Aktuelles aus Berlin

Koalition der Freien Szene

Kulturpolitische Forderungen für 2023–2026 vom 13. März 2023

  1. Nachhaltige, inklusive und auskömmliche Förderstrukturen
    Wir fordern eine Evaluierung der Förderstrukturen und Überarbeitung der Fördermatrix für die Freie Szene, um neben ergebnisorientierten Projektförderungen neue prozessorientierte und ergebnisoffene Förderungen zu etablieren, die alle Phasen der künstlerischen Arbeit – von der Konzeption bis zur Produktion – fördern, z.B. durch mehr Arbeits- und Recherchestipendien sowie die Verlängerung bzw. Aufstockung bestehender Stipendien. Stipendien sind dabei als wichtige Ergänzung zu bestehenden Förderprogrammen zu verstehen – nicht als Alternative – und dürfen nicht in Konkurrenz dazu stehen. Dabei muss die Rechtssicherheit und eine einheitliche Behandlung aller Stipendien – auch Sonder-Stipendien – als steuerfreier Zuschuss zum Lebensunterhalt gewährleistet sein. Insbesondere müssen Künstler*innen und Kunstschaffende, die Kinder haben und/oder Angehörige pflegen (Care-Arbeit), sowie strukturell benachteiligte Gruppen, d.h. Menschen mit Diskriminierungserfahrung, stärker berücksichtigt werden und es müssen Maßnahmen für mehr Gendergerechtigkeit ergriffen werden. Um die Vielfalt der Freien Kunstszene in Berlin zu erhalten, fordern wir zudem eine bessere finanzielle Ausstattung der Bezirke – strukturell sowie im Rahmen von Förderprogrammen. Die Empfehlungen zu Honoraruntergrenzen müssen gemeinsam mit den Verbänden weiterentwickelt werden und dürfen nicht nur das Niveau eines Mindestlohns bzw. Mindesthonorars anstreben, sondern müssen der Ausbildung angemessene sowie auskömmliche Löhne und Honorare darstellen. Damit die Einführung solcher Honorare nicht zu einem Kahlschlag bei der Anzahl der geförderten Projekte, Programme, Ensembles und Spielstätten der Freien Szene führt, sind Aufwüchse in den vorhandenen bzw. überarbeiteten Förderstrukturen unerlässlich. Wir brauchen eine Entwicklungs- und Unterstützungsstrategie zur auskömmlichen Vergütung freier Kulturakteur*innen in Berlin. Das Nachwirken der Corona-Pandemie, die Kosten von Energiekrise und Inflation dürfen sich nicht negativ auf die Förderung der Freien Szene auswirken.
     
  2. Transparenz in der Entwicklung und Ausgestaltung neuer Förderprogramme unter Beteiligung von Vertreter*innen der Freien Szene
    Wir fordern eine stärkere Einbeziehung unserer Expertise bei der Ausgestaltung des KULTURSOMMERS, der DRAUSSENSTADT sowie aller weiteren neuen Förderprogramme, damit niemand aus der äußerst diversen Freien Szene durch das Raster der Fördermatrix fällt und insbesondere auch die Perspektive der nicht in Verbänden organisierten freien sowie transdisziplinär arbeitenden Künstler*innen einfließen kann. Im Sinne der Spartengerechtigkeit innerhalb der Freien Szene halten wir dabei eine regelmäßige und vergütete bzw. Entschädigte Zusammenarbeit für angemessen.
     
  3. Transparenz und Chancengleichheit bei der kulturellen Nutzung landeseigener Liegenschaften
    3.1 Tempelhofer Flughafen Für das Tempelhofer Flughafengebäude und das zugehörige Areal fordert die „AG THF“ der Koalition der Freien Szene Berlin 50 % der Fläche für zukünftige Nutzungen durch Kunst und Kultur – und zwar zu Konditionen, die von Künstler*innen und Kultureinrichtungen tragbar sind. Darüber hinaus unterstützen wir die Öffnung von THF für die Stadtgesellschaft im Zuge eines Transformationszentrums für sozial-ökologische und kulturelle Projekte. Hierfür fordern wir die Entwicklung eines Nutzungskonzepts unter Beteiligung der „AG THF“ sowie der „AG Materielle Infrastruktur“ der Koalition der Freien Szene Berlin. Darüber hinaus fordern wir, dass die Zwischennutzung der Hangars im ehemaligen Flughafen Tempelhof mietfrei und mit einer Bezuschussung der Betriebskosten von 50 % öffentlich ausgeschrieben wird. Projektanträge müssen dabei durch eine fachkundige Jury bzw. ein Expert*innen-Gremium ausgewählt werden, wie bei der Verwendung von Steuergeldern üblich.

