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Seit Bekanntgabe der Sparmaßnahmen und Kürzungen im Kulturbereich steht die Tanzszene unter Schock. Die 130 Millionen Euro Einsparungen treffen die ohnehin schon prekäre Freie Szene besonders hart. Tanzschaffende und Institutionen kommen hier zu Wort und reagieren auf die aktuelle Situation. Sie berichten über ihre persönliche Lage inmitten der katastrophalen Entwicklungen – sie klagen an, zeigen auf und schwanken zwischen Wut, Enttäuschung, Kampfeswillen und Hoffnung.

Qualität setzt sich durch? Nein! Die jüngste Streich-Orgie der Berliner Kulturpolitik belehrt uns eines Besseren. Obwohl die Kulturlandschaft in Berlin außergewöhnlich ist, was Quantität und Qualität betrifft, wird sie überproportional mit Sparquoten belastet. Zur Erinnerung: In Berlin werden ca. 2,5 % des Gesamthaushalts der Stadt für die Kulturförderung ausgegeben. Jetzt sollen hier ca. 13 % an Fördermitteln eingespart werden – ein Skandal und das völlige Versagen der Verantwortlichen in der Kulturpolitik, allen voran des Kultursenators Herrn Chialo. Wir fordern nicht nur die Rücknahme der überzogenen Sparmaßnahmen, sondern auch den Rücktritt des Kultursenators!

Dieter Baumann und Jutta Hell – Tanzcompagnie Rubato, 26.11.2024

 

We are shocked and disappointed by politicians’ current decision to cut Berlin’s cultural budget by 13 %. This demonstrates the complete lack of understanding of Berlin’s unique, diverse and inclusive art scene and what it has to offer to the city. All the recent protests — the two big demonstrations ZTB contributed in organizing — seemingly failed to make an impact on the politicians. The senator for culture is tacitly looking away, allowing the independent scene to be dismantled. The uncertainty — and the question as to whether or not promised funding will be paid in 2025 — is blocking our work. The situation is as dramatic, as never before. Nevertheless, instead of falling into a sense of desperation, let’s continue to gather together, protest and most importantly: stand together in solidarity. We artists demand immediate support from all funded structures, as it is well known, nothing of what Berlin is today could exist without us.

ZTB Zeitgenössischer Tanz Berlin e. V. Board – Julia Barrette-Laperrière, Armin Hokmi, Martha Hincapié Charry, Günther Wilhelm, Jasmin İhraç, 23.11.2024

 

The world tilts. In and after moments of crisis and destruction, I ruminate on possible futures. This is not to give up. This is not to give in, obey, or capitulate. Fighting anew for what we need is generally much more challenging than maintaining what we have. Yet what I can also say from working as a dancer, a choreographer, and for institutions, is that these positions — particularly, in my experience, that of the choreographer — are entirely unsustainable in their current form. So what are we fighting for? And if/when/as this destruction happens against our will, can we let go of the bad as we also part with the good? What can we make of it? What can we build from it? And while I speculate — an essential act — these are not only speculative questions for me: this is my income, my world, that for which I have sacrificed so many parts of life — sacrificed not for art, but for the increasingly gruelling system around it. And then, the world shifts. As an outsider, I understand this. The pain and the reckoning. The lack of control. The fight. And beside this, the porosity, the reflection, the reimagining, and the possibility to rise again. I sift through the darkness, finding fresh pieces of light.

Sasha Amaya – Dancer and Choreographer, 28.11.2024

 

