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Podiumsdiskussion „Vermittlung in die Stadtgesellschaft”

Am 19.01.2018, 19:30 Uhr

Nicht die Frage scheint entscheidend: Was tun, wenn das Publikum wegbricht? Sondern die Überlegung: Welche Relevanz kann Kunst für Menschen haben?

Unter der Moderation von Karin Kirchhoff diskutierten folgende Gäste: Dr. Pirkko Husemann, Mijke Harmsen und Dr. Birte Werner.

Die Erwartungen an die Vermittlung steigen. Neben dem Brückenbau zwischen künstlerischer Arbeit und Publikum, neben Marketing und Erschließung neuer Publikumsschichten entsteht auch der Anspruch, Vermittlungsarbeit solle politisch in die Stadtgesellschaft wirken. „Was aber bedeutet politische Wirksamkeit für Vermittlungsformate?“, so die Eingangsfrage von Karin Kirchhoff an die drei Gäste des Podiums. Und als erste Antwort taucht der Gedanke auf, der leitsatzartig das Symposium begleitet: Das Politische beginnt da, wo Menschen einander begegnen und Fremde miteinander sprechen, und das auf Augenhöhe, so Birte Werner. Eine politische Vermittlungsarbeit, Pirkko Husemann weiter, findet entsprechend da statt, wo Räume für solche Begegnungen entstehen, und zwar im Dreieck von Künstler*innen, Bevölkerung und Institution. Damit beginnt auf dem Podium ein offener Austausch – über Visionen hinsichtlich solcher Dialogräume, über die Versuche und Schwierigkeiten, sie zu eröffnen, über Momente des Scheiterns und die Herausforderung für das Theater als Institution, sich im Dialog zu verändern.

Was sind wirksame Formate?, fragt Karin Kirchhoff.

Die Schwankhalle in Bremen begab sich auf die Suche nach dem Dialog aufgrund einer vielerorts bekannten Problematik: dem ausbleibenden Publikum. Die Notwendigkeit entstand, das potentielle Publikum überhaupt kennenzulernen, sprich die Bevölkerung der Stadt. Also schwärmten Mitarbeiter*innen aus, um das Gespräch zu suchen. Ein Zuschauer*innen-Beirat wurde einberufen, im Rahmen dessen Bürger*innen erzählten, was sie sich vom Theater wünschen, was sie über laufende Produktionen denken und über zeitgenössische Bühnenkunst, wie die Kommunikationsstrategien wirken und wie die Preispolitik des Hauses. Dieses reagierte: Die Kommunikation bewegte sich weg von einem „Spezialistendiskurs“, künstlerische Projekte wurden im Stadtraum und mit der Bevölkerung gestartet, und ein flexibles und solidarisches Preissystem wurde eingeführt. Der Dialog hatte damit Auswirkungen auf die künstlerischen Arbeiten wie auch auf die Strukturen der Institution. Es sei aber nicht die Öffnung hin zur Öffentlichkeit, die per se die Kunst verändert, so Husemann. Sie verändert sich dann, wenn Projekte mit einer Vermittlungsperspektive konzipiert werden, wenn sie von den Menschen und Orten aus gedacht werden, für die und mit denen sie gemacht werden. Kunst muss sinnvoll sein für die Menschen und den Ort, sie muss eine Relevanz haben, um auf Interesse zu stoßen. Eine Möglichkeit ist es, Kunst zu programmieren, für die man ein Publikum sucht, eine andere, künstlerische Arbeit mit den Menschen der Stadt zu entwickeln.

Im Rahmen des Festivals für junges Publikum You´re a cyborg, but thats ok am Tanzhaus NRW hätte Mijke Harmsen die Kuration am liebsten den jungen Menschen in die Hand gegeben. Denn das Gestalten mit denen, für die die Kunst gedacht ist, ist eines ihrer Anliegen. Doch in der Praxis lässt sich das nicht immer so leicht realisieren. Das Abgeben von Aufgaben im Rahmen partizipativer Projekte ist aufwendiger, unsicherer und ungewohnter, und so bleiben die Fäden doch öfters in der eigenen Hand als gewünscht, so Harmsen. Mehr Mitgestaltung wünscht sich Pirkko Husemann auch für die Mitarbeiter*innen ihres Hauses und mehr Beteiligung an der Ideengenerierung und –umsetzung. Zwischenzeitlich einfach mal das Theater zu schließen, damit Mitarbeiter*innen mit der Bevölkerung in der Stadt Ideen entwickeln, fände sie großartig. Aus finanziellen Gründen aber bleibt das nur den Künstler*innen vorbehalten.

