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Workshop: „Zukunftsvisionen für Tanzvermittlung”

Am 20.01.2018, 15:00 Uhr

In Manifesten treffen Grundprinzipien, Bestandsaufnahme und Zukunftsentwürfe in verdichteter Form aufeinander – eine analytische, visionäre und sprachliche Herausforderung also. Nichts weniger als das war Ziel des dreistündigen Workshops: die Entwicklung kollektiver Manifeste für die Tanzvermittlung.

Mit einer Leichtigkeit luden die Leiterinnen des Workshops, Amelie Mallmann und Sonja Augart, dazu ein, und die Mission begann. Sie begann jenseits der großen Entwürfe mit der persönlichen Frage, welche Bedeutung Tanzvermittlung für jeden selbst habe. Und es folgte die Frage, welchen Stellenwert sie für Künstler*innen und Spielstätten und welchen für die Gesellschaft hat. Die Teilnehmer*innen dachten nach, gehend, stehend, sitzend, sie schrieben Gedanken auf Karten und ordneten diese an drei Tischen den drei Kategorien zu. Bedeutungen und Potentiale der Vermittlungsarbeit lagen damit offen: In den Dialog zu treten, um die eigene Perspektive zu erweitern und die eigene Praxis auf den Prüfstand zu stellen, waren zwei persönliche Motivationen. Von der Bedeutung des Vermittlungsraums als öffentlichem und gesellschaftspolitischem Raum war auf mehreren Papieren die Rede: Vom Ort, an dem Menschen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gemeinsam denken, sprechen und handeln. Wo Differenzen produktiv erfahrbar werden und Perspektivwechsel und Empathie „geübt“ werden können. Vom Ort, der dazu beitragen kann, soziale Ungleichheit und Formen des Ausschlusses zu verringern.

Was aber sind die Hindernisse und Fallstricke für solche wünschenswerten Vermittlungsräume? Die zweite Denkrunde startete. Erneut wurden Papier und Stift gezückt, und die Hindernisse kamen auf den Tisch: Die Schwellenangst vor der Kunst und ihren Institutionen seitens der Bevölkerung wird genannt. Auch die Gefahr einer zu spezifischen Sprache seitens der Vermittler*innen und die des Steckenbleibens im Expertendiskurs. Von selbstbezogenen, output- und sendungsorientierten Haltungen seitens der Vermittler*innen und Institutionen ist die Rede. Und von Angeboten, die die Wirkung einer künstlerischer Arbeit eher überlagern oder verzerren, anstatt sie zu vertiefen. Hindernisse seien auch fehlendes Bewusstsein für Privilegien und Machtverhältnisse und fehlende Konfliktfähigkeit oder zu stark ausgeprägte Harmoniebedürftigkeit. Am häufigsten aber wurde der Mangel an struktureller Unterstützung erwähnt – der Mangel an finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen und, damit wesentlich zusammenhängend, das fehlende Interesse an dieser Arbeit seitens vieler Akteur*innen der Tanzszene und Kulturpolitik.

Aber nähern wir uns diesen kollektiven Begegnungsräumen einmal anders. Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Menschen auf einem imaginären Floss. Es schwankt leicht auf dem Wasser und der Körper tariert beständig aus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Vielleicht ist zu spüren, wie beweglich die Gelenke sind oder wie die Wirbelsäule sich immer wieder neu aus- und aufrichtet. Stellen Sie sich nun vor, dass alle Gruppenmitglieder auf dem imaginären Floss in Bewegung kommen – wie es auch in dem Workshop der Fall war. Wie reagiert man, um nun auch das Floss in Balance zu halten? Wie entspannt oder angespannt ist man dabei? Wie gut spürt man die anderen? Wie bewusst erfasst man die Verteilung innerhalb der Gruppe und welche Dynamiken entstehen? Was ist die eigene Rolle in diesem Spiel – sucht man eher die Stabilität, oder fordert man die Gruppe mit einem „riskanteren“ Schritt heraus?

