Alina M. Saggerer
Alina forscht, schreibt und bewegt sich, ohne es voneinander zu trennen.
Manches zerbirst mit lautem Krach, manches gibt still und heimlich den Geist auf. Neulich ist mir etwas kaputt gegangen – äußerlich ist es ganz geblieben, doch etwas war entwichen, wie ein unsichtbares Gespenst. Ich nahm es in die Hand, hielt es auf Distanz, schüttelte es, zog und verbog – in stiller Hoffnung, es sei nur eingeschlafen. Ich wollte etwas aufwecken.
„Kaputt“ (frz. capot) bezeichnete ursprünglich ein Spiel ohne Stich – ein völliges Leer-Ausgehen im Kartenspiel – und wurde im Deutschen später zum Synonym für Defekt. Doch Kaputtsein ist mehr als Funktionsverlust. Es entzieht sich der Zweckmäßigkeit – so entsteht ein Potenzial. Im Kaputten scheint auf, was die Illusion des Intakten oft verbirgt, denn nichts geht zufällig kaputt. Es können Kräfte sein, die systemisch Verschleiß erzeugen: Verhältnisse, die nicht fragen, was trägt oder worin die Menschen Halt finden – sondern nur zählen, was sich rechnet. In Zeiten, in denen demokratische Grundwerte infrage gestellt und kulturelle Räume angegriffen werden, droht die Kultur „kaputtgespart“ zu werden – mit einer Gleichgültigkeit, die nicht nur Ignoranz, sondern aktives Desinteresse zeigt.
Aber kann etwas auch kaputt noch gehen? Der Zustand muss keine Passivität bedeuten, er lässt sich aneignen und transformieren. Kunst kann das Kaputte, den Zustand, die Produktion befragen. So wird eine Unterbrechung Choreografie und Tanz zum Ort des Widerstands. Funktion ist keine Garantie – nur Geste im Moment. Auf kreative Weise kann Tanz zu einer Praxis werden, die nicht glättet oder oberflächlich repariert, sondern aus dem Bruch heraus agiert – die Wunde offenhält, auf sie aufmerksam macht, bis das, was sie verursacht hat, nicht mehr ist.
„Macht kaputt, was euch kaputt macht“ war kein Aufruf zur impulsiven Zerstörung, sondern zur bewussten Befreiung. Kaputtmachen als Brechen mit zerstörerischen Strukturen – eine Einladung, nicht neu, sondern anders zu bauen. Ein (Ver)Suchen, ein (Er)Proben, wie im choreografischen Prozess. Tanz verspricht kein heiles Bild, sondern kann mit gängigen Vorstellungen brechen. Trümmer erzählen nicht nur vom Einsturz – sie zeigen, was nicht getragen hat. Kaputt ist unbequem – aber lebendig. Ein Beispiel: Wo Familie zerbricht, kann Wahlfamilie entstehen. Nicht durch genetische Verbindung, sondern durch Fürsorge, Solidarität und geteilte Werte. Besonders queere, marginalisierte und mit ihnen künstlerische Räume kennen dieses Potenzial – doch das Verletzliche als Ausgangspunkt für Neues betrifft weit mehr: Wo Bruch ist, kann Bewegung entstehen.
Wir wissen nicht, wo die Bewegung hinführt – doch mit dem Entweichen der Funktion entsteht ein Kaputtential. Dies ist kein Aufruf, sich kaputtsparen zu lassen oder das Kaputtsein zu verklären, sondern den Zustand als bereits kaputt zu begreifen. Kaputt ist kein Scheitern, sondern eine Entscheidung, nicht weiterzumachen wie bisher – und nicht still zu vertrauen, dass der Spuk aufhört und alles (wieder) gut wird – als wäre es das je gewesen.
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