Zur Einleitung der Abschlussrunde spiegelte Sascha Willenbacher, Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), den Teilnehmenden seine Beobachtungen während des Symposiums:
Unter dem Titel ‚Responses – how to communicate (about) dance‘ setzt sich die Tagung zusammen aus unterschiedlichen Formen der Vermittlung: klassische Vortragssituation und Podium wechseln sich mit partizipativen Settings ab. Die verschiedenen Formate greifen ihre Inhalte auch in einer Art und Weise auf, die einen Sinn zum Tragen und zum Anklingen bringt, der räumlich, körperlich, visuell also sinnlich wird. Mir kommt das Wort ‚Tagungswirkungsfortsetzung‘ in den Sinn. Das, worum es geht, wird in unterschiedlicher Weise sinnlich. Das spiegelt sich auch in der diversen Besetzung der Podien und Workshops wider. Es werden unterschiedliche Stimmen, Perspektiven und Positionen hörbar. Die sich entfaltenden Differenzen werden nicht von übergeordneter Instanz harmonisiert oder eingeordnet. Sie bleiben stehen oder werden in Beziehung zueinander gebracht, ohne dass es zu Zu- und Festschreibungen kommt im Sinne von: Du bist so, ich bin so. Kunst ist so und Vermittlung ist so.
Das heißt zusammengefasst: Die Gestaltung der Tagungsdramaturgie, das Zusammenspiel der eingeladenen Expert*innen und der von ihnen gestalteten Beiträge, vermitteln ein Verständnis von Vermittlung, das ich mit folgenden Schlagworten umreißen möchte:
Kunstvermittlung als
- Kunstwirkungsfortsetzung
- kritische Freundin
- Handeln in Widersprüchen
- Spannungsfeld zwischen Dienstleistung, emanzipatorischem Bildungsanspruch und Kunst
- Denk- und Erfahrungsraum zur Begegnung mit Alterität
- Raum, um mit Alterität und Differenz umzugehen und zum Aushalten von Widersprüchlichem
- Widerstreit
Aus diesem Verständnis heraus erwachsen Fragen an folgende Entgegensetzungen:
- Künstler*in vs. Vermittler*in
- Autonomie vs. Inanspruchnahme
- Expert*in vs. Dilletant*in
- Institution vs. Freie Szene
Folgende Fragen blitzen immer wieder auf: Wie dem Anderen begegnen? Wie in einen Dialog kommen? Und zu welchem Ziel soll dieser Dialog stattfinden? Geht es um Veränderung? Und wer oder was soll sich verändern? Kunst- und Kunstvermittlung sowie Bildung bieten das Potenzial, die eigenen Voraussetzungen in den Blick zu bekommen. Das heißt, dass sie die Möglichkeit eröffnen, sich selbst in der Begegnung mit anderem auf die Schliche zu kommen. Zu merken, dass die eigenen Verständnisse und Perspektiven auch ganz andere sein könnten. Zu merken, dass man selbst ein anderer sein könnte und das Erschrecken darüber. Ein Erschrecken aus dem zugleich eine Idee für ein zukünftiges Selbst entstehen kann.
Eine Geschichte zum Abschluss: Während ich darüber nachdenke, was ich Euch vorstellen kann, klopft ein Mann von außen an die Glastür. Erst denke ich, es handelt sich um einen Tagungsteilnehmer, der wegen der Kälte eine Abkürzung in den Raum sucht und öffne die Tür. Der Mann, weißes Haar und Bart, sucht einen Schraubenschlüssel für seinen Rollator. Haben wir hier so etwas? Ich weiß es nicht und bitte ihn herein. Vielleicht haben wir ja hier einen Schraubenschlüssel und im ungünstigen Fall könne er sich ein wenig aufwärmen. Der Mann holt seinen Rollator, der mit etlichen Dingen und Habseligkeiten beladen ist.
