Aktuelles aus Berlin

Offener Brief | AG Tanzförderung Berlin

Veröffentlicht am 7. Juli 2023

Offener Brief zur Vergabe der Basis- und Konzeptförderung 2024–2027 und der Forderung für eine zukünftige Neuaufstellung der Basisfinanzierung für Künstler*innen in Berlin

Kahlschlag für den Tanz in Berlin? Wir verteidigen Nachhaltigkeit gegen Prekariat!

Nach den jüngsten Entscheidungen zur Basis- und Konzeptförderung 2024–2027 sind zahlreiche etablierte zeitgenössische Choreograf*innen, Tanzgruppen und Performancekollektive aus diesem Fördersystem herausgefallen. Die Jury hat in ihrem Kommentar zur Vergabe der Fördermittel das Dilemma zwischen der Anzahl an förderungswürdigen künstlerischen Konzepten und nicht ausreichenden budgetären Mitteln formuliert.

Wir, als Betroffene dieser Situation, können und wollen diese Entscheidung NICHT hinnehmen. 

Wir haben als Künstler*innen die Berliner Tanzlandschaft seit Jahrzehnten entscheidend (mit)geprägt. Wir sehen unsere Arbeitsleistung infrage gestellt und werden in eine existenzbedrohende Lebens- und Arbeitssituation gedrängt, indem z.B. Mieten für Probenstudios, Projekträume oder Lagerräume nicht mehr bezahlt werden können. Fakt ist, dass die soziale und arbeitsperspektivische Grundabsicherung von zahlreichen Künstler*innen vielfach bedroht ist. Damit verbunden sind Netzwerke, Spielstättenstrukturen und beteiligte Künstler*innen, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, aber auch alternative Projekträume, an denen ganze Communities hängen, die verschwinden werden und damit einen in den Ausmaßen noch offenen Verlust und Riss in der Berliner Kulturlandschaft hinterlassen werden.

Warum? Wo soll das hinführen?
Wie stellt sich der Berliner Senat den zukünftigen Arbeitsstandort für Künstler*innen in projektabhängigen Arbeitsstrukturen vor?

 Die Kriterien für den Erhalt und die Vergabe von Fördermitteln sind komplex und unterliegen vielfältigen Veränderungen, um zum Beispiel einer nachwachsenden Generation professionelles Arbeiten zu ermöglichen. Doch die jüngste Entscheidung der Jury, die Basisförderung vielen Künstler*innen, die sie bisher erhalten haben, zu entziehen, ist für uns eine schockierende Disqualifizierung einer jahrzehntelangen künstlerischen Arbeit in Berlin und hinterfragt auch die ethische und moralische Anerkennung unserer Arbeit. Es zeugt auch von mangelnder Rücksichtnahme auf Nachhaltigkeit und Kontinuität, die den choreografischen Künstler*innen in der Stadt entgegengebracht wird. Das Verständnis von sozialverträglichen Arbeitsbedingungen für selbständige Künstler:innen bleibt in dieser Stadt Berlin ausgehebelt. Die aktuellen Entscheidungen offenbaren die prekäre Natur des Systems.

Als Folge müssen Choreograf*innen zur Finanzierungsfrage von Einzelprojekten zurückkehren, was bedeutet, viel weniger Möglichkeiten für Planung, Organisation und Strukturaufbau zu haben. Diese Art, mit Künstler*innen umzugehen, entspricht nicht mehr den Erfordernissen unserer Zeit. Die jüngste Entscheidung der Jury basiert auf der Annahme, dass die Basisförderung eine Projektförderung für zwei Jahre ist. Das sichert keine Nachhaltigkeit mehr. Die 2-jährige Basisförderung und die 4-jährige Konzeptförderung sind sehr wichtige Instrumente für die nachhaltige projektbasierte Arbeit im Bereich der körperbasierten Künste – Tanz / Choreografie / Performance. Es gibt zurzeit keine besseren institutionellen Haushaltsstrukturen. Allerdings müssen beide Förderinstrumente neu ausgerichtet und an den tatsächlichen Bedarfen und den Honoraruntergrenzen orientiert werden. Dazu gehört auch die Gewährleistung generationsübergreifenden Arbeitens in Berlin. 

