edition November-Dezember 2025

Über Tanz, Teilhabe und Zukunft

Bahar Meriç. Foto: Mayra Wallraff

Die Choreografin, Netzwerkerin und Kulturvermittlerin Bahar Meriç begreift Tanz als Haltung, als eine Form der Begegnung und als politische Praxis. Für tanzraumberlin schreibt sie von prägenden Momenten ihrer Biografie – zwischen klassischem Ballett, eigenen Ausschlusserfahrungen und dem stetigen Ringen um Teilhabe. Mit dem von ihr gegründeten Verein Future Move schafft sie heute diskriminierungskritische und empowernde Räume für junge Menschen, die niedrigschwellige Zugänge zu Kunst und Kultur eröffnen. Future Move e.V. ist ab sofort offiziell Hauspartner des Jungen Tanzhaus Berlin

Bahar Meriç
Choreografin, Netzwerkerin und Kulturvermittlerin

 

Wenn ich von Tanz spreche, dann meine ich damit nie nur Bewegung. Für mich ist Tanz ein Zugang zu Geschichten, Menschen und gesellschaftlichen Fragen. Tanz ist für mich Ausdruck einer Haltung zur Welt. Diese Haltung hat mich zu einer Choreografin, Netzwerkerin und Kulturvermittlerin gemacht, die Bewegung immer mit Begegnung verbindet. 

Meine Familie und meine türkischen Wurzeln brachten mir Musik und Rhythmus, türkische Volkstänze und gutes Essen bei. Meine erste Berührung mit Tanz hatte ich im Ballettunterricht. Der Schritt ins Ballett passierte eher zufällig, als eine Tanzschule in unserem dörflichen Bezirksteil im Süden Berlins eröffnete. Da war ich fünf Jahre alt. Später bin ich zu Sabine Roth gewechselt. Sabine nahm mich an die Hand und bildete mich nach dem Royal-Academy-of-Dance-System im klassischen Ballett aus. Mit ihr betrat ich im Alter von 14 das erste Mal eine Oper. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie eindrucksvoll, aber auch einschüchternd mir die Räume der Staatsoper Unter den Linden vorkamen und wie mich die Liebe zur Bühne packte, als ich mit Tschaikowski im Ohr Prinz Siegfried und der verzauberten Odette in Schwanensee zusah. Mein Glück war, dass meine Eltern die finanziellen Möglichkeiten hatten und meine Tanzlehrerinnen mich förderten. So konnte ich die sogenannte „Hochkultur“ kennenlernen. 

Meine Lebensrealitäten und die Ausschlüsse, die ich als junger Mensch erfahren habe, führten jedoch dazu, dass mich das Interesse an einer künstlerischen Berufsausbildung erst viel später erreichte. Meine Ängste und Hemmungen waren zu groß, um mich an einer Kunsthochschule zu bewerben. Ich habe diese Institutionen als Orte gesehen, in denen ich nicht bestehen kann. Ich entschied mich für eine private Ausbildung an der Tanzakademie Balance 1, weil mir der Zugang dort einfacher und selbstbestimmter vorkam. Mir sind dann im Laufe der Zeit Menschen begegnet, die ihre Erfahrungen mit mir geteilt und mich mitgenommen haben. Durch das Sammeln vieler Erfahrungen, das Ausprobieren und auch das Scheitern wurde aus mir schlussendlich eine Choreografin. Diese Erfahrung, immer wieder an Schwellen zu stehen, hat mich geprägt und begegnet mir immer noch. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn Strukturen Teilhabe erschweren. Vielleicht ist gerade deshalb mein heutiges Engagement so tief verankert in der Idee, Räume zu öffnen. 

In meiner choreografischen Arbeit interessiere ich mich für das Dazwischen: das Unsichtbare zwischen Körpern, das schwer Fassbare, das man spürt, für das ich aber keine Worte finde. Mich bewegt, wie Körper miteinander sprechen können – leise, widersprüchlich, politisch. Für mich ist künstlerische Arbeit ohne soziale Verantwortung nicht denkbar. Aus dieser Haltung heraus ist Future Move e. V. entstanden: ein Verein, der Menschen einen niedrigschwelligen Zugang zu Kunst und Kultur eröffnen möchte. Es geht darum, sie zu ermutigen, ihre eigenen Stimmen und Perspektiven in Kunst- und Kulturinstitutionen einzubringen, gerade dann, wenn diese Stimmen in den etablierten Räumen bisher kaum Gehör finden. Die Arbeit ist diskriminierungskritisch, diversitätssensibel und immer an den Lebensrealitäten der beteiligten Menschen orientiert. Die Frage, die uns beschäftigt, ist, wie man Partizipation konkret macht und strukturelle Barrieren abbaut. Wie Partizipation gelebt wird, zeigt, aus welcher Perspektive und mit welchem (Selbst-)Verständnis wir auf gesellschaftliche Prozesse blicken. 

Mein Traum ist es, dass Future Move langfristig zu einem Modell wird: für eine Bildung, die nicht nur vorbereitet, sondern ermächtigt; für Kulturinstitutionen, die nicht nur repräsentieren, sondern einladen und sich transformieren. Wenn ich in die Zukunft blicke, sind meine Wünsche größer als nur einzelne Projekte. Ich wünsche mir eine Stadt, in der Kunst nicht als Luxus erlebt wird, sondern als Selbstverständlichkeit. Institutionen, die Vielfalt nicht als Aufgabe, sondern als Ressource begreifen, und ein Bildungssystem, das junge Menschen nicht sortiert, sondern stärkt. Am Ende bleibt bei mir immer der Gedanke an Bewegung. Nicht nur der Körper bewegt sich, auch Strukturen können in Bewegung geraten. 

Und vielleicht ist das meine größte Vision, dass Tanz, Kunst und Bildung gemeinsam etwas in Bewegung setzen, das weit über die Bühne hinausreicht.

 

13. November 2025

Workshop beim Frankfurter Forum Junges Theater 2025, Frankfurt am Main

22. November 2025

Future Move Tanz Performance  & Ausstellungseröffnung Unser Raum – Umbauprojekt von Future Move im Jungen Tanzhaus Berlin

13. Dezember 2025

Abschlusspräsentation Future Move Bühne Mentoringprogramm im Theater an der Parkaue

 

www.baharmeric.com

www.futuremove.eu

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