Ausgabe März-April 2025

Erfahrung vermitteln

Foto: Johanna Withelm

Wie wird man Tanzvermittler*in? Im Herbst letzten Jahres fand in den Uferstudios der Workshop Tanzvermittlung als Berufsperspektive statt. Der Workshop, veranstaltet von Access Point Tanz und Future Move e.V. in Kooperation mit dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz (HZT), hatte das Ziel, Wissen und konkrete Tools zu vermitteln, um das dynamische Feld der Tanzvermittlung als eine sozial und künstlerisch relevante Tätigkeit zu erkunden. Er richtete sich an Studierende des HZT, an Teilnehmende des Programms Future Move Tanz – Berufsperspektiven für junge Tanzschaffende sowie an alle, die im Bereich der Tanzvermittlung aktiv werden wollen. Die Nachfrage und das Interesse am Workshop waren groß, es hatten sich weit mehr Menschen angemeldet, als Plätze vergeben werden konnten. Die am Beginn ihrer Laufbahn stehende Tänzerin und Performerin Mira Jochimsen hat am Workshop teilgenommen und für tanzraumberlin ihre Erinnerungen, persönlichen Erfahrungen und Learnings dokumentiert.

Mira Jochimsen
Tänzerin und Performerin

 

Was ist Tanzvermittlung? Welche Rolle nimmt man als Tanzvermittler*in ein? Was wird vermittelt – oder könnte man auch fragen: Zwischen wem wird vermittelt?

Mit diesen Fragen habe ich mich Mitte Oktober 2024 zum Workshop ‚Tanzvermittlung als Berufsperspektive‘ angemeldet. Nach dem Abschluss meines Studiums in Dance Performance an der Stockholm University of the Arts stehe ich am Anfang meiner Laufbahn in Berlin und bin daran interessiert, die verschiedenen Wirkungsbereiche von Tanz zu erkunden. Der Workshop hat meine Neugier geweckt, Konkretes und Praktisches über Tanzvermittlung zu erfahren, mich mit Menschen auszutauschen, die in diesem Feld tätig sind und einen Einblick zu bekommen, wie vielfältig und individuell man die Vermittlung von Tanz gestalten kann.

In diesem dokumentarischen Text möchte ich festhalten, welche Eindrücke sich mir eingeprägt haben und welche Einsichten ich gewonnen habe.

Der Workshop bestand aus zwei Teilen: Den einen Teil leitete Bahar Meriç – Choreografin, Vermittlerin, Projektinitiatorin und künstlerische Leiterin von Future Move e.V. Den anderen Workshop-Teil gestaltete Be van Vark, die als Choreografin, Dozentin, sowie als Vorstandsmitglied und künstlerische Leiterin von Tänzer* ohne Grenzen e.V. tätig ist. Die Workshopgruppe bestand aus einer Mischung von Teilnehmenden des Programms Future Move Tanz – Berufsperspektiven für junge Tanzschaffende, Studierenden und Alumni des HZT und Menschen aus der freien Tanzszene und verwandten Bereichen, die sich für Tanzvermittlung interessierten.

 

Tanzvermittlung als leibliche Erfahrung

Essentieller Bestandteil beider Workshops war das Ausprobieren. Wir erkundeten Tanz- und Bewegungsübungen in der Gruppe, sowohl mit Musik als auch ohne, mit Hilfsmitteln und ohne, draußen und drinnen, mit Sprache, Geräuschen, Worten und in totaler Stille. Aus der Position der Lernenden heraus kamen wir selbst mit den unterschiedlichen Facetten, Herausforderungen und Möglichkeiten von Tanzvermittlung in Berührung: Wir haben sie gewissermaßen am eigenen Leib erlebt.

Wir stehen verteilt im Hof der Uferstudios. Die Hälfte der Gruppe hat die Augen geschlossen. Mit geschlossenen Augen lässt es sich besser zuhören. Es erklingt ein Chor an Zisch-, Pfeif-, Schmatz- und Schnalzgeräuschen. Die Laute kommen aus allen Richtungen und ich versuche herauszuhören, wo ich das mir zugeordnete Geräusch verorten kann. Während ich im Chor der Stimmen die Details herauszuhören versuche, nehme ich sowohl die Vielstimmigkeit der Gruppe war, als auch die Spezifität der Stimme, die sich an mich richtet. Zögerlich laufe ich mit geschlossenen Augen in die Richtung, aus der ich das Geräusch meiner*s Partner*in vermute. Je weiter ich mich nähere, desto lauter und klarer wird es, andere Geräusche treten mehr in den Hintergrund. Als es ganz nah ist, öffne ich die Augen. Die Gruppe hat sich im Raum neu sortiert.

Was hier exemplarisch erlebbar wird, ist etwas ganz Alltägliches: Die Bewusstwerdung der eigenen Sinneswahrnehmung. Dabei wird etwas in den Fokus gerückt, das zwar immer da ist, dem wir aber meist wenig Beachtung schenken. In der simplen und doch vielschichtigen Aufgabe werden wir uns unserer Sinnlichkeit bewusst, unserer menschlichen Grundausstattung. Es geht um Abstände zwischen uns, um die Erfahrung von Nähe und Distanz sowohl auf räumlicher als auch auf zwischenmenschlicher Ebene. Das Geräusche machen lässt uns auf spielerische und humorvolle Weise in Beziehung treten.

