edition September-Oktober 2024

"Das Publikum will Tanz"

Ein Tanzhaus für Berlin – seit mehr als dreißig Jahren von der Tanzszene gefordert, ist ein Haus für Tanz und Choreografie (HTC) durch die beim Runden Tisch Tanz 2018 geforderten und seither umgesetzten Maßnahmen erstmals in greifbare Nähe gerückt. Doch seit dem Abschlussbericht der Steuerungsgruppe für die Konzeption des HTC im Jahr 2022 ist es still geworden um die Pläne für dieses so wichtige Vorhaben. Das Tanzbüro Berlin hat mit der Tanzwissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Foellmer über den aktuellen Stand der Entwicklungen sowie über die Bedeutung eines HTC für die Berliner Tanzszene und ihr Publikum gesprochen.

Interview: Tanzbüro Berlin

Von 2020 – 21 waren Sie mit Christine Henniger, Nele Hertling, Raphael Moussa Hillebrand, Martina Kessel und Bettina Kogler im Beirat für die Konzepterstellung eines Hauses für Tanz und Choreografie (HTC). Welche Rolle werden Sie in Zukunft auf dem Weg hin zu einem HTC einnehmen?


Zunächst einmal: Das erarbeitete Konzept von Moritz Majce, Lisa Densem, bez+kock architekten war ein maximaler Entwurf. Berücksichtigt wurde, was ein HTC in Berlin leisten kann und muss. Das heißt: Eine große Bühne für (inter-)nationale Gastspiele und für Berliner Eigenproduktionen, die die Strahlkraft des Tanzes über Berlin hinweg befördert, kleinere Bühnen sowie Probenstudios. All dies inklusive eines eigenen Produktionsetats, um Künstler*innen langfristig zu begleiten. Dazu ein Archiv, das die Fragen nach der Archivierbarkeit von Tanz mitdenkt und dabei nach neuen Formaten sucht. Last but not least engagiert sich der Tanz in Berlin zunehmend im Bereich von Vermittlung und Zugänglichkeit und so macht sich ein solches Haus selbstverständlich zur Aufgabe, „Access Points“ für eine breite Stadtgesellschaft zu bieten, auch für Communities, die bisher keinen Zugang zu zeitgenössischem Tanz haben. Dabei sind Konzepte von Diversität und Inklusion von vorneherein mitzudenken. Doch hat sich seither nicht nur die finanzielle Lage drastisch verändert. Ein Haus für Tanz in Berlin ist nicht nur eine Forderung, die seit über dreißig Jahren besteht, sondern eine zunehmend dringlich gewordene Aufgabe: Die Bedingungen, unter denen Tanz derzeit produziert wird, geraten zunehmend prekärer. Eine physische Infrastruktur, die sich als resilient gegen finanzielle Einschnitte erweist, ist daher unerlässlich. Bereits im Beirat war klar, dass die Arbeit nach der Abgabe des Konzeptes für uns nicht abgeschlossen sein kann, auch, damit die Empfehlungen nicht in der berühmten Schublade verschwinden. Daher bin ich derzeit damit befasst, gemeinsam u. a. mit Nele Hertling, für das Projekt zu werben: unter anderem im Kultursenat und bei Mitgliedern des Kulturausschusses im Abgeordnetenhaus. Uns ist klar, dass das oben beschriebene Konzept sehr ambitioniert ist. Allerdings gab es im Zuge des Runden Tisch Tanz klare Maßgaben, die bis 2025 umgesetzt sein sollten – deshalb hatte der damalige Senat ja die Konzeptionserstellung für das Haus ausgeschrieben. Aktuell setze ich mich dafür ein, auf dem Weg der kleinen Schritte hier die Möglichkeiten zu erkunden.


Das HTC-Konzept wurde der Senatsverwaltung im Juli 2022 vorgelegt, wie waren die Reaktionen, wie geht es weiter?

Wir hatten im Sommer 2023 die Möglichkeit, das Konzept der Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson vorzustellen und sprachen dann im Herbst mit Kultursenator Joe Chialo selbst. Interesse ist da, doch kann man die Reaktionen als verhalten bezeichnen, vielleicht auch weil die verantwortlichen Politiker*innen den Prozess des Runden Tisches nicht begleitet haben und zur freien Tanzszene Berlins Informationsbedarf besteht. Zugleich haben wir Unterstützungsbekundungen des Kultursenators vernommen, zuletzt im Kulturausschuss im Mai: „Ich bin auch felsenfest davon überzeugt, dass eine Stadt wie Berlin ein Tanzhaus braucht“, so Chialo. Das klingt gut, finanzielle Zusagen haben wir bisher aber nicht erhalten – eher im Gegenteil: Die Szene ist derzeit in ständigen Abwehrkämpfen verstrickt, da das ohnehin schon knappe Geld in Teilen zur Disposition steht. Dass dem Tanz ohne institutionelle Verankerung dabei zunehmend die Grundlage entzogen wird, scheint nicht bei allen Verantwortlichen angekommen zu sein. Für ein mögliches HTC bedeutet das zunächst, dass ein Neubau in weiter Ferne steht und andere, praktikable Lösungen gefunden werden müssen. Spannend ist, dass sich in der Richtung gerade etwas tut: Aktuell erkunden wir die Möglichkeit, das vorliegende Konzept in einer bestehenden Struktur umzusetzen, auf dem Campus für Demokratie in der Normannenstraße 18, auf dem Gelände der ehemaligen Stasizentrale in Lichtenberg. Ein entsprechendes architektonisches Konzept liegt vor und wird zurzeit geprüft. Für ein solches Großprojekt braucht es den politischen Willen (wie oben bekundet) auch von Seiten des Abgeordnetenhauses und damit: handfeste Zusagen.


Welche Auswirkungen hätte ein HTC auf die Berliner Tanzszene?
Für die Tanzszene wäre das Haus in Ergänzung und als Teil der hochproduktiven dezentralen Berliner Tanzlandschaft ein immens wichtiger „Ankerort“, um die Kunst nachhaltig entwickeln zu können und den Austausch zu fördern: Untereinander und in die Stadtgesellschaft hinein. Das Publikum fände hier einen Ort, an dem wiederum nicht nur abends Stücke gezeigt werden: Tagsüber kann man das Café besuchen, im Archiv oder der Mediathek stöbern, in Workshops und Vermittlungsformaten selbst tanzen – und natürlich: Tanz in seiner ästhetischen wie sozialen Vielfalt genießen. Übrigens hat der Deutsche Bühnenverein die Auslastungszahlen von 2022/23 verö¢entlicht: Der Tanz ist die einzige Bühnensparte, die fast wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht hat. Das Publikum will Tanz. Und es wird höchste Zeit, dass sich das endlich in entsprechend nachhaltigen Infrastrukturen
abbildet.

 

Der Tanz braucht Dich!

Tanz verbindet. Tanz emanzipiert. Tanz begeistert. Die Berliner Tanzszene gilt als eine der größten der Welt. Doch der exzellente Standort Berlins als Tanzhauptstadt steht auf dem Spiel. Die Situation ist so prekär wie nie.
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Mehr Informationen zur TanzAgenda24: https://www.tanzraumberlin.de/artikel/tanzagenda2024/

● Aufruf zur Demonstration
● 13. September / 18 – 20 Uhr
● Brandenburger Tor

https://www.ztberlin.de/en/aufruf-demonstration-13-september-2024-18-20-uhr-brandenburger-tor/

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