edition März-April 2025

Liebe Leser*innen,

als Kind wollte ich natürlich Tänzerin werden, für die Kunst auch ein bisschen leiden und am besten auf der Bühne in Schönheit sterben, zu schöner Musik und mit unendlich viel Spaß jeden Tag. Ich bin es dann doch nicht geworden, aber das Märchen von Künstler*innen, deren Beruf ihre Berufung ist, hält sich bis heute – es ist vielleicht auch nicht ganz falsch, aber es verdeckt die sozio-ökonomischen Fragen und Probleme dieses Berufsfelds.
Das Verhältnis von Tanz und Arbeit wurde in der Vergangenheit viel diskutiert. Während im Zuge der Körperkulturbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Idee eines zu befreienden (Arbeiter*innen-)Körpers mit einer konkreten Ästhetik und „Körpernormierung“ verbunden war, sind es heute vor allem die immer prekärer werdenden Arbeitsbedingungen von Tanzschaffenden, die in den Fokus rücken. Die Arbeitsrealität innerhalb der Freien Szene war zwar schon immer prekär, aber durch die aktuellen und noch anstehenden Kürzungen verschärft sich die Lage noch weiter.


Die Choreografin, Tänzerin und Autorin Kasia Wolińska schreibt in ihrem Essay Lose Yourself über eben diese Arbeitsrealität von freien Tanzschaffenden und beschreibt das Karrieremodell Tanz als einen Wettlauf um knappe Ressourcen innerhalb eines neoliberalen kapitalistischen Systems. Und was hat Tanz mit Klassismus zu tun? Über klassenbasierte Ausschlüsse und fehlende Zugänge schreibt die Choreografin und Tänzerin Josephine Findeisen in ihrem Text Tanz & Klasse. Wie hingegen Orientierung aussehen kann, wenn frau erst am Anfang der Tanz Laufbahn steht, zeigt der Text Erfahrung vermitteln von Mira Jochimsen – ein Bericht über den Workshop Tanzvermittlung als Berufsperspektive von Access Point Tanz. Außerdem im Heft: Die letzte Kolumne von Nicola van Straaten, die mit ihren Interpretationen der Sterne einen special vibe in das Magazin gebracht hat – danke Nicola für ein Jahr nachdenkliche, widerständige und lustige Bodyscopes!


Die beschlossenen Kürzungen des Haushalts 2025 wirken weiter nach, und es kam auch nach dem Beschluss im Dezember noch zu schwerwiegenden Umverteilungen. So begrüßenswert die Entscheidung der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, den Kulturstandort an der Lucy-Lameck-Straße ab 2025 als einen Tanzort für junges Publikum zu betreiben, so bitter ist es, dass hierfür nun u. a. Mittel aus dem Maßnahmenpaket des Runden Tisch Tanz entnommen werden, mit denen seit 2020 auf die Perspektive eines Hauses für Tanz und Choreografie inklusive Tanzarchiv und Tanzvermittlungszentrum (Access Point Tanz) hingearbeitet wird. Akteur*innen des Tanzes und dessen strukturelle Perspektiven werden hier gegeneinander ausgespielt und der international anerkannte Runde Tisch Tanz als Vorbild für partizipative Verfahren von Kunst und Politik gerät ins Wanken.


Auch wenn und gerade weil viel auf dem Spiel steht – die Vielfalt und Größe der Berliner Tanzszene ist da, die Akteur*innen sind laut und präsent, und auch im März und April gibt es viel zu sehen. Eine Übersicht aller Veranstaltungen in Berlin und Brandenburg findet Ihr im Tanzkalender in der Heftmitte plus sechs Kurzvorschauen auf ausgewählte Premieren in Berlin und Brandenburg.
Haltet durch, der Frühling ist fast da.


Viel Spaß beim Lesen,
Johanna Withelm

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