Berlin atmet Kunst. Jeder Straßenzug, jede Wand, jedes Hinterzimmer erzählt von Menschen, die wagen, neu zu denken, zu fühlen, zu träumen. Doch genau diese Träume – roh, ungeschliffen, mutig – stehen auf dem Spiel. Die geplanten Kürzungen im Kulturbereich treffen nicht nur große Institutionen, sondern vor allem viele Menschen aus der Freien Szene – jene, die den Herzschlag dieser Stadt lebendig halten. Kunst und Kultur sind keine Dekoration, kein schmückendes Beiwerk. Sie sind die Essenz. Sie öffnen Räume, in denen Begegnungen entstehen, Gedanken wachsen und Gesellschaft sich neu verhandelt. Doch was passiert, wenn eine Stadt ihre Kultur aufgibt? Wenn der Sound von Vielfalt, der Beat von Freiheit, die Choreografie des Widerstands verstummen? Es sind nicht nur Projekte, die gestrichen werden. Es sind Lebensrealitäten, die verloren gehen. Es ist ein Teil von Berlin, der verschwindet. Die Künstler*innen, Kollektive und Bühnen schaffen Orte, die weit über Unterhaltung hinausgehen. Sie sind Räume für Reflexion, Veränderung und die Suche nach einem besseren Miteinander. Jeder abgesagte Förderantrag und jedes eingestellte Projekt sind mehr als eine Zahl auf dem Papier. Sie sind ein Verlust für uns alle. Denn Kunst ist nicht nur Ausdruck, sie ist Werkzeug für Wandel und Spiegel unserer Zeit. Ohne sie verlieren wir mehr als Unterhaltung – wir verlieren Identität. Berlin ohne seine Kunst und Kultur wäre leiser, grauer, ärmer. Eine Stadt ohne ihren kreativen Kern ist kein Ort des Lebens mehr, sondern ein Schatten dessen, was sie sein könnte. Wir dürfen das nicht zulassen. Diese Stadt lebt von ihrer Vielfalt, ihrem Mut, ihrer Energie – und genau das müssen wir verteidigen. Es geht nicht nur um Geld. Es geht um uns. Um das, was Berlin ausmacht: seine Kunst, seine Kultur, seine Freiheit. Bleiben wir laut, bleiben wir sichtbar, bleiben wir Berlin.

Raphael Moussa Hillebrandt – Tänzer und Choreograf, 28.11.2024

 

Choreografie ist nicht nur eingerahmt als Aktion auf der Bühne zu betrachten, sondern entfaltet sich durch alle Ebenen einer Organisation: von der Gestaltung eines Raumes über das künstlerische Framing von Veranstaltungen bis hin zur Präsenz in der Öffentlichkeit. Von Künstler*innen betriebene Räume für Tanz ermöglichen und stärken somit den Rahmen und die Selbstbestimmung der Freien Szene – und sind elementar für die Weiterentwicklung des Tanzes. Künstler*innen, die Orte betreuen, haben die besondere Verantwortung, die Arbeiten und Visionen ihrer Kolleg*innen zu fördern, indem sie gleichzeitig ihre eigene Kunst auf allen Ebenen dafür einsetzen. Es geht darum, herauszufinden, wie man vom Geben bekommt und vom Bekommenen gibt. Wie in jedem verwobenen Biotop sollte es in der aktuellen Lage für alle klar sein, dass es nicht nur um das Jetzt geht: Jede*r einzelne Künstler*in, jeder Raum, der jetzt untergeht, bedeutet die Schwächung der Berliner Kultur und die Schwächung unserer gemeinsamen Zukunft.

Marcela Giesche – Tänzerin, Choreografin, Gründerin und Künstlerische Leiterin der LAKE Studios Berlin

 

As a dancer who moved to Berlin during the pandemic, I find the current budget cuts to the cultural scene alarming. I relocated to perform, create, and teach, but these cuts now threaten those opportunities. Coming from New York, where the free arts scene lacks Berlin’s traditional support, it’s disheartening to witness the city’s cultural shift. Even more troubling is the growing suppression of political and social expression, as the government dictates acceptable narratives and silences dissent. I am witnessing culturcide — the erasure of culture, creativity, and free expression, fueled by censorship and defunding. While I receive support for research and residencies, my work rarely gets production funding, leaving it unseen. This lack of production support undermines the purpose of funding research. I am overworked, doing whatever I can to keep dancing, but we shouldn’t have to work under these conditions. We persevere, but at what cost? Resilience alone isn’t enough to sustain us.

Selina Hack – Dancer and Choreographer, 16.11.2024

 

Da die erwartete Förderung für die Tanztage 2025 der Haushaltssperre zum Opfer fiel, musste das Budget im Vergleich zu den letzten Jahren um die Hälfte gekürzt werden. Für unser Team bedeutete dies mehrere Monate voller Stress, Unsicherheit und schließlich Enttäuschung. Für eine einzigartige, europaweit anerkannte Produktionsplattform wie die Tanztage bedeutet dies einen Rückschritt: weniger Premieren, keine neuen Gruppenarbeiten, kleinere Formate und Teams und vor allem viel weniger Geld für Berlins Nachwuchs, der bereits unter prekären Bedingungen arbeitet. Junge Künstler*innen, darunter viele Migrant*innen und Menschen aus marginalisierten Communitys, sehen keine Zukunft mehr in dieser Stadt, die mal als die Tanzmetropole galt. Es ist uns allen klar, wie ähnliche Sparmaßnahmen in Amsterdam oder London die Szenen irreversibel zerstört haben. Auch im Bereich des Tanzes verspielt nun eine mutlose und rückwärtsgewandte Kulturpolitik in Berlin die Zukunft unserer Stadt.

