edition Juli-August 2025

Tanz unter der Oberfläche

FABLE von Angie Hauser, Darrell Jones & Bebe Miller (SUBMERGE Festival 2025). Foto: Julieta Cervantes

Die Choreografin, Performerin und Dozentin und Mutter Marcela Giesche ist 2010 nach Berlin gezogen und hat eine Wohnung am Wasser gesucht. Die hat sie auch gefunden, und als kurze Zeit später die Tischlerei im gleichen Gebäude auszog, hat sie den Raum kurzerhand übernommen und 2013 die LAKE Studios Berlin gegründet – ein Tanzresidenz-, Recherche- und Veranstaltungsort mit idyllischer Lage in Friedrichshagen direkt am Müggelsee. Wir treffen uns an einem sonnig-warmen Vormittag im Mai in den LAKE Studios und sprechen über das familiäre Gefüge dieses Ortes, über Elternschaft, Familie und künstlerische Praxis und über das im Juli und August stattfindende SUBMERGE Festival 2025, dessen Schwerpunkt auf Austausch, Solidarität und gegenseitiger Unterstützung liegt.

Interview: Johanna Withelm

 

Du hast die LAKE Studios Berlin vor 12 Jahren gegründet, über die Jahre hinweg aufgebaut und lebst auch selbst hier auf dem Gelände, gemeinsam mit Deiner Tochter und Deinem Partner. Wie erlebst Du die Gleichzeitigkeit von Familie, Studio-Leitung und künstlerischer Praxis?

Mit unserem Probestudio, der Studiobühne, dem Garten und unseren sechs Wohnräumen führt dieser Ort irgendwie natürlicherweise zu einem familiären Gefühl – Alltag und künstlerische Prozesse sind hier stark miteinander verwoben. Die LAKE Studios sind übrigens im Grunde auch wie ein Kind: Man muss immer irgendetwas reparieren, es gibt immer etwas zu tun. Ich habe hier von Beginn an viel gebaut, zum Beispiel die Tanzschwingböden oder die Betten für die Wohnräume. Zusätzlich habe ich zu der Zeit auch noch regelmäßig an anderen Orten unterrichtet und choreografiert. Da ich nach der Gründung der LAKE Studios viel weniger Zeit hatte, habe ich angefangen, die Arbeit von hier in meine Unterrichtspraxis zu integrieren. Das heißt, die handwerkliche Arbeit hat sich in der physischen Praxis meiner Kurse und Choreografien widergespiegelt. Dadurch waren beide Tätigkeiten nicht mehr in Konkurrenz um meine knappe Zeit, sondern haben sich gegenseitig überlagert.

Wie erlebst Du die Spannung zwischen Elternschaft und künstlerischer Praxis?

Man sagt und fühlt ja oft, dass man mit Kindern viel weniger Zeit hat. Jedoch kommt das an anderer Stelle oft wieder zurück. Ein Beispiel: Ich war im letzten Jahr Stipendiatin im Bereich Community Dance an der Universität von Otago, in Aotearoa (Maoribezeichnung für Neuseeland) und habe meinen Partner und meine sechsjährige Tochter mitgenommen. Zunächst hatte ich die Sorge, nicht genügend Zeit für das Stipendium zu haben. Doch dann ist das Gegenteil passiert: Durch die Präsenz meiner Tochter, die dort für die Dauer des Stipendiums zur Schule gegangen ist, habe ich mir sehr schnell ein großes Netzwerk erschlossen, das ich für das Projekt nutzen konnte. Mit meinem Partner war es dasselbe: Er ist Grafikdesigner und gegen Ende des Stipendiums haben wir uns spontan dazu entschieden, ein Buch zu gestalten, das wir tatsächlich innerhalb einer Woche fertiggestellt haben. Das war aber nur möglich, weil wir uns so gut kennen. Was ich meine ist: In Familien und langfristigen Beziehungen wird sichtbar, wie Zeit und kreative Energie nicht linear und quantitativ funktionieren, sondern viel verwobener sind, als wir denken. Mir ist aber auch bewusst, dass das nicht für alle Menschen möglich ist und dass ich in einer privilegierten Situation bin. Und manchmal braucht man eben auch eine Pause. Dann ist es gut, wenn ich nicht noch den einen zusätzlichen Job annehme, sondern stattdessen vielleicht einen Tag mit meiner Familie verbringe. Dazu gehört auch, nein sagen zu können.

Vom 21. Juli bis 24. August 2025 findet das SUBMERGE Festival statt. Seit der Gründung 2016 liegt der Fokus des Festivals auf Solidarität und gegenseitiger Unterstützung. Was war der Auslöser dafür?

