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Corona | Handlungshilfen Tanz in der Kulturellen Bildung / im lebenslangen Lernen in Zeiten der Corona Pandemie

Stand 09.06.2020

Aktion Tanz e. V. hat gemeinsam mit dem Dachverband Tanz Deutschland „Handlungshilfen Tanz in der kulturellen Bildung / im lebenslangen Lernen in Zeiten der Corona Pandemie“ verfasst.

Vorbemerkung Kulturelle Bildung ist ein gesellschaftliches Gut und Voraussetzung für kulturelle Teilhabe1. Sie schafft notwendige Räume, eigene Stärken und Fähigkeiten zu erkennen und zu entwickeln. Man hat hier die Chance, sich eigenen Interessen zu widmen, Selbstwirksamkeit zu erleben, sich in einem gemeinsamen Prozess in einer zunehmend komplexer werdenden Welt zu orientieren sowie Kunst und Kultur zu erleben2. Dass diese Aspekte insbesondere für Kinder und Jugendliche von großer Bedeutung sind, ist deutlich. Doch gilt dies auch für all die Menschen, die in ästhetischen Praktiken eine für sie wichtige Ausdrucksform gefunden haben.

In den Diskursen rund um Corona sind die Stimmen von Kindern und Jugendlichen kaum zu hören. Lt. einer Studie der Universitäten Heidelberg und Frankfurt fühlen sich Jugendliche auf ihre Rolle als Schüler*innen reduziert3. Die Auswirkungen des Wegbrechens allen kulturellen, sportlichen und des sozialen Lebens für junge Menschen werden kaum thematisiert. Klar ist nur, dass die physischen und psychischen Folgen gravierend sind. Insofern ist es von besonderer Wichtigkeit, schnellstmöglich wieder kulturelle Bildungsprojekte zu ermöglichen. Denn gerade in Krisenzeiten und den damit einhergehenden Verunsicherungen, schafft die kulturelle Bildung Räume, die jedem Einzelnen Erfahrungen ermöglichen, den Auswirkungen der Krise konstruktiv und selbstwirksam zu begegnen. Dies gilt auch für Tanzangebote im Kontext der kulturellen Bildung, die sich nicht nur an Kinder und Jugendliche richten, sondern an alle Menschen unabhängig von Alter, Herkunft oder möglichen Behinderungen.

Die Besonderheit des Tanzes liegt im Körper bzw. im Leiblichen. Er ist das Medium zur Wahrnehmung, des Erlebens, des Gestaltens und Sich-Ausdrückens und letztlich auch der Verständigung zwischen dem Ich und der Welt. In Zeiten der körperlichen Distanzwahrung leiden all diese Aspekte und gewinnen gleichzeitig an Bedeutung. Es braucht Räume, in denen man sich und anderen wieder wahrnehmend begegnen kann. In denen man ausdrücken kann, was bewegt und in denen man Perspektiven entwickeln kann. Tanzvermittler*innen sind Expert*innen, solche Räume unter Wahrung von Regeln zu ermöglichen. Es existiert kein Training, keine tänzerische Choreografie ohne Gestaltung von Bewegung, Raum und Zeit. Die Methoden der Tanzvermittler*innen, die im Bereich der kulturellen Bildung tätig sind, sind vielfältig und erprobt und ermöglichen tänzerische Angebote im Sinne einer musisch-ästhetischen Bildung auch in Zeiten von Abstandsregeln und Hygienevorschriften.

Neben diesen bedeutsamen Aspekten, die die kulturelle Bildung/das lebenslange Lernen Kindern, Jugendlichen, Senior*innen und anderen Menschen bietet, stellt sie aber auch ein wichtiges Arbeitsfeld vieler Tanzkünstler*innen der Freien Szene dar. Eine große Zahl Tanzschaffender bestreitet ihren Lebensunterhalt nicht alleinig durch die Arbeit in professionellen Tanzproduktionen, sondern arbeitet vielfach auch im Feld der kulturellen Bildung. Insbesondere freie Tanzschaffende sind durch den andauernden Lockdown in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Durch massive Honorarausfälle und das Fehlen von Kurzarbeitergeld und Wirtschaftsförderung drohen ihnen nicht selten die (private) Insolvenz und das Ende ihrer künstlerischen Laufbahn.

