edition Januar-Februar 2025

Vielfalt statt Einfalt!

Jule Flierl. Foto: Canan Erek

Bei der Demonstration des Aktionsbündnisses #berlinistkultur gegen die geplanten Kürzungen im Kulturbereich am 13. November 2024 sprach die Berliner Choreografin Jule Flierl vor dem Brandenburger Tor. In ihrer eindringlichen Rede, die wir hier dokumentieren, prangert sie die aktuelle Kulturpolitik an, die durch Kürzungen und Haushaltssperren die Existenz der Freien Tanzszene in Berlin und darüber hinaus bedroht. Jule Flierl appelliert eindringlich, Kunst nicht als Problem, sondern als Lösung zu begreifen. Die Einschübe in kursiver Schrift sind Sprechchöre der Demonstrant*innen.

Jule Flierl
Choreografin und Tänzerin

JETZT wird verhandelt, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickelt.

Von der Politik kommen keine Visionen für die Zukunft, stattdessen gibt es Kürzungen, Haushaltssperre und Gesinnungsprüfungen.

Wer kürzt, denkt zu kurz!

Wer kürzt, denkt zu kurz!

Wer kürzt, denkt zu kurz!

Ich bin in Ostberlin aufgewachsen und fing in einer Zeit an zu tanzen, die jetzt treffend als Baseballschlägerjahre bezeichnet wird. Rechte Gruppen waren mit Baseballschlägern auf der Straße und in der Schule unterwegs, drohten Gewalt an und übten Gewalt aus. Damals hätte ich mir nie vorstellen können, dass sich diese Stadt zu einer Metropole des Tanzes entwickeln würde. Jetzt bin ich seit 15 Jahren Teil der Berliner Tanzszene, sie ist international, ein charismatisches Unikat in der Tanzwelt, sie setzt weltweit Impulse für die Zukunft unserer Kunstform, und sie bereichert nicht nur mein Leben, sondern die ganze Stadt enorm.

Dieses neue, weltoffene Berlin wird nun durch die Kürzungen der CDU/SPD-Regierung bedroht. Liebe SPD – Sie sagen, dass aktive Kulturpolitik auch Demokratiepolitik ist, lassen sie Ihren Worten Taten folgen! Liebe CDU – wenn Sie Vielfalt wirklich stärken wollen, wie Sie immer betonen, dann investieren Sie in die Freie Szene Berlins! Lieber Joe Chialo, Sie wollen bestimmt nicht in die Geschichte eingehen, als derjenige, der diese organisch gewachsene Freie Tanzszene ausgetrocknet hat.

Vielfalt statt Einfalt!

Vielfalt statt Einfalt!

Vielfalt statt Einfalt!

 

Wir sind keine Tanzmäuse oder Hupfdohlen!

Tanz hat eine zentrale Zukunftsaufgabe, um im Zeitalter der Digitalisierung und des Klimawandels Visionen für den Körper in einer sich wandelnden Umwelt zu entwerfen. In der freien darstellenden Kunst werden Themen aus vielfältigen Perspektiven der Mitwirkenden verhandelt, jede künstlerische Arbeit entsteht in einer komplexen sozialen Situation. Widersprüche dürfen nicht ausgelöscht werden. Wir sind Spezialist*innen für ein demokratisches Miteinander. Inklusion, Antidiskriminierung, Geschlechtergerechtigkeit und ökologische Produktionsweisen werden nicht zuletzt durch die Freie Szene in den Alltag und das Denken der Gesellschaft getragen.

Aber ausgerechnet bei dieser innovativen Freien Szene ist es besonders leicht zu sparen – es gibt keine vertraglichen Bindungen, keine Lösungen für die Lücken zwischen den Projekten oder bei Krankheitsausfall, die meisten Künstler*innen hangeln sich von Projekt zu Projekt und leben trotz Exzellenz ein Leben am Existenzminimum. Erinnern wir uns, dass in der letzten Förderrunde nur 9 % der Projektanträge in Berlin bewilligt wurden und laut einem Jury-Statement sollen es 2025 nur 5 % sein. Jetzt wird noch weiter gekürzt – in Berlin und im Bund – und das bedroht die Gemeinschaft der Freien Tanzszene akut, von der ein Großteil der Akteur*innen weniger als 15.000 € im Jahr verdient. Und das in einer der stärksten Volkswirtschaften der EU! Als wäre das nicht genug, bringt die aktuelle Haushaltssperre nun noch mehr Planungsunsicherheit.

Wir fordern eine professionelle Politik, damit wir professionell arbeiten können!

Ein Beispiel: Die Tanztage in den Sophiensælen bestehen seit mehr als 30 Jahren, sie sind eines der wichtigsten Tanzfestivals in Europa für Neuentdeckungen. Doch erst vor einigen Tagen, zwei Monate vor der nächsten Eröffnung, wurden die Veranstalter*innen final informiert, dass sie nur mit der Hälfte des nötigen Budgets planen und einladen können. Die Haushaltssperre und die Kürzungen verhindern aktiv die professionelle Arbeit in der Freien Szene und bedrohen sowohl den Fortbestand von Spielstätten, als auch die Zukunftsperspektiven für mehrere Generationen von Tanzschaffenden.

Die Gesellschaft hat ein Recht auf geförderte Künstler*innen. Unser Fördersystem braucht ein Update, das in die Zukunft weist, und keine Kürzungen, die uns Jahre zurückwerfen!

Wer kürzt, denkt zu kurz!

Wer kürzt, denkt zu kurz!

Wer kürzt, denkt zu kurz!

 

Die glaubhafteste Brandmauer ist die freie Kultur!

In letzter Zeit habe ich viel über das deutsche Grundgesetz gelernt. Mitten im Rechtsruck konzentriert sich das Misstrauen der Politik auf uns Kunstschaffende. Eine neue Resolution verstößt gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit und übt vor allem auf marginalisierte Kunstschaffende enorm viel Druck aus.

Statt die diversen Biografien meiner Kolleg*innen gegeneinander auszuspielen, fordere ich die Politikschaffenden auf, endlich so intersektional denken und handeln zu lernen, wie wir es in Freien Szene seit Jahren ÜBEN. Denn nur Übung macht die Meisterin!

Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung!

Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung!

Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung!

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