Ausgabe Januar-Februar 2025

Ein Fördersystem lässt die Tanzszene im Stich

Jasna Layes Vinovrški. Foto: Clément Layes

Dieser Text ist ein Auszug aus einer Rede der Choreografin Jasna Layes Vinovrski die sie am 4. Juni 2024 im Rahmen der Eröffnung der vom Tanzbüro Berlin initiierten Kampagne „Watch Me Dance“ und der Vorstellung der TanzAgenda2024 gehalten hat. Jasna Layes Vinovrski sprach in ihrer Rede über die prekäre Arbeitsrealität der Tanzschaffenden in Berlin, kritisierte die unzureichende Förderung in aller Klarheit und forderte breite Bündnisse der Tanzschaffenden und eine Veränderung des Fördersystems um die Zukunft des Tanzes in Berlin nachhaltig zu sichern. Was wir alle zum Zeitpunkt ihrer Rede noch nicht ahnten, war, wie drastisch die Sparmaßnahmen die Tanzszene im Jahr 2025 zusätzlich beschädigen werden. Umso eindringlicher liest sich die Rede heute.

Jasna Layes Vinovrški
Choreografin und Dozentin

 

Dieses Jahr begann für mich, wie für die meisten Berliner Künstler*innen, mit dem Schreiben von unzähligen Anträge. Das ist ein Teil meines Berufs; jedoch ist die aktuelle Situation der Tanzförderung in Berlin extrem schwierig und trifft die Berliner Tanzschaffenden besonders hart. Mit dieser Stellungnahme möchte ich auf diese Situation aufmerksam machen, die in der Politik als natürliche Rückkehr zu den Zeiten vor der COVID-19-Pandemie wahrgenommen wird. Aber wir alle wissen, dass nichts mehr so ist wie 2019: Inflation und steigende Lebenshaltungskosten sind heute Realität. Hinzu kommt, dass die Erhöhung der Honoraruntergrenzen, der wir alle mutig gefolgt sind, nicht mit einer Erhöhung der Mittel in den Fördertöpfen einhergegangen ist. Diese Gesamtsituation zwingt die Tanzkünstler*innen zurück in den Überlebensmodus – ein Zustand, der schlimmer ist als je zuvor.

Ich habe festgestellt, dass das Fördersystem in Berlin so strukturiert ist, als würde es Hobbytänzer*innen unterstützen, obwohl ein Großteil der Anträge von professionell ausgebildeten Tänzer*innen und Choreograf*innen kommt. In jedem dieser Anträge müssen die Tanzschaffenden immer wieder ihre Professionalität nachweisen, indem sie Lebensläufe und Portfolios einreichen. Sie müssen immer wieder beweisen, dass sie kontinuierlich arbeiten – in einem System, das es ihnen nicht erlaubt, kontinuierlich zu arbeiten. Dieses System erkennt nicht an, dass wir als professionelle Tanzschaffende Nachhaltigkeit und Kontinuität brauchen, um unsere künstlerische Arbeit und unsere Strukturen weiterzuentwickeln. Es erkennt nicht an, dass wir möglicherweise auch für andere Menschen sorgen müssen – für unsere Kinder, unsere Eltern oder vielleicht unsere Partner*innen. Es erkennt nicht an, dass unsere Renten uns in die Altersarmut treiben werden. Es erkennt nicht an, dass viele von uns nicht einfach in ihre Herkunftsländer zurückkehren können, weil sie dort möglicherweise aufgrund ihrer Nationalität, ihrer sexuellen Identität oder ihrer Behinderung nicht leben können.

Berlin hat die größte freie Tanzszene Deutschlands, und in den vergangenen Jahrzehnten haben international anerkannte Künstler*innen hier gelebt und gearbeitet. Ihr Beitrag zur Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes – lokal wie international – ist und war immens. Doch still und leise, ohne großes Aufsehen, sind viele dieser Künstler*innen einfach aus der Berliner Tanzszene verschwunden. Niemand weiß genau warum und wie, man hört nur, dass sie plötzlich den Beruf gewechselt haben, in anderen Städten oder Ländern leben – oder man hört gar nichts mehr von ihnen. Ich glaube, dass dieses Fördersystem dafür verantwortlich ist, ebenso wie für die Unsichtbarkeit vieler antragstellender Künstler*innen. Die Fördertöpfe sind so schlecht ausgestattet, dass sie den realistischen Bedarf bei weitem nicht decken. Jede Tanzjury hat diese alarmierende Situation benannt und Jahr für Jahr mantraartig wiederholt.

