Tanz als soziale Praxis
Mit dem Jungen Tanzhaus Berlin eröffnet im November 2025 in der Lucy-Lameck-Straße 32 in Neukölln ein Ort für Tanz für junges Publikum, Vermittlung und Begegnung. Initiiert von Livia Patrizi, verbindet das Haus künstlerische Praxis mit lokaler Verankerung, Diversität und gesellschaftlichem Engagement. tanzraumberlin-Redakteurin Johanna Withelm spricht mit Gründerin Livia Patrizi und Mitarbeiterin Janna Vakilli, zuständig für den Bereich Community, über die Entstehung, Impulse und Visionen der ersten festen Spielstätte für junges Publikum im Tanz bundesweit. Wir treffen uns an einem Nachmittag im September in den halb fertig renovierten Räumen des Jungen Tanzhauses.
Am 22. November 2025 wird das Junge Tanzhaus Berlin eröffnet. Was erwartet die Besucher*innen?
Livia Patrizi: Genau genommen handelt es sich um eine ganze Eröffnungswoche, die am 22. November startet. An diesem Tag wird es ein geballtes Programm geben, das am Vormittag mit verschiedenen Tanzinterventionen und Mini-Workshops zum Ausprobieren beginnt. Am Nachmittag wird es für Interessierte eine Hausführung geben, außerdem eine interaktive Installation der Performance-Gruppe Gob Squad und eine Ausgabe der Social-Muscle-Club-Reihe zum Thema „Zuhause“, kuratiert von Grayson Millwood und moderiert von Kindern und Jugendlichen. Wir werden die Premiere von Mein Tanz zeigen, ein Format, das in den Herbstferien geprobt wurde und bei dem fünf Kinder und Jugendliche jeweils ein Stück für Profitänzer*innen choreografieren. Am Abend zeigen wir dann das Stück A Human Race von Grichka Caruge, eine Tanzkomplizen-Produktion, die bereits international getourt ist und die den Tanzstil Krump mit der Musik von Igor Strawinskys Le Sacre du Printemps verbindet. Und es wird natürlich eine große Eröffnungsparty geben.
Ihr konntet zwei Partnerinitiativen für das Junge Tanzhaus gewinnen, um wen handelt es sich?
Janna Vakilli: Wir haben zwei Haus-Partner*innen: Future Move, ein Verein der sich für Berufsorientierung im Tanz und diskriminierungskritische Bildungsarbeit engagiert, und Dance on Boards, eine Initiative für junge Menschen, die Tanz mit Skateboarden verbindet. Beide haben hier Räume angemietet und werden das Haus langfristig und konzeptionell mitgestalten. Dance on Boards wird am Eröffnungstag zwei Shows mit Workshopcharakter in unserem Clubraum präsentieren und Future Move hat einen neuen Beratungsraum für junge Menschen konzipiert und gestaltet, der am 22. November feierlich eröffnet wird, außerdem wird die Abschlussperformance des Mentoringprogramms Future Move TANZ aufgeführt.
Wie entstand die Vision des Jungen Tanzhauses?
LP: Vor 20 Jahren habe ich die Initiative TanzZeit gegründet, mit dem Ziel, zeitgenössischen Tanz in Schulen zu verankern. Zehn Jahre später kam dann die Produktions- und Spielstätte TANZKOMPLIZEN dazu, zusätzlich haben wir ein Weiterbildungsprogramm für Künstler*innen und Lehrer*innen aufgebaut und die Campus Company gegründet. Es war jedoch schon immer ein Traum von mir, eine Kiezanbindung zu haben und all diese Säulen in einem Haus in der Stadt verankert zu wissen. Dann kam die Ausschreibung für diesen Ort und wir haben die Chance ergriffen und uns beworben. Wir haben uns sozusagen aus einem künstlerischen Bildungsprojekt in einen Kulturort verwandelt. Wir waren zuallererst in Schulen, haben dort unser Publikum kennengelernt, für das wir dann Stücke entwickelt haben, und jetzt bekommt das Ganze mit dem Haus eine Sichtbarkeit, die wichtig ist für die Zukunft des Tanzes. Wir sind die erste Tanzspielstätte für junges Publikum bundesweit, und auch international habe ich kein vergleichbares Haus gefunden. Wir sind kein Jugendzentrum, aber auch nicht nur ein Theater. Wir sind ein Ort für Kultur, Vermittlung, Weiterbildung, Begegnung. Ich bin überzeugt von dieser Interdisziplinarität – nicht im Sinne von Kunstformen, sondern von gesellschaftlichen Funktionen. Und ich weiß, dass Tanz die Kraft hat, Menschen zusammenzubringen.