    3.2 Alte Münze Bei der Entwicklung der Alten Münze zu einem Ort der Freien Kulturszene muss die kontinuierliche Beteiligung sowie Steuerung durch die Freie Szene in allen Planungsschritten gewährleistet und vergütet werden. Visionen oder Modelle für Trägerschaft, Raumvergabe und Betreiberstruktur müssen partizipativ bzw. kooperativ mit ihr entwickelt und auch transparent in die Stadtgesellschaft kommuniziert werden. Dabei müssen nicht-kommerzielle,flexible spartenübergreifende Nutzungen zu kulturverträglichen Mieten langfristig (z.B. 99 Jahre) sichergestellt werden.

    3.3 Messe/ICC Bei der öffentlich angekündigten Entwicklung des ICC zu einem Kulturstandort müssen die Perspektiven und Raumbedarfe der Freien Szene Berlin berücksichtigt und einbezogen werden. Auch hier muss ein transparentes, partizipatives Konzept für Zwischennutzung(en) entwickelt werden. Es müssen entsprechende Strukturen und Maßnahmen geschaffen werden, um diese Beteiligung sicherzustellen.
     
  4. Räume und Arbeitsräume für Kunst und Kultur
    Wir fordern einen Kulturkataster sowie einen verbindlichen Stadtentwicklungsplan Kultur, damit Räume für die künstlerische Arbeit, Produktion und Präsentation aller Sparten der Freien Szene bei der Planung neuer Stadtquartiere, inklusvie in Planung befindlicher, mitgedacht werden – denn die Sicherung von Arbeitsräumen für Kunst und Kultur darf sich nicht nur auf landeseigene Immobilien beschränken. Der Prozess für einen Kulturkataster hat 2023 begonnen und wir sehen hier erheblichen Verbesserungsbedarf bei der Transparenz sowie den Beteiligungsstrukturen. Die angekündigte Stärkung des Arbeitsraumprogramms (ARP) muss sich auch im Kulturhaushalt niederschlagen. Die Erfahrung aus dem Bündnis Kultur Räume Berlin (KRB) zeigt, dass PROSA (Projekt zur Schaffung künstlerischer Arbeitsräume) eine Finanzierung über eine Aufhängung mit einem eigenen Haushaltstitel benötigt. Außerdem müssen Ausstattung und Kompetenzbereich dieser Schnittstelle zur Freien Szene deutlich nachgebessert werden. PROSA soll die Belange von fünf sehr heterogenen Sparten (Darstellende Künste, Literatur, Musik, Projekträume und Tanz) vertreten und hat nur ein Bruchteil der Ressourcen des Atelierbüros, das sich vorbildlich um die Belange bildender Künstler*innen kümmern kann. Um ausreichend Räume für die künstlerische Arbeit, Produktion und Präsentation in allen Sparten zu schaffen, fordern wir entsprechende Aufwüchse für das ARP. Wir begrüßen die Evaluation des ARP. Den Aufbau einer Taskforce für bedrohte Räume unterstützen wir und fordern, hierbei die Expertise von PROSA einzubinden.
     
  5. Stärkung von Selbtverwaltungsstrukturen und Ehrenamt
    Wir fordern eine Stärkung der Selbstverwaltungsstrukturen der Verbände und Initiativen der Freien Szene, denn ihre wichtige Arbeit – die auch die Verwaltung erheblich entlastet – wird fast ausschließlich im Ehrenamt geleistet. Ohne eine finanzielle Basisunterstützung droht die Freie Szene langfristig weiteren Schaden zu nehmen. Aufwandsentschädigungen für das ehrenamtliche Engagement im Sinne der Belange der Freien Szene und/oder die Förderung von Selbstverwaltungsarbeit in der Freien Szene würden die dringend nötige, dauerhafte Stärkung solcher freiwilligen Strukturen ermöglichen.
     