Der Impuls für das SUBMERGE Festival entstand aus einem persönlichen Erlebnis: Ich kannte eine Choreografin, die relativ neu war in der Stadt, irgendwann habe ich dann ein Stück von ihr gesehen und fand es nicht so gut. Ich habe automatisch geurteilt, so wie wir das manchmal machen, spontanes Kategorisieren in good work, bad work … Ein paar Wochen später habe ich dann jedoch an einem Workshop von ihr teilgenommen. Sie hat ihre Methoden und Inspirationen erklärt und bestimmte Dinge mit uns ausprobiert. Als ich anschließend ihr neues Stück auf der Bühne sah, fühlte ich mich damit vollkommen verbunden – statt zu urteilen, war ich als Unterstützung vor Ort. Ich glaube, dass wir durch sozialen und finanziellen Druck und das Gefühl, als Künstler*in etwas erreichen zu müssen, oft zu blockiert sind, um überhaupt Verbindungen aufzubauen. So kam die Idee zu dem Festival SUBMERGE: getting into the work. Wir laden diverse Künstler*innen ein, die sich mit fertigen Stücken bewerben. Diese werden nicht nur auf der Bühne präsentiert, sondern der Entstehungsprozess wird vorher in Workshop Labs geteilt. Ich möchte Künstler*innen ermutigen, auch an Labs von Choreograf*innen teilzunehmen, die sie nicht kennen. Wie kann ich den Prozess der anderen unterstützen und wie könnte das auch meinen Prozess formen? Wie arbeiten wir eigentlich als gesamte Szene zusammen? Ich möchte auch hervorheben, dass diese Workshops kostenlos sind. Es ist nicht zwingend notwendig, zu teuren Workshop-Festivals zu fahren, um sich weiterzubilden.

Du hast für das Festival in diesem Jahr eine Aufwandsentschädigungslotterie ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Ich habe mich immer schlecht gefühlt, Hunderten Bewerber*innen absagen zu müssen. Die Künstler*innen stecken jedes Mal so viel Arbeit in ihre Bewerbungen, oft ohne etwas dafür zu bekommen. Ich kann aber unmöglich allen Bewerber*innen eine Aufwandsentschädigung zahlen, weil ich dafür ein Budget einplanen muss. So haben wir beschlossen, 20 der nicht ausgewählten Bewerber*innen auszulosen, diese erhalten jeweils 100 Euro. Obwohl das System eine eher symbolische Geste ist, kam die Lotterie bei den Kolleg*innen sehr gut an – ich hoffe, dass andere Festivals das in Zukunft auch machen werden.

Wie fand die Auswahl der Arbeiten statt und was ist deine Rolle im Festival?

Ich sehe meine Rolle beim Festival als Erweiterung meiner choreografischen Praxis: Die Art und Weise, wie künstlerische Arbeiten gerahmt werden, beeinflusst, wie Menschen sie wahrnehmen. Ich bin sozusagen die künstlerische Gründerin des Formats, sehe mich aber nicht als künstlerische Leiterin oder Kuratorin des Festivals. Der Auswahlprozess fand dieses Jahr mit einer unabhängigen Jury (Areli Moran, Jessy Tuddenham und Jeremy Wade) statt. Zuvor wurde eine Vorauswahl von einer Person vorgenommen, die nicht aus dem Tanzbereich kommt. Das ist mir sehr wichtig, denn die Stücke sollen für alle zugänglich sein.

Würdest Du die Tanzszene als Deine (Wahl-)Familie bezeichnen? 

Ich glaube, das Besondere an der Tanzszene ist, dass wir mit unseren Körpern arbeiten. Bei der Körperarbeit fließt so viel Subtext zwischen den Menschen, der in anderen Bereichen gar nicht zum Vorschein kommt. Dadurch können intime Beziehungen entstehen und Verbindungen geschaffen werden. Wir haben Glück, denn durch die Körperarbeit können wir schneller Communitys bilden oder an bestehende Communitys anknüpfen, wenn wir irgendwo neu ankommen. Das kann z. B. durch offene Kurse, Workshops, oder Shared Practices geschehen, aber auch dadurch, dass wir zusammen Performances sehen, über die wir uns austauschen und die uns verbinden.

 

SUBMERGE : getting into the work, v. 7

LAKE Studios Berlin

21. Juli bis 24. August 2025

Mit: Kasia Wolińska, Cécile Bally & Cathy Walsh, Isu Kim Lee & Analu, Mehdi Dahkan, Siegmar Zacharias, Yuni Chung / Chōri Collective, Estelle Ebenga / Ilondzo Company, Marlon Barrios Solano, Double Much Collective, Angie Hauser & Darrell Jones & Bebe Miller

Diskursforum

ABOUT DANCE — forming futures: TRAININGS FOR POLITICAL IMAGINARIES

16. + 17. August 2025

Moderiert von Siegmar Zacharias, Luísa Saraiva und Jule Flierl in Zusammenarbeit mit dem Freelance Dance Ensemble Berlin.

Das Forum ist experimentell und interaktiv. Drei Mahlzeiten sind enthalten.

 

www.lakestudiosberlin.com/submerge-festival/

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