Die hier vorgestellten Handlungshilfen beziehen sich auf Unterrichts-, Proben und Aufführungssituationen im Kontext tänzerischer Angebote in der kulturellen Bildung. Grundsätzlich schult die tänzerische Bewegungsarbeit eine differenzierte Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Körper anderer und des Raumes. Es werden Ordnungen von Bewegungen mit anderen im Raum eingeübt. Man erlernt körperliche Verbindung ohne sich dabei berühren zu „müssen“. Sie fördert Teamgeist und gemeinsame Verantwortung. Dies alles wirkt sich auch auf Bewegungen und Wahrnehmungsfähigkeiten im Alltag aus, die jetzt wichtiger sind als jemals zuvor.

Grundsätzliche Orientierung: Körperliche Intensität und räumliche Dynamik

Tänzerische Angebote im Rahmen der kulturellen Bildung umfassen alle Arten von körperlicher Intensität und räumlicher Dynamik. Sie reicht von wenig dynamischer, minimalistischer, am Platz bleibender Bewegungsrecherche über die Ausführung von alltagsnahem Bewegungsmaterial und performativen Konzepten bis hin zu körperlich sehr dynamischen und raumgreifenden Bewegungen wie Sprüngen, Drehungen oder Laufen durch den Raum. Man arbeitet mit einzelnen Personen oder Gruppen, d.h. der engere Kontakt zueinander und körpernahes Arbeiten ist nur eine von vielen Formen, auf den in der durch Covid-19 bedingen Situation verzichtet wird (eine Ausnahme bilden hier nur Personen aus einem gemeinsamen Haushalt, s. Punkt 6 der Handlungshilfen).

Handlungshilfen

Die Hygiene- und Sicherheitskonzepte der jeweiligen Orte/Einrichtungen (wie z. B. Schulen, Jugendfreizeiteinrichtungen, Theater, soziokulturelle Zentren, Seniorenheime etc.), an denen unterrichtet, geprobt, aufgeführt wird, sind zu beachten. Dies bezieht sich auf alle Vorgaben wie z. B. Reinigungs-, Belüftungs-, Desinfektions- sowie Ein- und Ausgangsregelungen etc.
Personen mit Anzeichen von bestehenden Erkältungskrankheiten jegliches Schweregrades mit oder ohne Fieber sollen am Angebot nicht teilnehmen und zuhause bleiben. Zudem sind die geltenden Hygieneregelungen (regelmäßiges, gründliches Händewaschen für mind. 20-30 Sekunden, Husten- und Niesetikette, Abstandswahrungen etc.) einzuhalten.
Die Vorgaben sind den Teilnehmenden zu erläutern und gegebenenfalls mit ihnen einzuüben. Dies gilt insbesondere für Kinder, die eventuell das Tanzangebot bislang als „Freiraum“ genutzt haben. In Abhängigkeit von den Vorgaben, des Raumes und der Gruppenkonstellationen, ist genau abzuwägen, ab welchem Alter die Einhaltung des Regelwerkes zumutbar und möglich ist.

1) Bei Trainings, Proben und Vorstellungen mit wenig raumgreifenden oder körperlich eher ruhigen oder minimalistischen oder performativen Bewegungsformen ist ein Mindestabstand von 1,5 Meter einzuhalten. Ebenso, wenn sich das Bewegungsmaterial auf die Intensität von Alltagsbewegungen beschränkt. Bei dynamischeren, physisch sehr anstrengenden oder raumgreifenden Bewegungen sollten die Abstände entsprechend erweitert werden (s. Punkt 3). Nach derzeitigem Wissensstand raten wir für Angebote im Bereich der kulturellen Bildung jedoch von körperlich anstrengenden und raumgreifenden Aktivitäten in geschlossenen Räumen ab. Der Fokus soll auf musisch-ästhetischen und nicht auf sportlich-physischen Aktivitäten liegen.