Ändert sich durch den Anspruch der Begegnungen auf Augenhöhe etwas in den Institutionen und im Handeln ihrer Akteure? Karin Kirchhoff

Die Vermittlungsansätze der vier Frauen fordern zum Perspektivwechsel heraus. Ihren Positionen liegt weniger die Haltung zu Grunde, ein Publikum „entwickeln“ zu müssen, sondern eher das Anliegen, das potentielle Publikum kennenzulernen. Die Redner*innen halten nicht die Frage für die Entscheidende: Was tun, wenn das Publikum wegbricht? Sondern die Überlegung: Welche Relevanz kann Kunst für Menschen haben und welche Daseinsberechtigung hat das Theater heute? Ihre Überlegungen grenzen sich ab von der Annahme, Kunst als etwas Defizitäres vermitteln zu müssen und Vermittlung lediglich als eine Praxis der Übersetzung zu verstehen. Vielmehr wird versucht, das vermittelnde und partizipative Element in der künstlerischen Praxis selbst zu verorten. Und Birte Werner spricht eine Liebeserklärung aus an Eva Sturms Begriff der ´Kunstwirkungsfortsetzung`, der Vermittlung als eigenständigen Raum stark macht, der Erfahrungen ermöglicht, genauso wie der künstlerische Raum, mit dem er verbunden ist.

Welche Qualifikationen und Fähigkeiten braucht eine künstlerische Leitung von Institutionen, die solche Dinge mitdenkt? Karin Kirchhoff

Eine wesentliche Kompetenz für die Umsetzung eines solchen Vermittlungsverständnisses ist nach Birte Werner die „Feldforschungskompetenz“ – die Fähigkeit, auf Augenhöhe in Dialog treten zu können und herauszubekommen, wer das Publikum ist. Wichtig dafür ist wiederum ein Bewusstsein über den eigenen Hintergrund, über die eigenen Privilegien und die eigenen blinden Flecke, so Husemann, darüber, wo Zuschreibungen stattfinden und die Reproduktion von Stereotypen. Seit 2015 gäbe es eine größere politische Wachheit in der Darstellenden Kunst, die u.a. nicht-bio-deutsche Künstler*innen mit hervorgerufen haben, so Werner. Die Auseinandersetzung mit Diversität und Handeln auf Augenhöhe nimmt zu, auch in der Vermittlungsarbeit, aber Rassismus und Critical Whiteness sind nach wie vor große blinde Flecke.

Es sind die Vorstellungen für Schulklassen, die Mijke Harmsen für die interessantesten hält. Denn dort bestünde die größte Vielfalt im Publikum. Entsprechend gebe es hier die meiste Reibung, aber eben auch die spannendsten Dialoge. Und schon betritt die nächste Kompetenz die Diskussionsplattform: Unsicherheit und Unterschiedlichkeit gilt es aushalten und aushandeln zu können. Das Theater als Ort für physische Gemeinschaft berge dafür ein großes Potential in sich, vor allem in Zeiten digitaler Entwicklung und angesichts der Zunahme von sozialer und kultureller Diversität. Unsicherheit auszuhalten, sie zu zeigen und sich immer wieder auch von stabilen Positionen weg zu bewegen tun auch die Rednerinnen des Abends – sowohl in dem Gespräch miteinander als auch in ihrer Arbeitspraxis. Als „cutting edge“ bezeichnet Werner das, wovon Husemann und Harmsen erzählen, als ein Arbeiten jenseits der klassischen Formate und bildungsbürgerlichen Salons. Solche Arbeit sei rar und herausfordernd: Sie brauche Zeit, Budget, Kompetenzen, Willen der Leitung und der Mitarbeiter*innen. Sie braucht „Feldforscher*innen“, wie die vier Frauen dieses Podiums.

Dokumentation: Christin Schmidt

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