auf der Suche nach dem Gemeinsamen in unserer krisenreichen Zeit versucht das tanzraumberlin Magazin zusammen mit dem Tanzbüro Berlin in 24 Fragen an die Zukunft ein Stimmungsbild der Tanzszene einzufangen. Die bedrückende weltpolitische Aktualität – der grausame Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, das unermessliche Leid der palästinensischen Bevölkerung in Gaza, der anhaltende Krieg in der Ukraine, die vielen weiteren Konflikten weltweit und nicht zuletzt das Erstarken rechtsradikaler Kräfte in unserem Land – bewegt die Akteur*innen des Tanzes auf sehr unterschiedliche Weise. Wie können wir uns bei allen legitimen Differenzen eine gemeinsame hoffnungsvolle Zukunft vorstellen, in der wir füreinander verantwortlich sind?
Der Frühling wird bald kommen und mit ihm wieder ein kleines Stück Aufbruch. Und die Motivation, sich mal wieder öfter vom Sofa weg in Richtung Theater zu bewegen. In der Heftmitte finden sich der Tanzkalender plus sechs Kurzvorschauen auf Premieren und Festivals. Schaut Euch Tanz an! Zum Beispiel beim Festival Love is a Verb am HAU, beim Auftakt der neuen Reihe neworks – Aesthetics of Access im ada Studio oder bei einer der vielen weiteren Tanzvorstellungen in Berlin und Potsdam.
Passt gut auf Euch und aufeinander auf, viel Spaß beim Lesen!
Johanna Withelm