Toula Limnaios & Ralf Ollertz. Foto: Sarah Böhmer

Drei Jahrzehnte künstlerische Partnerschaft, gemeinsames Wagnis und stetiges Weitergehen: Die cie. toula limnaios, eine der prägendsten Akteur*innen der Berliner Tanzszene und darüber hinaus, feiert nächstes Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Im Interview mit tanzraumberlin-Redakteurin Johanna Withelm blicken Toula Limnaios und Ralf Ollertz zurück auf ihre Anfänge in den 90er Jahren, auf den langen Kampf um Strukturen und Räume und auf eine Zukunft voll neuer Projekte und Ideen. Wir treffen uns an einem lauen Spätsommernachmittag im Septem-ber im Hinterhofgarten der HALLE Tanzbühne

Interview: Johanna Withelm

Im kommenden Jahr steht euer 30-jähriges Jubiläum an. Plant ihr etwas zu diesem besonderen Anlass?

Toula Limnaios: Wir planen ein mehrwöchiges Jubiläumsfestival im Sommer 2026. Wir werden Stücke aus den verschiedenen Jahrzehnten zeigen, aber auch Künstler*innen und langjährige Wegbegleiter*innen einladen. Insgesamt wird es eine kleine Reise in die Vergangenheit und ein buntes Programm aus Tanz, Musik und Film.

Wie habt ihr zwei euch damals kennengelernt und wie hat alles begonnen?

TL: Wir haben uns an der Folkwang Hochschule in Essen kennengelernt, ich war dort als Gast und habe für das Folkwang Tanzstudio unter der Leitung von Pina Bausch getanzt.

Ralf Ollertz: Ich habe dort Komposition und Dirigieren studiert, als wir uns kennenlernten, war ich Dozent. Wir haben uns ineinander verliebt und auch den Wunsch gehabt, miteinander zu arbeiten. Wir haben dann alles hinter uns gelassen und sind gemeinsam nach Brüssel gegangen.

TL: Ich hatte außerdem immer den Traum, einen eigenen Komponisten für meine choreografische Arbeit zu haben, der hat sich mit Ralf erfüllt (lacht).

RO: Unsere erste Produktion chairosame im Jahr 1996 war eine Katastrophe. Alles, was man falsch machen kann, haben wir gemacht, aber wir haben viel gelernt und im darauffolgenden Jahr haben wir wieder ein Stück gemacht.

TL: Das war 1997, das Duett Le temps d’après. Das Stück hat gute Kritiken bekommen und war für uns eine Art Startschuss. Ralf ist zu der Zeit bereits zwischen Brüssel und Berlin gependelt.

RO: Ich hatte Kompositionsaufträge von der Akademie der Künste und habe zum Teil in Berlin gearbeitet. Mitte 1997 sind wir dann komplett nach Berlin gezogen.

Wie hat sich eure künstlerische Arbeit im Lauf der Zeit geändert?

TL: Unsere Arbeitsweise hat sich langsam verändert, wir haben angefangen mit einer, zwei oder drei Tänzer*innen auf der Bühne, bis hin zu einem Ensemble. Die Arbeiten waren zu Beginn eher abstrakt, ein bisschen formal, heute sind sie sinnlicher und emotionaler. Ich benutze heute im Vergleich zu früher auch mehr philosophische Texte, lese viele Gedichte. Texte von Dostojewski, Samuel Beckett und Albert Camus haben mich in den letzten Jahren begleitet.

Wie hat sich die Struktur der Company verändert?

RO: Bis 2014 haben wir ganz viel selbst finanziert – Toula und ich haben Jobs angenommen und damit die Company getragen. 2000–2003 war die heutige HALLE Tanzbühne unsere Probebühne und wir haben drei bis vier Monate im Jahr im HAU gespielt. Dann hat die damalige HAU-Leitung gewechselt und daraufhin haben wir unsere Probebühne in ein Theater umgewandelt, und das ohne Förderung und auf eigenes Risiko. Unser Wunsch war immer, mit einem eigenen Ensemble zu arbeiten, das heißt, Menschen einen Arbeitsplatz zu geben, der sicher ist und der Spaß macht, der familienfreundlich ist und bei dem gleichzeitig die Arbeit im Vordergrund steht.

TL: Zu Beginn haben wir uns mit Projektförderungen durchgeschlagen, dann haben wir eine Zeit lang die zweijährige Basisförderung erhalten, aber auch die reichte nicht aus, um längerfristig zu planen und eine Ensemblestruktur aufrechtzuerhalten. Seit 2014 haben wir einen Haushaltstitel, ein sehr tolles Privileg, denn wir können damit wirklich planen und unseren Mitarbeiter*innen Sicherheit geben.