JV: Das Interdisziplinäre zeigt sich hier auch ganz real: Die Menschen, die hier als Tänzer*innen wirken, arbeiten zum Teil auch im Büro, etwa im Bereich PR oder Administration, oder helfen bei der Renovierung und Neugestaltung der Räume. Diese Arbeitsbereiche sind hier bewusst nicht voneinander getrennt oder durchhierarchisiert, sondern überlagern und bereichern sich gegenseitig.
Janna, wie bist Du zum Team gestoßen und welche Rolle(n) nimmst Du im Jungen Tanzhaus ein?
JV: Ich bin 2022 als Hip-Hop- und House-Tänzerin Mitglied der Campus Company von TanzZeit geworden, eine Art Qualifizierungsmaßnahme an der Schnittstelle von Tanzkunst und Vermittlung für Menschen, die sonst wenig Zugang zu akademischen Tanzausbildungsprogrammen haben. Darüber bin ich dann ins TanzZeit-Team in den Bereich Administration eingestiegen und habe außerdem an Schulen unterrichtet. Irgendwann hat Livia mich gefragt, ob ich den neuen Jahrgang der Campus Company leiten möchte, und das mache ich heute. Im Jungen Tanzhaus bin ich außerdem für den Bereich Community verantwortlich, den wir gerade komplett neu aufstellen.
Wie plant ihr, lokale Communitys langfristig einzubinden?
JV: Wir haben erstmal geschaut, was es alles in der direkten Umgebung gibt – wir haben mit der Stadtteilkoordination Kontakt aufgenommen und sind jetzt Teil eines Netzwerks von Einrichtungen in der Nachbarschaft, am 5. Dezember wird ein erstes gemeinsames Straßenfest stattfinden. Im September haben wir unser erstes Nachbarschaftsfest veranstaltet, zu dem viele interessierte Familien und Kinder gekommen sind. Was die Schulen betrifft, da können wir durch TanzZeit natürlich auf ein großes Netzwerk zurückgreifen – es gilt jetzt, gezielt die Neuköllner Schulen anzusprechen, die momentan allerdings vor Herausforderungen stehen, da ihnen ein Großteil der Gelder für kulturelle Bildung gestrichen worden ist. Was die Tanzcommunity betrifft, versuchen wir zum Beispiel, abendliche Sessions zu ermöglichen, da viele Streetdance- und urbane Tanzkulturen Sessions als Trainingsform haben. Ein ganz neuer Bereich für uns ist die Zusammenarbeit mit Kitas, hier versuchen wir uns gerade neu aufzustellen und Netzwerke zu bilden. Im Großen und Ganzen merken wir, dass ein großes Interesse von vielen Menschen besteht, diesen Ort zu nutzen und mitzugestalten.
LP: Wir haben außerdem Kooperationspartner*innen wie die Offensive Tanz für junges Publikum Berlin und das Theater o. N., das bei uns regelmäßig seine Produktionen aufführen wird. Das Theater o. N. bringt die Expertise für Tanz für sehr junges Publikum (Kleinkind- und Vorschulalter) mit und wird diesen Programmbereich hier mit aufbauen. Es ist ein grundsätzliches Anliegen vom Jungen Tanzhaus, dass das Programm von vielen gemacht wird. Wir setzen uns für Vielfalt und für ein multifunktionales Verständnis von Tanz ein. Es soll keine klare ästhetische Linie geben – wir setzen zwar einen künstlerischen Qualitätsbegriff und eine gewisse Haltung voraus, aber es geht darum, Verschiedenartigkeit zuzulassen.