Mir geht durch den Kopf: Darf ich das? Darf ich den Mann hier rein lassen? Er gehört doch eigentlich nicht dazu. Am Ende stört er die Veranstaltung. Gleichzeitig denke ich: Nein, den Mann schickt der Himmel. Denn vom Standpunkt eines Symposiums zur Vermittlung von zeitgenössischem Tanz aus betrachtet, verkörpert dieser Mann eine sehr weit entfernte andere Wirklichkeit. Aber er ist real, er ist nun hier im Raum und erzählt mir etwas aus seinem Leben. Von seiner Reise per Fahrrad in die Schweiz, dass er dabei Rita Süssmuth getroffen hat, mit der er zwei Stunden lang geredet hat und überhaupt die vielen Begegnungen die er auf seiner Tour gehabt hat. Heute könne er nicht mehr. Die Pumpe. Aber von seiner Reise zehrt er noch heute. Nur wenn man rausgeht, kann man andere treffen und solche Erfahrungen machen. Das erzählt mir der fremde Mann auf einer Veranstaltung, auf der es fortwährend um Vermittlung geht. Nebenbei fragt er mich, was wir hier eigentlich machen würden. Ich merke, wie ich etwas nach Worten suche, um verständlich zu bleiben. Ich merke, wie schwer es mir fällt. Der fremde Mann kommt immer wieder auf sein Problem zu sprechen, dass er nämlich einen Schraubenzieher braucht, um zwei Bretter an seinen Rollator zu befestigen. Ich frage eine Mitarbeiterin von der Tagung, die einen suchen geht. Und frage mich auch, ob die Mitarbeiterin nicht Vermittlung leistet, indem sie den Schraubenzieher organisiert, damit der fremde Mann in der Lage ist, seinen Rollator wieder in Gang zu bringen. Übertragen: Bedeutet Vermittlung, anderen etwas an die Hand zu geben, um sich und die Verhältnisse, in denen wir leben, besser zu verstehen und darin zurechtzukommen bzw. neue Bewegungsräume zu erschließen…?
Sascha Willenbacher
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Das Gespräch der Abschlussrunde ist eröffnet. Und weil die Begegnung mit dem Mann und seiner Suche nach einem Schraubenschlüssel berührend und gleichzeitig symbolisch ist, kreisen die Gedanken weiter um sie. Die Überlegung taucht auf, wie es gewesen wäre, wenn auf dem Symposium auch das potentielle Publikum zu Wort gekommen wäre. Vor allem aber stellt sich die Frage, was diese Begegnung über den Akt der Vermittlung erzählt. Eine Suche nach Analogien beginnt: Im Akt der Vermittlung können wir Menschen etwas an die Hand geben für ein selbstbestimmteres Leben, wie auch der Schraubenschlüssel dem Mann mehr Beweglichkeit ermöglicht, sagt jemand. Ein anderer hebt hervor, dass es der Mann selbst war, der am besten wusste, was er braucht, und der Akt der Vermittlung in diesem Moment nicht im Mittelpunkt steht. Selbst wenn wir Angebote machen, so eine Reaktion darauf, bleibt es am Ende immer dem Gegenüber überlassen, was es damit tut. Genauso wie der Mann nur aufgrund seines Interesses erfährt, was auf dieser Veranstaltung geschieht. Er ergreift die Gelegenheit, etwas über diese Welt zu erfahren. Der Schraubenzieher ermöglicht dabei indirekt den Kontakt, jenseits eines durchgeplanten und mit Intentionen aufgeladenen Aufeinandertreffens, so ein weiterer Gedanke. Solche zufälligen Räume jenseits von Verwertungslogik und Produktionszwang bräuchte es. Dass Kunst frei davon ist, sei doch eine Illusion. Genauso wenig ist sie frei von Imperativen, wie etwa dem Kreativitätsimperativ, dem Imperativ zur Offenheit oder dem zur Veränderung. Nein, man muss nicht in jedem Moment bereit sein, sich auf das Neue einzulassen, genauso wenig wie es gilt, jederzeit reiselustig zu sein. Aber im passenden Moment liegt genau in dieser Bereitschaft die Chance zur Horizonterweiterung und Weiterentwicklung. Ein Ziel von Vermittlung sollte es in diesem Sinne sein, Settings zu schaffen, in denen das Unerwartbare, das Zufällige passieren kann – ein Paradox?
Aus dem Symposium wird sich eine Arbeitsgruppe konstituieren, die zu den aufgeworfenen Fragen im Rahmen des Runden Tisches Tanz weiterdiskutiert und insbesondere strukturelle Fragen der Tanzvermittlung in Berlin stärker in den Blick nimmt.
Dokumentation: Christin Schmidt