Gemeinsam mit ihren Gästen widmete sich Silke Bake der Frage nach Qualität(en) in der Kunstvermittlung, dabei sollte es nicht um messbare Standards gehen.
Welche Expertise, welche unterschiedlichen Qualitäten zeichnen Ingo Diehl, Astrid Kaminski, und Inge Koks aus und befähigen sie jeweils zur Tanzvermittlung, fragte die Moderatorin Silke Bake ihre Gäste einleitend. Sprächen sie doch alle vorwiegend aus „externen“ Positionen und zumeist in institutionellen Rahmungen über Tanz. Gleichzeitig eröffnete sie die Schwierigkeit der Qualitätsfrage, die immer auch die Idee von Leistung, Standard und Messbarkeit impliziert. Aber was wird da gemessen und aus welcher Perspektive? Der der Künstler*in, Veranstalter*in, Vermittler*in, Zuschauer*in oder der Förderinstitution? Und ist, was die Podiumsgäste jeweils vermitteln, als ein „Unterweisungswissen“, wie es Eva Sturm in ihrem Vortrag definiert hatte, zu verstehen, oder betrachten sie ihre Vermittlung eher als Instrument, mit dem sie Öffnung ermöglichen?
Astrid Kaminski, die als Tanzjournalistin für unterschiedliche Medien arbeitet, beschrieb ständige Übung, Konfrontation, Selbstinfragestellung, Weiterbildung und ein im-Feld-involviert-Sein als ihre Expertise. Schreibend noch viel mehr als moderierend, bewege sie sich innerhalb eines Marktes, den sie als Herausforderung betrachtet sowie das Wissen um seine Regeln als Qualitätskriterium versteht: Der taz Berlin Kultur z. B. verkaufe man andere Artikel als der FAZ oder der Zeit online.
Hinsichtlich der Moderation von Künstler*innengesprächen bedauerte sie, dass der Journalismus inzwischen im Vergleich zu Dramaturgie oder auch Tanzwissenschaft eine kleinere Rolle für die Vermittlung oder Kontextualisierung von Tanz in Berlin spiele und deutete an, dass diese Entwicklung auch für eine Entscheidung gegen kritische Interessiertheit hin zu einer Einbettung von Künstler*innen in dominierende theoretische Diskurse stehen könne.
Auch gäbe es in den letzten Jahren Tendenzen, dass im Rahmen von Förderprogrammen unerfahrene Personen Moderationen anleiten und damit sowohl in die ökonomischen wie qualitativen Bedingungen des Marktes eingreifen. Sich innerhalb der Bedingungen eines Marktes behaupten zu können, ohne in jeder Beziehung auf temporäre Förderprogramme angewiesen zu sein, sprach für Astrid Kaminski durchaus für Qualität, und diese Qualität gelte es wahrzunehmen.
Auch Ingo Diehl beschrieb als Tanzpädagoge im Ausbildungskontext seine Arbeit als einen Dialog. Sein Antrieb sei die Idee, etwas in Bewegung zu bringen, ähnlich wie es Diego Agulló im vorangegangenen Panel definiert hatte: „the risk of something to be transformed“. So loteten z. B. die im Rahmen des Studiengangs MA Contemporary Dance Education an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main entwickelten physical introductions auf der Ebene der Physis Alternativen zur verbalen Reflexion aus, die oft sehr wenig mit dem zu tun hätte, was körperlich auf der Bühne passiert. “Können wir anders als verbal in einen Dialog treten?”, fragte Ingo Diehl, “und wie lassen sich dabei verschiedenste Ebenen in Bewegung bringen: das Kunstwerk, den/ die Künstler*in, die Institution, Hierarchien, das Publikum…?” Durch (nonverbale) Dialoge ein könne ein neuer Möglichkeitsraum gestaltet werden, und da werde es dann interessant.
Ihr persönliches Interesse sei es, führte Inge Koks aus, mit ihren Formaten einen Widerstand gegen die Tatsache zu leisten, dass der öffentliche Raum immer kleiner wird, dass es immer mehr Separation zwischen den gesellschaftlichen Sphären gibt und man eigentlich viel mehr übereinander wissen müsste, um miteinander leben zu können. Vor diesem Hintergrund faszinierte sie die Salonkultur des 18.-19. Jahrhunderts und dort die Rolle der Kunst als Impuls für folgenreiche gesellschaftliche Diskurse.
