Ausgabe Juli/August 2019

Haltet sie lebendig!

Ein E-Mail-Interview mit den Pina Bausch-Tänzerinnen Josephine Ann Endicott und Bénédicte Billiet über ihren Berliner Bausch-Workshop und das Repertoire der vor zehn Jahren verstorbenen Wuppertaler Choreografin.

Meilenstein in Pina Bauschs Schaffen: ihre "Macbeth"-Adaption "Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss, die anderen folgen", hier in der Neueinstudierung 2019. © Uwe Stratmann © Uwe Stratmann

Interview: Elena Philipp

Jo Endicott und Bénédicte Billiet, Sie waren beide langjährige Tänzerinnen und Mitarbeiterinnen bei Pina Bausch – Jo Endicott von der Kompaniegründung 1973 bis zu Pina Bauschs Tod 2009, Bénédicte Billiet von 1981 bis 1989 als Tänzerin und seit 2001 als Mitarbeiterin und Assistentin – und Sie sind dem ­Tanztheater ­Wuppertal als Repetitorinnen nach wie vor verbunden. Kürzlich haben Sie dort die seit 29 Jahren nicht mehr gezeigte „Macbeth“-­Adaption aus dem Jahr 1978 neu einstudiert, „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss, die anderen folgen“. In diesem Auftragswerk fürs Bochumer Schauspielhaus arbeitete Pina Bausch erstmals mit ihrer später charakteristischen Methode: den Tänzer*innen Fragen zu stellen und so mit ihnen gemeinsam die Inszenierung zu entwickeln. Im August nun sind Sie beide in Berlin und bieten an der Universität der Künste einen Workshop an, „Pina Bauschs Tanztheater erproben“. Werden Sie den Teilnehmer*innen auch Fragen stellen?

Jo Endicott: Ja, wir werden das so mit ihnen versuchen und ihre Vorschläge aufnehmen, zum Beispiel bei der Diagonalen aus „Macbeth“, in der es um Verlegenheit, Verliebtsein, Riechen, Willkommen usw. geht. Oder beim Kreis aus „Kontakthof“, bei dem die Alltagsgesten alle festgelegt sind und der Ablauf eine Sache der Koordination ist. Es gibt so vieles, was wir ausprobieren können.

„Auszüge erproben“ meint also wörtlich: einen viertägigen Einblick in Pina Bauschs Repertoire?

Jo Endicott: Ja. Wir werden kurze Tanz- oder Textpassagen und Szenen aus verschiedenen Stücken mit den Teilnehmenden ausprobieren. 

Was möchten Sie ihnen vermitteln? 

Bénédicte Billiet: Präzision und „Da“ sein. 

Jo Endicott: Es geht um ein kleines „Schnupperchen“ in Pinas Welt – das Alltägliche, Fragen und Antworten, den Aufbau eines Solotänzchens. Mal sehen. Man muss für solche Workshops immer spontan sein. Auf jeden Fall wird etwas Spannendes für alle dabei sein.

An wen richtet sich der Workshop? Sind Tanz-­Anfänger*innen willkommen?

Jo Endicott: Ich würde nicht so gerne Tanz-Anfänger*innen nehmen. Ein wenig Erfahrung und rhythmische Begabung wären schon sinnvoll. 

Apropos Begabung: Was kennzeichnet für Sie Pina Bauschs Bewegungssprache? Auf welchen Qualitäten beruht sie? 

Jo Endicott: Es gibt keine wirklichen „specifics“ oder spezielles Bewegungsvokabular. Pinas Tanzsprache schöpft aus allem Möglichen …

Könnte also jede*r Pina Bausch-Tänzer*in werden? Oder andersherum: Welche(n) Körper setzen Pina Bauschs Stücke voraus, welchen Trainingsstand, welchen ‚Typ‘ von Tänzer*in?

Jo Endicott: Auf jeden Fall eine gute Tanz-Ausbildung. Offenheit in der Arbeit. Neugier. Erfahrung. Schauspielerische Qualitäten. Humor. Die Bereitschaft, sich auszuprobieren und in sich zu suchen. Sich in der Gruppe einzufügen. Etwas Neues zu erproben. Aus sich herauszugehen. Vertrauen. Nur die wenigsten haben das „Besondere“, das ein*e Pina Bausch-Tänzer*in braucht.