Herausfordernd wurde es für die Teilnehmer*innen nach dem sie das Floss verließen. Denn nun war es an der Zeit, Visionen zu entwickeln. Und die entstanden schneller als gedacht: Eine große Gruppe zu einer Veranstaltung einladen zu können – alle Bewohner*innen eines Seniorenheims, die Mitarbeiter*innen einer Kaserne oder alle shoppenden Menschen vom Aldi um die Ecke, war die erste geäußerte Wunschvision. Diese drei Gruppen aufeinander treffen zu lassen, und mit einem Teil dieser Menschen eine dreijährige Zusammenarbeit mit Künstler*innen zu etablieren, war die Fortführung der Vision. Diese Zusammenarbeit würde dann u.a. auf einem Austauschverfahren beruhen, bei dem etwa die Soldat*innen mit den Tänzer*innen tanzen und diese im Gegenzug eine Einführung in die Kasernenkultur bekämen.
Kommunale Musikschulen für den Tanz sollte es geben. Und ein „Tanzbürgerhaus“, ebenso Bürgerbühnen für den Tanz und sinnlich-körperliche Bildung in Schulen. Aber um beim Bildungsgedanken nicht zu lange zu verweilen – von dem die Vermittlung doch eher wegzukommen versucht – ein anderer Gedanke: Was wäre mit einem Probestudio in einem Shopping-Center und mit offenen Studiotüren nah an der Öffentlichkeit? Und wie wäre es zugleich, wenn wir den Anspruch fallen lassen würden, jeden oder jede erreichen zu müssen. Oder wenn es mehr Orte gäbe, die zwar Berührungspunkte zur Kunstwelt haben, an denen es aber primär nicht um Kunst geht. Wo es weder eine Botschaft noch eine Mission gibt, und wo einfach das Aufeinandertreffen von Menschen im Mittelpunkt steht. So eine Art „Kiezkantine“. Ein Wunsch eines Teilnehmers wäre es hierfür, mit Menschen arbeiten zu können, deren Profession es ist, Gastgeber*in zu sein, gewissermaßen „Begegnungs-Expert*innen“, die es vermögen, zwischenmenschliche und geistige Barrierefreiheit herzustellen. Und mit denen man Formate entwickelt, im Rahmen derer Menschen sich frei fühlen, um zu sprechen und ihr Expert*innen- oder Dilettant*innen-Wissen über die Kunst mitzuteilen. Formate, die mit der Zeit zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Programms einer jeden Spielstätte würden. Vielleicht würde dann der Vermittlungsbegriff auch durch einen anderen Begriff abgelöst werden, in dem der Dialog und die „Kunstwirkungsfortsetzung“ im Sinne Eva Sturms stärker im Zentrum stehen als das vermittelnde Element.

Nachdem die Teilnehmer*innen sich geistig frei geschwommen hatten, widmeten sie sich der Mission des Nachmittags: Den Manifesten. Körper und Geist waren mittlerweile aktiv und beweglich und Ambition und Leichtigkeit in guter Mischung im Raum verteilt. Und so entstanden nach kurzer Zeit diese drei Work-in-progress-Manifeste:

MANIFESTE
(Workshop-Arbeitsergebnisse)

I

YES TO
rehearsing and practicing communication
seeing – the unkown, the unexpected and surprises
openess – for spaces and new perspectives
maybe
everyone is an expert in experiencing art
make everybody feel invited to come to a show and to the theatre
spreading information well
everybody is a mover

II

JA zu Komplementarität von Vermittlung und Kunst
JA zu Vermittlung als eigenes Genre
JA zu klarer Definition von Kompetenzen der Vermittler*innen
JA zu strukturellen Voraussetzungen für Vermittlung:
(eine eigene Abteilung für Vermittlung
die Integration von Vermittlung in den künstlerischen Schaffensprozess
Vermittlung als fester Bestandteil der Kommunikation)
JA zu Rollen-Ziel-Definitionen
Ja zur Gastgeber*innen-Rolle

III

YES to fights
NO to violence
VIELLEICHT blaue Flecken
JA zum Unbequemen
NEIN zu blinden Flecken
JA zum Hinschauen
VIELLEICHT Fettnäppchen
JA zu institutioneller Verantwortung
NEIN zur Abgabe der Verantwortung an die Institutionen seitens der Künstler*innen

Dokumentation: Christin Schmidt

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