In der von ihr und Sonja Augart gemeinsam während der Tanztage betreuten Publikumsreihe Let’s Talk About Dance – Feedback Lab Goes Public hätten sie für die Ausgabe 2017 entschieden, mit dem Publikum jeweils nicht über die gesehenen Produktionen selbst zu sprechen, sondern über die Themen, die in den Produktionen verhandelt wurden. Ihr Anliegen war es, einen gesellschaftlichen Diskurs anzustoßen. Es war großartig, von den Tanztagen die Möglichkeit zu diesem Experiment zu bekommen. Das Publikum im 21. Jahrhundert käme allerdings nicht primär wegen des Austauschs ins Theater, sondern um die Vorstellung zu sehen. Daher blieben zum Gespräch nur etwa 10% der Zuschauer*innen, diese hätten dann aber großes Interesse an dem Austausch mit den anderen gezeigt. Um wirksamer zu sein, bedürfte es wahrscheinlich einer sehr klaren und langfristigen Ankündigung solcher Gespräche und einer besonderen Moderation und Erfahrung, um verschiedene Menschen – auch die, die im öffentlichen Reden nicht so geübt sind – zu einem gemeinsamen Austausch zu animieren.
Danach befragt, worum es ihr in Künstler*innengesprächen geht, führte Astrid Kaminski einige Kriterien für einen vertieften Dialog zwischen Künstler*in und Moderator*in an:
Dieser
- setze Übung voraus und dass beide Gesprächsprotagonist*innen sich sehr gut im Feld, das besprochen werden soll, auskennen,
- sollte mit einer substanziellen oder originellen Einstiegsfrage beginnen
- bewege sich im Spannungsfeld zwischen Diskretion und Offenlegung eines geteilten Wissens,
- setze einen Rahmen, in dem der*die Gesprächspartner*in sich verstanden und respektiert fühlt, und innerhalb dessen er herausgefordert werden kann,
- wecke aufseiten des Publikums eine Neugier auf Gesprächsleiter*in und Künstler*in.
Innerhalb der Berliner Tanzszene sei aber insbesondere die Neugier aufgrund der oft engen Verzahnung von Publikums- und Künstler*innenebene schwer zu generieren. Die Fragen müssten, um nicht Bekanntes zu wiederholen, bewusst auf das Aufbrechen des allzu Bekannten zielen.
Ingo Diehl führte aus, dass ein Format dann gelungen sei, wenn es lange nachwirkt. Expertise sei aus seiner Sicht allzu häufig mit einem hierarchischen Verständnis in Bezug auf Wissen und Erfahrung verbunden. Einerseits natürlich wichtig, befähige sie allein aber nicht unbedingt zu einem guten Format. Es brauche genauso eine große Neugier und Offenheit, vielleicht auch eine gewisse Risikobereitschaft. Da eine Methodik oft an die Situation angepasst werden muss, seien Vorkenntnisse ebenso wesentlich wie die Flexibilität, auf die jeweilige Situation reagieren zu können. Dabei sei das Rollenverständnis grundlegend: Der Gestaltungswille, der schwerpunktmäßig auf einer bestimmten Handwerklichkeit fußt und eine Hierarchie herstellt, sei ihm suspekt.
Silke Bake warf ein, dass die Frage nach Skills im Tanz (in Berlin) immer schwieriger würde, dennoch gäbe es ja doch unbestritten gelungene und weniger gelungene Formate. Wie lässt sich dieses Gelungen-Sein näher beschreiben, ohne dass es auf Standards hinausläuft?
Inge Koks, die sich selbst eher als Unterstützerin und weniger als Expertin betrachtet, hielt folgende Qualitäten für wesentlich, um breitere soziale Gruppen dazu zu bringen, miteinander zu reden: Eine gewisse Warmherzigkeit und die Fähigkeit, anderen das Gefühl zu geben, dass sie eingeladen sind sowie das Vermögen, viele Menschen einzuschließen und spontan auf sie reagieren zu können.