Bénédicte Billiet: Neulich habe ich gedacht, bei Pina werden die Knochen rund, der Atem durchflutet den ganzen Körper, die Füße denken, die Hände tasten, die Augen gucken... ja, das braucht man, um Pina Bausch-Tänzer*in zu werden. 

Was ist für Sie das Vermächtnis von Pina Bausch und dem Tanztheater Wuppertal?

Jo Endicott: Die Stücke natürlich, und the spirit, Pinas Geist, der in diesen wunderbaren Stücken noch lebt. Ihre Aussage, die Erinnerung an ihre Wirkung auf die Zuschauer*innen, die Kraft und Wahrnehmung ihrer Wirklichkeiten. Jede*r von uns wurde von ihren Stücken menschlich berührt. Die Welt sollte noch so lange wie möglich, so lang wie „wir“ und die anderen Probenleiter*innen noch da sind und das Niveau und die Ehrlichkeit der Stücke erhalten können, die Chance haben, Pina zu sehen und zu spüren. 

Das heißt, Sie wären dafür, das Tanztheater Wuppertal abzuwickeln, wenn die Generation Tänzer*innen, die noch mit ihr selbst gearbeitet hat, die Stücke nicht mehr weitergeben kann? 

Jo Endicott: Man kann vieles erkennen, entziffern und lernen anhand all der Videos, Dokumente und Regiebücher. Jedes Stück hat ein Innenleben, das kennt man natürlich besser, wenn man dabei war bei seiner Kreation. Jüngere Tänzer*innen sollen die Stücke auch in Zukunft weitergeben.

Am 30. Juni diesen Jahres war Pina Bauschs zehnter Todestag. Wie erinnern Sie sie, als Privatperson und als Künstlerin?

Jo Endicott: Ich werde sie nie vergessen. Sie bleibt für mich bestimmt ewig in meinem Herzen und die Stücke sind in meinem Körper eingeschrieben. 
Bénédicte Billiet: Jeder Tag, an dem wir an einem Stück arbeiten, ist eine Erinnerung. Immer wieder stellen wir fest, wie genial sie und ihre Arbeit waren. Sie hat uns etwas hinterlassen, was nicht verwischbar ist.

Wie nehmen Sie die Querelen um die Leitung des Tanztheaters Wuppertal wahr? Adolphe ­Binder, die nur knapp über ein Jahr amtierende Intendantin, wurde im Juli 2018 fristlos gekündigt. Vorgeblich wegen eines fehlenden Spielplans, wobei zum Beispiel die Neueinstudierung von „Er nimmt sie an der Hand“ von ihr angesetzt wurde. Wenige Wochen bevor das Arbeitsgericht ihre Kündigung für nicht rechtskräftig erklärte, wurde mit Bettina Wagner-Bergelt von der Stadt schon eine neue Intendantin benannt. Pina Bauschs Kompanie hat de jure zwei Leiterrinnen?

Jo Endicott: Darüber will ich mich nicht äußern. Die Wahrheit hat immer zwei Seiten. Ich bin Gast am Tanztheater. Es haben genügend andere Leute darüber geredet, die davon wenig Ahnung hatten.

Bénédicte Billiet: Trotz allem arbeiten alle mit viel Energie, um die Stücke zu präsentieren und lebendig zu halten. Ich finde es bewundernswert. 

Was würden Sie sich für die Kompanie und die Tänzer*innen jetzt als konkrete Maßnahme zu ihrer Stärkung wünschen?

Jo Endicott: Arbeiten. Arbeiten. Arbeiten. Sich auf Neues und Altes einlassen. Gemeinsam und mit allen zusammen vorwärts weiter gehen. Nicht stehen bleiben. Rollen müssen neu besetzt, ausgefüllt und ausgefühlt werden. Es gibt viel zu tun. Keep it alive!


Bis zum 31. Juli 2019 kann man sich für den Workshop „Pina Bauschs Tanztheater erproben“ der Internationalen Sommerakademie KlangKunstBühne (20. – 23. August 2019) anmelden via www.klangkunstbuehne.de. Die Teilnahmekosten betragen 150 Euro. Der Ort des Workshops und der Abschlusspräsentation (am 23. August 2019 um 13:00 Uhr) sind die Universität der Künste, Bundesallee 1 – 12, Probensaal.

Josephine Ann Endicott und Bénédicte Billiet
Abschlusspräsentation: Pina Bauschs Tanztheater erproben
23. August 2019
Universität der Künste
www.klangkunstbuehne.de

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