RO: Als wir 2009 anfingen, die Tänzer*innen sozialversicherungspflichtig einzustellen, hatten wir eine Basisförderung von 90.000 € im Jahr. Davon können andere Theater nicht mal ihre Miete zahlen, aber wir haben das Ensemble immer querfinanziert durch Gastspiele und andere Jobs. Nach zwölf Jahren Kampf konnten wir schließlich auch den Standort sichern. Das Grundstück gehörte zum Teil dem Land Berlin und zum Teil dem Bezirk Pankow, was die Verhandlungen extrem schwierig machte. Wir haben dann gemeinsam mit Barbara Kisseler [ehem. Staatssekretärin für Kultur, später Chefin der Berliner Senatskanzlei und noch später Hamburger Kultursenatorin] dafür gekämpft, dass das Grundstück nicht an den Höchstbietenden verkauft wird, sondern insgesamt für Kultur und die cie. toula limnaios gesichert bleibt. Schließlich haben wir durch den ehemaligen Staatssekretär für Kultur André Schmitz die Edith Maryon Stiftung aus Basel gefunden, die das gesamte Areal gekauft hat. Wir sind nun bis 2045 Pächter des Grundstücks.

Außerdem hat aktuell ein Neubau begonnen, was genau wird hier entstehen?

RO: Es handelt sich um ein großes Bauprojekt. Wir werden eine neue Probebühne inklusive Lager und Kostümfundus in die Erde bauen, darauf einen Bau mit drei Etagen, eine Gästewohnung für sechs bis acht Personen, ein Büro und ein Studio. Das ist dann unser Geschenk an Berlin.

TL: Durch den Neubau werden wir flexibler sein, denn wir können Gäste zum Arbeiten einladen, ohne dass ich in der Zeit meinen Proberaum verliere.

RO: Wir möchten den neuen Raum anderen Künstler*innen sehr günstig zur Verfügung stellen, haben aber durch die Erweiterung auch selbst mehr Spielraum, das heißt wir können auf der Bühne spielen und parallel auf der Probebühne etwas Neues proben.

2022 habt ihr das europäische Ensemblenetzwerk Utopia gegründet. Was war die Idee dahinter?

RO: Wir haben utopia als Reaktion auf den grassierenden Nationalismus und die Kulturpolitik gegründet, die ja aktuell die Existenz vieler Ensembles in ganz Europa bedroht. Die Netzwerkpartner, insgesamt sechs Ensembles, laden sich gegenseitig ein, geben Workshops, Gastspiele, halten Vorträge. Es geht nicht nur um Aufführungen, sondern um Begegnungen – uns ist wichtig, dass die Menschen wieder mehr persönlich miteinander sprechen.

TL: Diese Netzwerkarbeit strahlt auch in die Stadt hinein, z. B. hat Roberto Zappalà, der Direktor der Compagnia Zappalà Danza, kürzlich einen kostenlosen zweitägigen Workshop für Profitänzer*innen in Berlin gegeben. Ein weiteres Ziel von utopia ist, jungen Choreograf*innen Mut zur Ensemblearbeit zu machen, denn viele bleiben bei Duetten oder Trios, anstatt den Schritt nach vorne zu machen und mit größeren Gruppen zu arbeiten, was ich sehr schade finde.

Ihr seid mittlerweile in einer privilegierten Situation, für die ihr in der Vergangenheit viel gekämpft habt. Wie seid ihr mit Hindernissen umgegangen?

RO: Bei Schwierigkeiten warten wir nicht, bis uns jemand die Lösung aufzeigt, sondern suchen selbst nach Möglichkeiten. Wir haben immer versucht, die Menschen mit unseren Visionen zu überzeugen und nicht mit Betteln oder Klagen. Unser Motto war und ist „einfach machen“, zur Not auch auf eigene Faust. 

Toula, tanzt du selbst noch auf der Bühne?

TL: Ja, manchmal. Ich möchte das Stück shifted realities wiederaufnehmen, aber ich muss schauen, wie es geht, ich bin jetzt 62 (lacht). Ich bin auch kürzlich bei les égarés eingesprungen, weil eine Tänzerin krank war.

RO: Außerdem tanzt Toula den ganzen Tag in den Proben, macht alles vor und hat ein akribisches Gedächtnis, kann jede Rolle aus vergangenen Stücken im Detail erinnern.

Wie blickt ihr in die Zukunft?

RO: Die letzten 30 Jahre waren tolle, ereignisreiche und teilweise auch harte Jahre. Aber wir blicken nicht zurück, sondern immer nach vorne und kümmern uns um die Herausforderungen, die jetzt gerade da sind. Und wir freuen uns auf alles, was kommt.

 

Demnächst:

if I was real

3.–6. + 10.–13. Dezember 2025

HALLE Tanzbühne

 

www.toula.de

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