Eine Person steht in der Mitte des Raumes, in aufrechter Position und mit geschlossenen Augen - ganz still, die einzige Bewegung ist die des Atems. Der Rest der Gruppe versammelt sich im Kreis herum. Wir halten alle lange, dünne Kunststoffrohre in den Händen. Ausgehend von Assoziationen zum Thema Gleichgewicht, haben wir zuvor diese alltäglichen und doch dem Körper sehr unähnlichen Objekte auf unseren eigenen Körpern balanciert. Jetzt werden wir, nacheinander und doch gemeinschaftlich, die Plastikstangen auf dem Körper der Person in der Mitte platzieren. Wir versuchen das Gewicht der Stangen einzuschätzen, abzuschätzen, wo ihr Gleichgewichtspunkt liegt. Wo können wir sie am Körper anlehnen oder auflegen, ohne dass sie herunterfallen? Wo haben die anderen die Kunststoffrohre platziert, können sie sich gegenseitig stützen, sich ausbalancieren? Hat Gleichgewicht etwas mit Gleichheit im Gewicht zu tun?
 

Die Requisiten werden hier zu Hilfsmitteln anhand derer wir uns unserer eigenen Körper bewusst werden. Durch die Beschäftigung mit dem Gleichgewicht der Plastikstangen wird automatisch mein eigener Gleichgewichtssinn angesprochen und mein leibliches Verständnis von Schwerkraft, Gewicht und Balance rückt in den Vordergrund.

Durch diese Eindrücke kann ich Tanzvermittler*innen als wissens- und erfahrungsvermittelnde Figuren verstehen. Es handelt sich um das Vermitteln von etwas. Die Fähigkeiten und Erlebnisse können explizit oder implizit sein, speziell oder alltäglich, sie können über bestimmte Tanzschritte im Studio bis zu angeleiteten Wahrnehmungsübungen im öffentlichen Raum reichen. Es ereignet sich ein Fokussieren und Bewusstmachen.

 

Tanzvermittlung als gesellschaftliche Praxis

Be van Vark sprach während ihres Workshops über die Herausforderungen, in Projekten mit großen Gruppen sowohl ein Gefühl von Gemeinschaft zu schaffen, als auch gleichzeitig das Individuum zu sehen und sichtbar werden zu lassen. Sie erzählte, dass sie Vermittlung als gelungen betrachtet, wenn sich die Teilnehmenden das vorgeschlagene Material ‚zu eigen‘ machen können und sich ernst genommen fühlen. Die Voraussetzung für diesen Prozess sieht Be darin, das Vertrauen der Teilnehmenden zu gewinnen.

Mit Bahar Meriç diskutierten wir wo, wie und auf Grundlage welcher Werte Tanzvermittlung eigentlich stattfindet. Es ging um Fragen von Partizipation, Selbstbestimmung, Akzeptanz und Empowerment und darum, wie Tanzvermittlung verschiedenste Zielgruppen erreichen kann. Im anfänglichen name-game, in dem jede Person ihren Namen zusammen mit einer Bewegung vorstellte, diese dann von der gesamten Gruppe wiederholt wurde und sich nach einigen Runden zu einer Choreografie zusammenfügte, erprobten wir, wie wir uns in Tanzräumen begegnen können und wollen. Wie wir uns ansprechen, uns einfühlen und aufeinander beziehen.

Hier tritt die Perspektive des Vermittelns zwischen etwas in Erscheinung. Die Vermittelnden nehmen hier die Position in der Mitte, im Zwischenraum ein. Es kommen Themen rund um Zugänglichkeit/Access und Partizipation ins Spiel – kritische Fragen danach, wo Tanz in Berlin stattfindet und welches Publikum der Tanz dort anspricht. Tanzvermittler*innen nehmen hier die Rolle derjenigen ein, die die gesellschaftlichen Räume und Normen hinterfragen und sich dafür einsetzen, ausgrenzende Barrieren abzubauen und Tanz für ein breiteres Publikum zugänglich zu gestalten. Gruppendynamische Prozesse, im Kleinen wie im Großen, spielen dabei eine bedeutende Rolle.
 

Tanzvermittlung als Katalysator
Für mich sind sie zahlreich, die Wirkungen der Tanzvermittlung. Der Bogen, der sich über die verschiedenen Aspekte spannt, ist die Beschäftigung mit sogenannten Soft Skills. Das sind Fähigkeiten und Werte, die dem Tanz inhärent sind, jedoch oft unsichtbar bleiben. Tanzvermittler*innen bringen Aspekte wie Kreativität, Teamwork, Verständnis und Wertschätzung für Unterschiede und Empathie in Erscheinung und machen sie sichtbar und erlebbar. Die Tanzvermittlung bringt Kontexte, Menschen und Felder zusammen, ähnlich einem Katalysator setzt sie gesellschaftliche Prozesse in Gang.

 

Dieser Text ist im Auftrag von Access Point Tanz geschrieben und im Rahmen der Pilotphase für ein zukünftiges Tanzvermittlungszentrum hier veröffentlicht worden:

www.access-point-tanz.org

 

www.mirajochimsen.cargo.site

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