Die letzte Fragerunde widmete sich dem Komplex: Wer tritt mit dem Anliegen der Vermittlung eigentlich an wen heran? Zurzeit fragten nur wenige Institutionen Vermittlungsformate an; sollten diese das zukünftig mehr tun oder sollten sich Vermittlungsformate jenseits der Institutionen etablieren? Wenn ja, in welcher Struktur und mit welcher Perspektive?
Ingo Diehl beschrieb die Beobachtung, dass die künstlerisch entwickelten_ physical introductions_, nachdem sie unter diesem Namen aus dem Studiengang nach „draußen“ gingen, ziemlich schnell zu einem „Label“ wurden und als solches von verschiedenen Seiten gebucht wurden. Da die physical introductions unter „Vermittlung“ liefen, genossen sie im Gegensatz zu künstlerischen Produktionen keinen Urheberschutz, und es sei nicht selten passiert, dass die Bedingungen von den anfragenden Institutionen diktiert wurden, nicht wissend, was dieses Format eigentlich ist und welche Vorbereitung es braucht. Es ging dann einfach um die Fassade. Aber nur, wenn auch eine Institution Interesse hätte, in derartige Formate Zeit und Geld zu investieren, damit sich die Idee des Dialogs überhaupt auf mehreren Ebenen entfalten kann, mache es für alle Seiten Sinn. Glücklicherweise gäbe es diese Tanzhäuser oder Tanzcompanien auch.
Für Astrid Kaminski war der Aspekt der Notwendigkeit und ggf. deren Herstellung wesentlich. Eine Notwendigkeit kann im Gespräch, durch dessen Konstruktion, hergestellt werden; es könne aber auch sein, dass es um die Erschließung neuer Publikumsschichten mit ganz anderen Seherfahrungen geht, um eine Notwendigkeit herzustellen. Als Journalistin ist Vermittlung für sie nicht nur das Gespräch, sondern vor allem das Schreiben. Auf der Plattform 4.5 Sätze experimentierten am Tanz-Schreiben und Be-Schreiben interessierte Künstler*innen und Journalist*innen und böten mit der Kommentarfunktion einen Service zum Austausch und zur Diskursbildung an, der jedoch nur sehr rar genutzt wird. Auch auf nachtkritik.de, einem renommierten Portal für Theaterkritik, fänden Texte zum Tanz fast keine Reaktionen aus der Szene. Im Allgemeinen komme als Feedback tendenziell am ehesten mal eine Beschwerde, wenn ein*e Autor*in zu kritisch war oder jemand sich unterpräsentiert fühle. Ein Themen-Diskurs über das Schreiben sei daher in der Tanzszene schwieriger als in anderen Künsten herzustellen.
Nach der Öffnung der Diskussion ins Publikum wurden Fragen gestellt, die die Spannungsfelder: Institution versus Freie Szene, Antworten versus Fragen, Expertise versus Kreativität, Standard versus Experiment und Sprache versus Körper eröffneten. Ein Beitrag forderte engagiert die Verweigerung von Qualitätsdiskussionen in Podiumsaufstellung und stattdessen mehr nachhaltige experimentelle Prozesse in der Kunst-/Tanzvermittlung, die Raum und Zeit bedürfen: sprich Ressourcen, ggf. von den Institutionen.
Astrid Kaminski wunderte sich, woher die latente Aggression gegenüber sogenannten „ex cathedra-Situationen“ käme. Wenn mit jeder Raumschaffung für sogenannte Expert*innen oder eine kuratierte Gesprächssituation und der damit vorausgesetzten Aufmerksamkeit des Publikums für eine sich entfaltende Position immer gleich ein Hierarchieverdacht einhergehe, müsste man – provokant gesagt – doch auch die Kunst selbst abschaffen.
Ein letzter Publikumsbeitrag beschrieb, dass sich Vermittlung zunehmend als eigener Zweig emanzipiere, der sich nicht mehr in den Dienst von externen Zwecken stellen ließe, sondern Kunst erweitern wolle. Der Begriff „Vermittlung“ passe daher auch nicht mehr und könnte zum Beispiel ersetzt werden durch „Erlebnisraum“.