Ich wünsche mir, dass sich alle Tanzschaffenden in Berlin zusammenschließen und für unsere Arbeitsrechte eintreten. Schluss mit dem Verstecken der unzähligen Anträge, die keine Förderung erhalten. Was wir heute auf der Bühne sehen, ist eine winzige Minderheit von Künstler*innen, die sehr hart arbeiten und wissen, wie viel Glück sie haben, gefördert zu werden – aber vielleicht nicht wissen, dass das System ihnen kein langfristiges Überleben ermöglicht. Es ist ein System, das sich auf neue, aufstrebende und vor allem temporäre Kunst konzentriert. Ein System, das nur eine temporäre Perspektive bietet, die dann Berlins Flair als Hype-Kulturstadt prägt, Gentrifizierungsprozesse initiiert, Investoren anzieht und schließlich sagt: Auf Nimmerwiedersehen.

Es zwingt Künstler*innen zu einsamen Einzelkämpfer*innen, die ihrer Karriere hinterherjagen, nirgendwo verwurzelt sind und ohne jegliche Form von Nachhaltigkeit oder Kontinuität arbeiten, egal wie erfolgreich sie sind.

Ich möchte den Hunderten von abgelehnten Anträgen meinen Respekt zollen, denn jede Ablehnung bedeutet nicht nur eine existenzielle Bedrohung, sondern stellt auch unseren Selbstwert in Frage. Dieses Fördersystem lehnt 85% unserer Tanzgemeinschaft kontinuierlich ab und zwingt diejenigen, die gefördert werden, wie Besessene zu produzieren. Im Laufe der Jahre hat diese Dynamik die mentale und physische Gesundheit unserer gesamten Community beeinträchtigt, und wir haben ernsthafte Fälle von Depressionen und Krankheiten und sogar Suizide unter unseren Kolleg*innen erlebt. Dieses Fördersystem zerstört unsere Vergangenheit und sorgt nicht ausreichend für eine Dokumentation und Archivierung, durch die wir uns zumindest an die großartigen Künstler*innen erinnern könnten, die in Berlin gelebt und gearbeitet haben. Es zerstört auch unsere Zukunft, indem es Künstler*innen für immer im Bereich des Nachwuchses festhält. Es enthält einen Fördertitel namens „Basisförderung“, der in Wirklichkeit eine zweijährige Projektförderung ist und keinerlei Basis bietet. Zudem operiert es mit veralteten Metaphern wie dem „Bus-Prinzip“ (Künstler*innen sollen ein- und aussteigen können), die es den Künstler*innen sehr schwer machen, Strukturen und Ensembles aufzubauen. Ein solches System schränkt das natürliche Wachstum der Tanzszene in Berlin ein und ermöglicht keine generationenübergreifende Koexistenz innerhalb der Szene.

Es ist Zeit für ein besseres Fördersystem, das kontinuierliches, nachhaltiges Arbeiten ermöglicht und uns erlaubt, Strukturen aufzubauen, durch die wir Arbeits- und Lagerräume, Verwaltung und Produktion sowie unsere langfristigen Kollaborateur*innen (Tänzer*innen, Dramaturg*innen, Lichtdesigner*innen, Kostümbildner*innen) zu bezahlen. Um jede solche Struktur herum entsteht auch eine Gemeinschaft von Zuschauer*innen. Mit dem stillen Verschwinden von Künstler*innen aus dem Fördersystem lösen sich auch diese Mikrogemeinschaften auf, und wir verlieren ein wertvolles Publikum, das wir über Jahre hinweg sorgfältig aufgebaut haben und für zeitgenössischen Tanz begeistern konnten. Einige der international bekanntesten Choreograf*innen und Tänzer*innen stammen aus Berlin und gelten als Pionier*innen in der weltweiten Tanzentwicklung. Heute erwägen immer mehr dieser Künstler*innen, ebenso wie viele Nachwuchs- und Mid-Career-Künstler*innen, Berlin vielleicht für immer zu verlassen. Dieses System ist nicht die Verantwortung von niemandem; es ist die Verantwortung der Regierung. Deshalb mein dringender Appell an die Berliner Regierung: Handeln Sie, um die Zerstörung der freien Tanzszene in Berlin zu stoppen. Und an meine Kolleg*innen: Lasst uns gemeinsam für unsere Arbeitsrechte kämpfen.

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