als ich mit Ende zwanzig Mutter wurde, steckte ich noch im Studium und arbeitete parallel als Produktions- und Dramaturgieassistentin in der Freien Szene. Als meine Tochter ein Jahr alt war, arbeitete ich weiter, beendete mein Studium, wurde Produktionsleiterin und erledigte einen Teil meiner Arbeit, wie alle Mütter die ich kenne, abends und nachts. Ich habe heute keine Ahnung mehr wie ich das gestemmt und wann ich geschlafen habe, und gleichzeitig erinnere ich mich, dass die Tanzszene auch eine Art Familie für mich wurde.
Elternschaft (vor allem Mutterschaft) hat im Kunstbetrieb nach wie vor einen unerwünschten Beigeschmack. Tanzschaffende, die Eltern sind, kämpfen nicht nur mit strukturellen Hürden wie fehlender Vereinbarkeit, sondern auch mit dem subtilen Vorurteil, dass Elternschaft ihrer künstlerischen Ernsthaftigkeit oder Produktivität schade. Unter anderem deshalb hat sich im Jahr 2020 die Arbeitsgemeinschaft Tanz und Elternschaft des ZTB e. V. gegründet, die wir in dieser Ausgabe vorstellen. Lesen könnt Ihr den von der AG konzipierten Kids and Caregivers Rider mit praktischen Handlungsempfehlungen für Tanz- und Theaterorte sowie ein Mini-Interview mit der aktuell aus elf Frauen bestehenden AG, die uns über ihre zukünftigen Pläne berichtet.
Und was haben künstlerische Projekte mit Schwangerschaft und Geburt zu tun? Ziemlich viel, wenn man der Choreografin, Performerin und Autorin Claire Lefèvre folgt. In ihrem Essay The Performance Doula vergleicht sie künstlerische Prozesse mit dem Akt des Gebärens und plädiert für ein feministisches, fürsorgliches Modell der Co-Kreation. Die Autorin fordert, Fürsorge nicht als Luxus, sondern als strukturellen und künstlerischen Bestandteil des Kulturbetriebs zu verstehen.
Außerdem habe ich für diese Ausgabe die Choreografin, Performerin, Dozentin und Künstlerische Leiterin der LAKE Studios Berlin, Marcela Giesche interviewt. Wir sprachen über das im Juli und August stattfindende SUBMERGE Festival 2025 das seinen Fokus auf Solidarität und gegenseitige Unterstützung legt, über die Tanzszene als (Wahl-)Familie und über die Gleichzeitigkeit von Elternschaft, Familie und künstlerischer Praxis.
Besonders freue ich mich, unsere neue Kolumnistin vorzustellen: Alina Saggerer ist Tanzwissenschaftlerin, hat einen Hintergrund in den Bereichen Dramaturgie und Produktion und wird in den kommenden sechs Ausgaben die Kolumne Zerreißproben der Zeit schreiben. In dieser Ausgabe könnt Ihr ihren ersten Text Kaputtential lesen, in dem sie dem kreativen Potenzial des Kaputten nachspürt. Herzlich willkommen!
Endlich ist der Sommer angekommen – die schönste Jahreszeit in Berlin. Trotz Spielpausen an einigen Häusern erwartet Euch ein vielfältiges Tanzprogramm, natürlich beim Internationalen Festival Tanz im August vom 13. bis 30. August am HAU und vielen weiteren Orten, beim b12 Festival für zeitgenössischen Tanz und Performancekunst vom 7. Juli bis 3. August im DOCK 11 / DOCK ART oder bei der Retrospektive laborgras – 25 Jahre in Berlin am 1. und 2. August im Radialsystem. Eine komplette Übersicht aller Veranstaltungen findet Ihr im Tanzkalender in der Heftmitte, ergänzt durch sechs Kurzvorschauen zu ausgewählten Premieren und Festivals.
Ich wünsche Euch einen tollen Sommer,
viel Spaß beim Lesen,
Johanna Withelm
follow us