edition July-August 2022

Tanz, Vielfalt, tanz!

Mehr Angebote im Tanz auch für Menschen mit Behinderungen schaffen in Berlin Initiativen wie Making A Difference oder tanzfähig. Letztere baut derzeit projektweise eine inklusive Kompanie auf. Mitmachen möglich!

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Bernhard Richarz und Evelyne Walser-Wohlfarter von der Initiative tanzfähig © Ute Haufe

In Zusammenhang mit den Special Olympics World Games Berlin 2023, den Weltspielen für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, fördert das vom Land Berlin durchgeführte Nachhaltigkeitsprogramm Inklusion ’23 von 2021 bis 2023 insgesamt 14 Projekte aus den Bereichen Sport, Kultur, Bildung und Verkehr. Eines der Projekte ist der Aufbau einer inklusiven Kompanie von Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die von uns geleitete Initiative tanzfähig. In Berlin 2007 begründet, setzt sich unsere Initiative für mehr körperliche Vielfalt im zeitgenössischen Tanz dafür ein, die herkömmlichen Vorstellungen von tanzenden Körpern zu erweitern und vor allem Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen in den Tanz einzubeziehen. Nachdem wir 2017 zusammen mit Anna Mülter, damals noch bei den Sophiensælen, und Nik Haffner vom HZT Berlin das Projekt Making A Difference konzipiert haben und von 2018 bis 2021 an dessen Umsetzung beteiligt gewesen sind, haben wir damit einmal mehr die Gelegenheit, uns einem wenig erschlossenen Bereich der Freien Szene zuzuwenden.

Text: Evelyne Walser-Wohlfarter und Bernhard Richarz
Begründer der Initiative tanzfähig

Den Diskurs erweitern
Währende sich Making A Difference an behinderte, taube und chronisch kranke Tanzschaffende wendet, richtet sich die Kompanie tanzfähig explizit an Menschen mit geistigen Behinderungen. Auch wenn sich in den letzten Jahren durch Konferenzen wie „Owning spaces – conversations and actions from bed“, die 2021 im Rahmen von Making A Difference stattgefunden hat, oder „Stretching the Physicality of Dance | Tanz Körper Erweiterung“, die wir 2017 zusammen mit dem Dachverband Tanz Deutschland und dem HZT Berlin im Rahmen des EU-Projekts Moving Beyond Inclusion durchgeführt haben, der Diskurs über Tanz und Behinderung wesentlich verbreitert hat, kommen in Berlin Menschen mit geistigen Behinderungen im zeitgenössischen Tanz nach wie vor kaum vor. Das gilt für alle Altersgruppen und gleichermaßen für den professionellen wie den Freizeitbereich.

 

Ein Tanzangebot an einer Oberschule mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“, das seit einigen Jahren von TanzZeit e.V. mit großem Erfolg durchgeführt wird, endet mit dem Schulabschluss. Für die Beteiligten gibt es keine weiterführenden Angebote. Außerdem weisen die in Berlin ansässigen Tanzkompanien, seien sie für Erwachsene, seien sie für Jugendliche, unseres Wissens keine Mitglieder mit Behinderung auf, so dass sich auch daraus für uns als Initiative ein Handlungsbedarf ergeben hat.

Zwei-Jahres-Plan
Um eine inklusive Kompanie aufzubauen, sieht das Projekt Kompanie tanzfähig in seinem zweijährigen Verlauf einen Wechsel von Trainings- und Probenphasen vor; dazu kommen drei Intensiv-Wochen und zwei offene Workshops. Bereits seit März findet zweimal wöchentlich ein zweistündiges Training statt; dabei stehen die Vermittlung tänzerischer Fähigkeiten und die Gruppenbildung im Vordergrund. Das Training wird geleitet von den Tanzpädagoginnen Francesca Patrone, Ilka Rothenhäusler, Alesandra Lola Agostini und Iza Herzfeld. Aufbauend auf dem Training wird von ihnen im Herbst 2022 in einem Performanceprojekt choreografisch gearbeitet. An seinem Ende soll ein öffentliches Showing stehen, um der Gruppe eine erste Aufführungspraxis zu vermitteln.
Nach einer weiteren Trainingsphase soll im nächsten Frühjahr ein Tanzstück produziert werden, für das eine Aufführung im Kulturprogramm der Special Olympics im Juni 2023 geplant ist. Für die Produktion ist die mexikanisch-deutsche Choreografin Karina Suárez Bosche vorgesehen. Aus der Improvisation und der somatischen Praxis kommend, sind ihre Performances oft immersiv angelegt. Da es ihr darum geht, gesellschaftliche Prozesse sinnlich wahrnehmbar zu machen, reizt es sie ihrerseits, mit Performer*innen zu arbeiten, deren Körperlichkeit über das für sie Gewohnte hinausgeht.
Um auch unabhängig von einer eventuellen Fortführung der Kompanie über das Ende der Förderung hinaus Nachhaltigkeit zu erreichen, können Interessierte, die Erfahrungen in der Praxis des inklusiven künstlerischen Tanzes sammeln wollen, außerdem im Training oder bei den Proben hospitieren und werden die Kompanie-Mitglieder zu eigenem Unterrichten angeleitet.

Eine eigene Tanzsprache finden
Zwar ist die Kompanie tanzfähig inklusiv ausgerichtet, doch heißt das nicht, nur den Teilnehmer*innen mit Behinderung möglichst viele der Fertigkeiten zu vermitteln, über die Tänzer*innen ohne Behinderung verfügen. Es wird Teil des weiteren Prozesses sein, eine Tanz-Ästhetik zu schaffen, die alle Mitglieder der Kompanie einbezieht und fordert. Unser Blick ist dabei nicht auf das mögliche Defizit gerichtet, sondern auf die jeweiligen Fähigkeiten. Ziel ist ein Tanz, der zu allen Beteiligten passt und in dem die Vielfalt wirklich tanzt, wobei noch offen ist, was das im Einzelnen bedeuten wird.
Auch wenn die Kompanie ihre Arbeit schon begonnen hat, werden noch weitere Mitglieder aufgenommen. Wie bei den anderen Angeboten der Initiative tanzffähig gilt auch hier: Tänzerische und kulturelle Prägungen sowie Körper jeglicher Art sind erwünscht, spezielle (Vor-)Kenntnisse sind nicht erforderlich. Bis jetzt haben sich 14 Tänzer*innen gemeldet, manche mit Behinderung, manche ohne. Alle eint ihre Begeisterung für den Tanz. Da die Förderung es nicht erlaubt, den Tänzer*innen ein Honorar zu zahlen, wenden wir uns mit der Kompanie tanzfähig vor allem auch an diejenigen, die ihre tänzerischen Fähigkeiten in einer festen Gruppe weiterentwickeln oder mit Menschen mit einer anderen Körperlichkeit tanzen wollen.

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