Aktuelles aus Berlin

Corona | Dachverband Tanz

Auswertung Umfrage und Statement vom 07.04.2020

In den letzten Tagen hat der Dachverband Tanz Deutschland gemeinsam mit der Tanzszene Baden-Württemberg und den Tanzbüros in Berlin, NRW und München eine bundesweite Umfrage zur Situation im Tanzbereich durchgeführt. In der Auswertung der Zahlen hat der Dachverband Tanz ein Statement formuliert, dass Bund und Ländern übermittelt wird – mit der Forderung, die vielfältige Tanzlandschaft in unserem Land zu erhalten!

Zugang zu den Soforthilfen der Länder und des Bundes vereinheitlichen. Umfassende Förderprogramme für die künstlerische Zukunft auflegen.

Die Veranstaltungs- und Versammlungsverbote sowie die Kontaktsperren in Folge der Corona-Pandemie führen zu massiven Einnahmeausfällen im Kulturbereich. Der Dachverband Tanz Deutschland hat gemeinsam mit den regionalen Tanzbüros eine bundesweite Erhebung durchgeführt und die finanziellen Verluste im Tanzbereich – als einen Teil der Kulturlandschaft in Deutschland – eingeschätzt. Darin nicht erfasst sind die großen Produktionshäuser und die Stadt- und Staatstheater, ebenso die Hochschulen, Schulen für Gesellschaftstanz und Tanzsport. Nach dieser Erhebung haben Künstler*innen, Schulen, Ensembles und Einrichtungen (Tanzbühnen, Veranstalter, Archive u.a.) Verluste von über 80 Mio. Euro, da flächendeckend Absagen schon bis Ende Mai erfolgen, mit weiteren 50 Mio. ist bis Ende Juli zu rechnen. Das sind allein im Bereich des künstlerischen Tanzes und der Tanzausbildung Verluste von über 130 Mio. Euro.

Wir sehen aus der Umfrage, dass Selbständige allein im Tanzbereich mit Einnahmeausfällen von über 60 Mio. Euro rechnen müssen. Es zeigt sich, wie kleinteilig und kurzfristig Honorareinnahmen sind – Workshops, Unterricht, einzelne Auftritte, Gastrollen. „Kontinuität“ von Einnahmen heißt verschiedenste Einnahmen von vielen, unterschiedlichen Auftraggebern. Was zu normalen Zeiten eine mittelfristig stabile Einkommenssituation sein könnte, implodiert, wenn im In- und Ausland alles schließt. Es sind Einnahmen zwischen 1.200 und 1.600 Euro monatlich, von denen Künstler*innen und Pädagog*innen Steuern und Sozialversicherungen bezahlen und ihren Lebensunterhalt bestreiten. Betriebsausgaben haben freie Tanzkünstler*innen und Tanzpädagog*innen kaum, denn sie zahlen keine Studio- oder Theatermieten, haben kaum Sachkosten. Kredite und Hilfen bei Liquiditätsengpässen helfen ihnen nicht.

Und es zeigt sich eine Problematik, die im Tanz fast systematisch auftritt. Gerade im Tanzbereich kommen viele Künstler*innen aus dem Ausland, brauchen eine Anlaufphase, um sich hier zu etablieren, um Jobs in freien Projekten oder einen Vertrag an einem Theater zu erhalten. Oftmals haben diese Künstler*innen noch nicht die Aufnahme in die KSK gefunden und können noch nicht auf einen Steuerbescheid des letzten Jahres verweisen. Sie halten sich inzwischen mit Unterrichtsvertretungen und Gelegenheitsauftritten über Wasser. Jetzt aber fallen diese Einnahmen aus, auditions finden nicht statt. Auch wenn der Kulturbetrieb wieder anläuft, wieder Proben und Vorstellungen aufgenommen, Projekte fortgesetzt werden, werden diese Künstler*innen noch lange auf neue Jobangebote und Verträge warten müssen.

Wenn ausländische Künstler*innen nur einen begrenzten Aufenthaltsstatus haben, dann werden sie zudem vor dem Problem stehen, dass ihnen die Aufenthaltstitel aufgrund ungesicherter Einnahmen nicht verlängert werden. Wir sind stolz darauf, dass die Kultur unserer offenen Gesellschaft von künstlerischer Exzellenz und Impulsen aus aller Welt bereichert wird. Jetzt müssen wir auch diesen Künstler*innen helfen.

Für viele Tanzensembles fallen nicht nur Vorstellungen und Gastspiele in nächster Zeit aus, sondern oftmals werden auch die Verhandlungen für die kommenden Monate ausgesetzt. Ob abgesagte Vorstellungen nachgeholt werden können, bleibt offen. Oftmals sind bereits Kosten angefallen, eine erneute Ansetzung, zu der die vollen Kosten noch einmal aufgebracht werden müssen, ist fraglich. Stehen dann die Orte zur Verfügung? Werden Proben und Aufführungen mit allen Ensemblemitgliedern (oftmals selbständige Künstler*innen) erneut planbar sein? Wird es Publikum geben?

Ebenso desaströs ist die Lage der privaten Ballett- und Tanzschulen. Manche haben jetzt noch Einnahmen, weil Kursgebühren halbjährlich schon gezahlt wurden. Oder sie ziehen die Monatsbeiträge zu den Kursen, weil sie hoffen, Unterricht noch nachholen zu können. Aber in den nächsten Monaten und spätestens nach dem Sommer kommen enorme Verluste auf diese privaten Bildungsinstitutionen zu. Ihnen droht die Insolvenz – und mit diesen Schulen gehen zahllose Unterrichtsangebote, mit denen selbständige Tanzpädagog*innen und Tanzvermittler*innen ihr Geld verdienen.

Für die freien Künstler*innen und Pädagog*innen wie auch die Ensembles muss ein einheitlicher Zugang zu den Rettungsmitteln der Länder und des Bundes geschaffen werden, welcher sich nicht allein an Betriebsausgaben orientiert, sondern auch an Mindestausgaben für die eigene Arbeitsleistung.

Ebenso sollten umfassende Programme für Solo-Selbständige und kleine Unternehmen aufgelegt werden, in denen alternative Projekte gefördert werden, die in dieser Zeit umsetzbar sind. Dies können Reflexions- und Rechercheprozesse oder künstlerische Vorhaben, die individuell oder in online-Kollaborationen umsetzbar sind, sein – als Investitionen in die künstlerische und kreative Zukunft.

Die Ausfälle und finanziellen Verluste der großen Produktionshäuser und der Stadt- und Staatstheater sind nicht in der Umfrage erfasst worden. Derzeit beantragen vielen von ihnen Kurzarbeit. Was für viele Tänzer*innen in den festen Ensembles herbe Gehaltseinschnitte bedeuten wird, wenn die Theater nicht eine Zulage geben können.

Die kulturelle Infrastruktur in unserem Land zu erhalten, die Vielfalt der Künstler*innen und kulturellen Institutionen zu erhalten – das ist die zentrale Forderung auch des Dachverband Tanz Deutschland. Mit diesem Statement aus der Perspektive des künstlerischen Tanzes unterstützen wir die gemeinsamen Positionen der bundesweiten Allianz der freien Künste und des Deutschen Kulturrates.

Berlin, 7.4.2020
Michael Freundt
Geschäftsführung Dachverband Tanz Deutschland

PDF Schätzung Einnahmeverluste im Tanz

PDF Statement Dachverband Tanz Deutschland

PDF Forderung Allianz der Freien Künste

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