2) Die Arbeit im Freien soll grundsätzlich erwogen werden. Das durch den permanenten Luftaustausch reduzierte Infektionsrisiko lässt dabei auch dynamischeres Arbeiten zu. Die entsprechenden Abstands- und Hygienevorgaben sind auch bei Freiluftaktivitäten einzuhalten.

3) In einer aktuellen Studie des Arbeitshygienikers Dr. Thomas Eiche vom 20.05.2020 (Arbeitshygieniker, SGAH – Schweizerische Gesellschaft für Arbeitshygiene) wurden Untersuchungen über Aerosole und Tröpfchen bei künstlerischen Tätigkeiten durchgeführt. Dieser Studie und den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen für den Tanzbereich4 zufolge wäre eine Grundfläche von 4 m² pro anwesender Person (sitzend) und 10 m² bei eher minimalistischen und wenig raumgreifenden Bewegungen ausreichend. Die in Deutschland geltende Abstandsregel von 1,5 m lässt auch eine Fläche von 9 m² zu. Bei raumgreifenderen und körperlich sehr anstrengenden Choreografien sollte mindestens 100 m³ Raumvolumen pro tanzende Person kalkuliert werden. Bei einer Raumhöhe von z. B. 4 Metern würde dies einer Grundfläche von 5 x 5 Metern entsprechen. Personen, die nicht unmittelbar mitproben (z. B. Tanzvermittler*innen), benötigen sitzend nur 4 m² Grundfläche. Aus der Größe des Raumes, der Berücksichtigung der körperlichen Intensität und der räumlichen Dynamik sowie den oben genannten notwendigen Grundflächen bzw. dem Raumvolumen pro Person ergibt sich die Anzahl der maximal im Raum Anwesenden. Je bewegungsintensiver das Angebot ist umso großzügiger ist der Abstand zu bemessen. Zur Orientierung sollte der Boden entsprechend markiert werden.

4) Für Angehörige von Risikogruppen ist die Teilnahme an kulturellen Bildungsangeboten bedeutsam. Wird die Beteiligung von bzw. die Arbeit mit Risikogruppen erwogen, so soll von allen Beteiligten ein Mund-Nasen-Schutz getragen und eventuell weitere alternative Schutzmaßnahmen ergriffen werden (z. B. Trennung durch Schutzscheiben oder Schutzfolien, Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung). Auch die Möglichkeit des Individualtrainings kann eine Option sein.

5) Es soll möglichst mit konstanten Gruppen gearbeitet werden. Die Gruppen sollen so klein wie möglich und nötig gehalten und nach Möglichkeit nicht gemischt werden. Der Unterricht/die Proben sind so zu strukturieren, dass nur die daran direkt Beteiligten im Raum anwesend sind. Evtl. gilt es, Kontaktdaten zur Nachverfolgung bei Krankheitsausbrüchen zu erfassen (abhängig von den jeweiligen Bundesländern/Kommunen).

6) Teilnehmende, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, dürfen während Proben, Trainings und Aufführungen den Abstand von 1,5 m unterschreiten und körpernah arbeiten. Ansonsten ist der Unterricht kontaktfrei zu gestalten. Kurzzeitiges Kreuzen verletzt diese Regeln nicht.

7) Räume sollten häufig und regelmäßig durchlüftet werden (mindestens 1 x pro Stunde sollte ein kompletter Luftwechsel stattfinden); je höher die körperliche Anstrengung ist, desto häufiger sollte gelüftet werden.

8) Bei Bedarf (z. B. bei jungen Teilnehmenden) soll eine weitere (Leitungs-)Person bei der Einhaltung der Regelungen unterstützen.

Die Hinweise beschreiben den Stand zum oben angegebenen Datum. Alle Angaben sind sorgfältig recherchiert und nach bestem Kenntnisstand zusammengestellt. Aktion Tanz e. V. und der Dachverband Tanz Deutschland übernehmen jedoch keine rechtliche Gewähr für die Richtigkeit der Angaben. Haftungsansprüche sind ausgeschlossen. Alle Hinweise sind jeweils ebenfalls im Kontext der jeweiligen Bestimmungen der Länder, Kommunen und Einrichtungen auf ihre Passfähigkeit zu überprüfen.

Zu den Handlungshilfen im PDF-Format geht es hier.

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