Foto: Ninna Lacin

Was hat Tanz mit Klassismus zu tun? Die Choreografin und Tänzerin Josephine Findeisen beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit schon länger mit dem Verhältnis von Tanz und Klasse, sowohl in der tänzerischen Praxis als auch in Form von Vernetzung und Austausch innerhalb der Tanzszene. In diesem Text erzählt sie von ihrem künstlerischen Zugriff auf Tanz und Klassenfragen und von der Notwendigkeit struktureller Veränderung, um klassenbasierte Ausschlüsse zu minimieren und Zugänge für alle zu schaffen.

Josephine Findeisen
Choreografin und Tänzerin

 

Tanz & Arbeit


Mit dem Verhältnis von Tanz und Arbeit habe ich mich unter anderem beschäftigt, indem ich mit den Frauen, mit denen ich aufwuchs, über ihre Arbeitsbiografien sprach. Wesentlich dabei waren die Umbrüche in Ostdeutschland Anfang der 90er Jahre, Erwerbslosigkeit, prekäre Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren von Amazon oder beim Fahren von Lkw-Touren, die weit länger dauerten als es das Arbeitsrecht erlaubt. Die Perspektive der Lkw-Fahrerin, meiner Mutter Ria, war wichtig für mich. Einerseits, weil ich die körperlichen, psychischen und sozialen Auswirkungen der Arbeit sah, zum Beispiel wenn ich bei ihren Touren mithalf. Andererseits, weil sie mit der romantischen und veralteten Vorstellung des männlichen Arbeiters brach. Meine ältere Schwester Johanna träumte immerhin davon, als Erwachsene einmal Truckerin zu werden.


Der Versuch, diese Gespräche choreografisch zu bearbeiten, brachte materielle wie immaterielle Hürden mit sich: Neben den zunächst ausbleibenden Fördermitteln begegnete ich häufig dem Argument, Klassenfragen seien nicht (mehr) aktuell und nicht relevant für den zeitgenössischen Tanz. Nach einer Solo-Recherche im Jahr 2017 entschied ich, Klassismus im Tanz zwar über körperliche Erfahrungen (bspw. anhand von sozialen Codes, Ausschlüssen & Zuschreibungen) zu verhandeln, jedoch nicht, indem ich mich ausschließlich auf autobiografische Erlebnisse beziehe. Ich wollte strukturelle Bedingungen sozialer Ungleichheit verstehen, Geschichten hören und sammeln, um darin Gemeinsamkeiten zu erkennen. Ich war müde von der neoliberalen Erzählung, Individuen hätten ihre Lage hauptsächlich selbst verschuldet.


Mein weiterer Versuch gegen die Vereinzelung waren die Vernetzungstreffen „Arbeiter*innen-töchter: Vereinigt Euch!“. Jedes Treffen begann mit einem close reading – also dem gemeinsamen Lesen und Besprechen von Texten. Die Texte waren sowohl theoretisch als auch autobiografisch und es gab Platz für diverse Fragen zu Begriffen oder für persönliche Erzählungen. Ich habe die Treffen aufgrund fehlender Ressourcen nicht weiter organisiert. Gemeinsames, (hopefully) niedrigschwelliges Lesen, das keine Erfahrungen mit theoretischen Texten voraussetzt, ist jedoch weiterhin Bestandteil meiner Arbeit.

 


Exkurs: Cash Culture


Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) rechtfertigte die Kürzungen im Kulturbereich mit der Annahme, dass Supermarktkassierer*innen selten die Oper besuchen und ihre Steuergelder daher nicht für die Subvention von Eintrittspreisen verwendet werden sollten.1 Während Wegners Aussage vermeintliche Nähe zu lohnabhängig Beschäftigten suggeriert, reproduziert sie das klassistische Stereotyp der „hochkulturfernen“ Arbeiterin. Außer Acht bleibt dabei, dass die CDU/CSU Steuerentlastungen für die höchsten Einkommen befürworten.2
Vielleicht müssen Kassiererinnen nicht zur Kasse gebeten werden, wenn es um die Subventionierung von Theatern geht. Vielleicht aber könnten die Vermögen von Multimilliardär*innen und Superreichen in Deutschland stärker besteuert werden, damit Menschen frei wählen können, ob sie ihre Freizeit in der Oper, auf dem Rummel, oder lieber an einem Brandenburger See verbringen (weil öffentliche Verkehrsmittel gut ausgebaut und für alle zugänglich wären). 

 

Strukturelle Förderung & prekäre Zugänge 

Während ich die antiklassistische Vernetzung auf individueller Ebene als bestärkend erfahren habe, sind vor allem strukturelle Veränderungen nötig. Eine für mich besonders positive Erfahrung, die ich in diesem Zusammenhang hervorheben möchte, war die Förderung durch den Berliner Projektfonds Urbane Praxis (BPUP), die ein prozess- und sozialraumorientiertes Arbeiten ermöglicht. Mithilfe dieser Förderung konnte ich 2023 mit dem Projekt AUTOSCOOTER Ästhetiken aufgreifen, die meinen Zugang zu Kultur geprägt haben und eine spielerische Herangehensweise an Tanz und Klassenfragen ausprobieren.

Auch wenn der Projektfonds Urbane Praxis glücklicherweise doch nicht abgewickelt wird, kann er im Jahr 2025 keine Projektmittel ausschreiben. Die aktuellen Kürzungen erschweren erkämpfte Zugänge erneut und stärken verschiedenste Ausschlussmechanismen. Wir brauchen aber nachhaltige, produktionsunabhängige Förderstrukturen, die Zugänge für alle schaffen – damit Kulturproduktion nicht nur jenen mit ausreichenden sozialen und ökonomischen Ressourcen vorbehalten bleibt.


www.josephinefindeisen.tumblr.com

 

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