Mateusz Szymanówka – Tanzdramaturg Sophiensæle und Künstlerischer Leiter Tanztage Berlin, 29.11.2024

 

Die aktuellen Haushaltskürzungen bedrohen die Existenz, den Fortbestand und die Zukunftsperspektiven der freischaffenden Berliner Künstler*innen und Akteur*innen, ihre Infrastruktur und ihre Spielstätten. Mit dem Freelance Dance Ensemble Berlin möchten wir die Expertise, lokale und internationale Relevanz und Vernetzung der dynamischen Landschaft des Bereichs Zeitgenössischer Tanz / Performance in Berlin sichtbar und der Öffentlichkeit und Presse zugänglich machen. Wir fordern eine Umstrukturierung des Berliner Fördersystems im Dialog mit der Szene. Statt kopfloser Kürzungen, die die Entwicklung und Errungenschaften der Szene zurückdrehen, fordern wir ein Update der Förderstrukturen und Arbeitsbedingungen für eine generative und nachhaltige Zukunft. Neben einer Korrektur der Kürzungen benötigen wir dringend eine Verbesserung unserer sozialversicherungsrechtlichen Situation, vereinfachte Zugänge zum Arbeitsmarkt für ausländische Künstler*innen, sowie eine Altersvorsorge entsprechend unserer Arbeitsrealitäten.

Initiator*innen Freelance Dance Ensemble Berlin – Claire Vivianne Sobottke, Jared Gradinger, Silke Bake, Siegmar Zacharias, Sheena McGrandles, Martin Hansen, Jule Flierl & Laurie Young, 12.12.2024

www.freelancedanceensembleberlin.weebly.com

 

The budget cuts, or what feels like a gapping purposeful gash into the diverse cultural fabric of Berlin, hit hard and the future of art looks bleak. The measures imposed come without any ‘lived’ understanding of the Berlin freelance art scene. There is no framework for conversation or working together through the political, social, economical and ecological upheaval. We clearly see the politics in what is being cut, there is an alternative, there can be different choices! It is a government that favours cars over culture, for instance we are asked to pay only 20 € for two years of parking in front of our house, increase that, put it in culture. Without an alternative peoples’ livelihoods, projects, initiatives are at risk and there is zero plan for the future, only cuts and in some cases whole fundings are eradicated. This starkly contrasts the role culture played in the pandemic, which enabled so many artists to enter into the system. Shouldn’t this be the work? To find models of sustainability rather than perpetuating survival-mode resilience? People are tired, we need more, Berlin we can do better!

Sheena McGrandles – Choreographer and Dancer, 29.11.2024

 

Alles begann doch eigentlich schon damit, dass nach der Wiederholungswahl im Frühjahr 2023 die Senatsverwaltung für Kultur und Europa umbenannt wurde. Zuerst verlor mit der Streichung von Europa die Berliner Kultur ihren internationalen Kontext. Dieser nicht zu übersehende Hinweis auf einen Absturz in die Provinzialität hätte uns damals schon zu denken geben müssen. Ebenso die Tatsache, dass im neu aufgebauten Ressort Kultur und Gesellschaftlicher Zusammenhalt nebeneinanderstehen, wo doch das Schaffen von Zusammenhalt eine der Kultur immanente Kraft ist. Stellte sich nicht hier schon die Frage nach der Freiheit der Kunst und der Gefahr ihrer Instrumentalisierung? Kunst wird potenziell immer dann instrumentalisiert, wenn es gesellschaftliche Verwerfungen gibt, denen man politisch nicht beikommen kann oder möchte. Wie auch immer – die Kultur in Berlin ist mit den beschlossenen Kürzungen ein Trümmerfeld. Mich beunruhigt nicht die Tatsache, DASS wir uns mit Kürzungen konfrontiert sehen. Es gibt kein Recht auf öffentliche Förderung. Ich finde es jedoch bestürzend, dass in der Regierungskoalition a) keine für die (Berliner Stadt-)Gesellschaft nachvollziehbare kulturpolitische Agenda erarbeitet wurde, der mit dem Haushaltsentwurf gefolgt wird, b) eine immense Anzahl von Institutionen und Projekten, die sich für die Teilhabe marginalisierter Gruppen an der Berliner Kultur und damit an der Gesellschaft einsetzen, abgeschafft werden und c) ein erschreckendes Nichtvorhandensein fachlicher Expertise und die Ablehnung jeglicher Verantwortung zu konstatieren ist.

Gabi Beier – Tanzdramaturgin, Künstlerische Leiterin ada Studio für zeitgenössischen Tanz, 30.11.2024

 

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