Es gab zu Beginn nicht nur positive Reaktionen aus der Tanzszene, zum einen wegen der jüngsten Geschichte dieses Ortes und der Entscheidung der Senatsverwaltung, die Förderung des Oyoun nicht fortzusetzen, zum anderen weil die euch zugesagten Gelder anderen Projekten weggenommen wurden. Ihr habt Mittel aus dem Maßnahmenpaket Strukturen für die Berliner Tanzszene des Runden Tisch Tanz bekommen, mit denen seit 2020 eigentlich auf die Perspektive eines Hauses für Tanz und Choreografie inklusive Tanzarchiv und Tanzvermittlungszentrum hingearbeitet wurde – diese Mittel wurden im Zuge der Haushaltskonsolidierungen komplett gestrichen. Wie seid ihr damit umgegangen?
LP: Die negativen Reaktionen aus der Tanzszene waren hart. Wir wussten nicht, woher die Mittel kamen, hatten lediglich das Angebot von der Senatsverwaltung bekommen. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt das Haus noch nicht von innen gesehen und mussten eine Entscheidung treffen. Wir haben das Angebot auch deshalb angenommen, weil die Gefahr bestand, dass das Gebäude der Kulturszene anderenfalls ganz weggenommen wird und womöglich ein kommerzieller Ort entsteht. Wir sind dann in die Verantwortung gegangen, auch um dieses Haus für die Kultur zu retten. Als wir erfahren haben, woher die Mittel kommen, und dass wir gegen Kolleg*innen ausgespielt worden sind, war das eine beschissene Situation. Es war dann auch für uns nicht einfach, denn die in Aussicht gestellte Summe wurde um die Hälfte gekürzt, außerdem war das Haus, entgegen der Zusage vom Senat, nicht vollständig ausgestattet. Und was die Vorgeschichte des Hauses betrifft, da hat sich die Kritik recht schnell gelegt, nachdem für viele klar wurde, dass wir mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendliche einen spezifischen Bereich abdecken und dass wir uns politisch positionieren: Wir arbeiten sehr diversitätsorientiert und definieren uns durch „Equity“ und Chancengerechtigkeit im Tanz, machen uns stark für die Bekämpfung von sozialer Benachteiligung. Das betrifft unsere komplette Arbeitsweise und das programmatische Profil des Hauses. In der Eröffnungswoche stellen wir zum Beispiel unser Haus dem Bezirk für eine Kinderarmutskonferenz zur Verfügung, außerdem wird es eine Veranstaltung von MEDITERRANEA Saving Humans geben, einer humanitären Organisation zur Seenotrettung im Mittelmeer. Das sind Initiativen, die wir gerne unterstützen, weil wir sie politisch wichtig finden.
Welche Bedeutung soll das Junge Tanzhaus eures Erachtens in fünf Jahren für Berlin haben?
JV: Das Junge Tanzhaus soll den Menschen, die hierher kommen, das Gefühl geben, gesehen zu werden, sie sollen mitgestalten können und sich als wichtiger Teil dessen verstehen.
LP: Es soll ein Ort sein, zu dem Menschen gerne kommen und an dem sie gerne bleiben, an dem sie Tanz in seiner ganzen Vielfalt erfahren können. Ein hybrider Ort, an dem sich Tanzproduktion, Vermittlung, Aus- und Weiterbildung und Nachbarschaft verbinden. Ein Ort für die Berliner Tanzcommunity, die Nachbarschaft, die Stadtgesellschaft – mit Tanz als künstlerischem und sozialem Klebstoff.
Eröffnung Junges Tanzhaus Berlin
22. November 2025, ab 11 Uhr
Mit: Social Muscle Club, Gob Squad, A Human Race von Grichka Caruge, einer Hausführung, Workshops, Installationen und Vielem mehr.
A Human Race von Grichka Caruge (11 +)
22. bis 25. November 2025
Club Oval (16 +)
28. November 2025
Das Experiment von The Farm (10 +)
30. November - 2. Dezember 2025
Oz – Der Zauber in uns von Joy Alpuerto Ritter (10 +)
4.-7. + 12.-13. Dezember 2025
Club Oval Junior (Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre)
6. Dezember 2025
www.junges-tanzhaus-berlin.de