UNSERE FORDERUNGEN:

  • Wir fordern die sofortige Einrichtung eines Fonds zur Strukturfinanzierung für die Künstler*innen, die ohne die Basisfinanzierung ihre Arbeitsstrukturen nicht mehr erhalten können.
  • Wir fordern einen Sonderfonds für die aktuell anstehenden Entscheidungen über die Einzelprojektförderungen, damit die Jury auf die zu erwartende Menge an Anträgen reagieren und den Bedarfen gerecht werden kann. 
  • Wir fordern zeitgemäße, gerechte, sozial-verlässliche und resiliente Strukturen, die die Grundausrichtung unserer projektbasierten künstlerischen Arbeit unterstützen. 
  • Die alten Förderstrukturen von “drop in - drop out” müssen abgeschafft, verändert und neu justiert werden! Es ist jetzt notwendig, an einem anderen, besseren Fördersystem zu arbeiten, das langfristiges Engagement und Qualität anerkennt und die Brücken zwischen den Generationen besser berücksichtigt.
  • Wir fordern eine klare Auslegung der Basisförderung als Strukturförderung. Keine KünstlerIn kann innerhalb von 2 Jahren nachhaltige Strukturen mit Mietverhältnissen aufbauen, wenn er/sie befürchten muss, bereits nach 2 Jahren wieder herauszufallen. Das Jury-Statement erklärt den aktuellen Kahlschlag teilweise mit der Begründung, dass die Basisförderung für sie als Projektförderung verstanden wird.
  • Wir unterstützen ausdrücklich den offenen Brief „Zukunft der Kultur in Berlin – auf der Kippe“, der von verschiedenen Vertretern*innen der Berliner Kultur an den neuen Senat gerichtet ist.
  • Wir fordern, die Handlungspotenziale einer zukünftigen Förder- und Kunstpraxis in der Basisfinanzierung an den tatsächlichen Bedarfen neu auszurichten – mit uns im Dialog.


WE ARE ARTISTS
WE ARE NOT TOURISTS
WE WORK IN BERLIN
NOT ON A BUS*

*The structural funding of Basisförderung is explained by the institution and policy makers with the metaphor of a ‘bus’, where eventually artists can get on and off at any moment.


> Die Petition Kahlschlag für den Tanz in Berlin? kann online hier unterzeichnet werden.


ERSTUNTERZEICHNER*INNEN:

  • Christina Ciupke, Darko Dragičevic
  • Public in Private – Jasna L. Vinovrški, Clément Layes
  • Tanzcompagnie Rubato – Dieter Baumann & Jutta Hell
  • Tanzkollektiv Grupo Oito – Ricardo de Paula, Caroline Alves, Laura Alonso, Martina Garbelli, Cintia Rangel, Natalie Riedelsheimer, Miro Wallner
  • Kat Válastur 
  • Alexandra Wellensiek
  • WILHELM GROENER – Günther Wilhelm & Mariola Groener
  • July Weber
  • Eszter Salamon 
  • Eva Meyer-Keller
  • Sergiu Matis
  • Florian Loycke, Emir Tebatebai – Das Helmi 
  • Interrobang Performance – Nina Tecklenburg, Till Müller-Klug
  • PURPLE Internationales Tanzfestival für junges Publikum 
  • Enrico Ticconi, Ginevra Panzetti 
  • Nik Haffner, Choreograph und Künstlerischer Direktor Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin HZT
  • Lake Studios Berlin - Marcela Giesche
  • Sandra Man 
  • laborgras - Renate Graziadei, Arthur Stäldi
  • Toula Limnaios und Ralf Ollertz, cie. toula limnaios

ztb e.V: „Immer wieder hat sich der Verein ztb e.V. dafür eingesetzt, dass die politisch Verantwortlichen innerhalb des Fördersystems für Freie Gruppen die nachhaltigeren Förderungen wie Basis- und Konzeptförderung gegenüber den nur kurzfristigen Einzelprojektförderungen stärken und die Mittel hierfür entsprechend erhöhen. Wie aktuell und dringend diese Forderung und eine Änderung der Denkweise im Sinne einer größeren Nachhaltigkeit für notwendige Strukturen einer professionellen, kontinuierlichen künstlerischen Arbeit ist, verdeutlichen die letzten Entscheidungen und der aktuelle offene Brief von Betroffenen.“

Kontakt: AG Tanzförderung agtanzfoerderungberlinnoSpam@gmail.com

Die AG Tanzförderung ist ein Zusammenschluss und eine Initiative von Tanzschaffenden in Berlin mit dem Ziel Berliner Strukturförderung-Instrumente wie Basis- und Konzeptförderung zu verbessern. Die AG arbeitet selbstorganisiert und ehrenamtlich.

Folgt uns