  6. Partizipation und Cultural Governance
    Wir fordern eine kontinuierliche und nachhaltige Beteiligung der Freien Szene in allen ihren Belangen und zählen hier auf einen der Koalitionspartner, für den Bürger*innenbeteiligung und Transparenz unabdingbar zu einer demokratischen Politik und Cultural Governance unter Beteiligung der Zivilgesellschaft gehören. Ein informelles Bekenntnis zu partizipativen Verfahren reicht uns nicht, denn es mündete in der Vergangenheit allzu oft in Scheinbeteiligung. Die Entwicklung der öffentlichen Liegenschaft Alte Münze betrachten wir als Lackmus-Test für dieses Bekenntnis und als Chance, die Weichen für eine neue, transparente und partizipative Kulturpolitik im Sinne des Allgemeinwohls zu stellen. Denn Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik und muss die Kompetenz, Expertise und Perspektive von Künstler*innen, Kulturschaffenden und interessierten Bürger*innen in Entscheidungsprozesse einbeziehen.
     
  7. Runder Tisch Kulturelle Bildung
    Die gewachsene Struktur der Berliner Programme der Kulturellen Bildung in Berlin findet keinerlei Erwähnung im Koalitionsvertrag (TUSCH, TANZZEIT, Kulturagent:innen, QuerKlang, TUKI, Lesezeit, Poetische Bildung, MAX Artists in Residence, Kinderkulturmonat usw.). Ebensowenig wird der Projektfonds Kulturelle Bildung mit seiner wichtigen Schnittstellenaufgabe zwischen den Ressorts Kultur und Bildung erwähnt. Gerade in diesem Bereich braucht es aber nicht nur eine verbindliche Stärkung der Strukturen sondern auch ihre dezidierte Weiterentwicklung. Berlin gilt hier als bundesweites und internationales Vorbild. Daher fordern wir einen Runden Tisch Kulturelle Bildung zur gemeinsamen Neujustierung und Weiterentwicklung der Förderstrukturen in diesem Bereich.
     
  8. Berliner Kulturfördergesetz
    Wir unterstützen die Initiative für ein Berliner Kulturfördergesetz zur Absicherung der diversen Berliner Kulturlandschaft. Den angekündigten Prozess der Prüfung von Rahmenbedingungen auf dem Weg zu einem solchen Gesetz werden wir kritisch begleiten und fordern dabei die Beteiligung von „Kultur.Fördern.Gesetz“, einem Zusammenschluss von über 60 Berliner Verbänden und Vereinen.
     
  9. Film und Medien
    Wir fordern selbstverwaltete bzw. Dezentral und transparent vergebene Mittel für künstlerische und experimentelle Vorhaben in den Sparten Film und Medien (Produktion, Abspiel – z.B. im Rahmen von Festivals, Reihen oder diskursive Einzelveranstaltungen – und Vermittlung), um das Medienboard als zentrales Förderinstrument für vorwiegend kommerziell ausgerichtete Projekte zu ergänzen. Vor allem im Bereich Film/Medienkunst, aber auch in anderen Sparten wie den Projekträumen und Projektinitiativen, wird die kuratorische Arbeit – bis auf vereinzelte Stipendien – nicht ausreichend honoriert, obwohl sie in fast allen Bereichen die Grundlage der künstlerischen Arbeit bildet. Recherche- und Kurator*innen-Stipendien sollten daher auch auf Film- und Medienkunstschaffende ausgeweitet werden, um fundierte Projektentwicklungen zu ermöglichen und die in diesem Rahmen geleistete Arbeit zu vergüten.
     
  10. Runder Tisch Freie Szene
    Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig sowohl eine Evaluierung und Neujustierung der Förderlandschaft für die Freie Szene ist als auch der Dialog mit ihren Verbänden und spartenübergreifenden Interessenvertretungen. Deshalb fordern wir einen RUNDEN TISCH FREIE SZENE, an dem Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft die oben genannten Themen gemeinsam untersuchen und diskutieren und nach zielführenden Lösungen suchen. Ein Runder Tisch Freie Szene befindet sich in Vorbereitung. Um diesen Prozess in den kommenden Jahren umsetzen zu können, brauchen wir eine finanzielle Absicherung sowie die politische Unterstützung und Begleitung des Prozesses.
     
  11. City Tax für die Freie Szene
    Im März 2022 hat das BVerfG die Beschränkung der CityTax auf Tourist*innen für hinfällig erklärt. Diese Entscheidung ebnet den Weg, um die Übernachtungssteuer auch für beruflich Reisende zu erheben. Es erscheint uns zu diesem Anlass sinnig, noch einmal über die Umwandlung der Steuer in eine Abgabe zu diskutieren, die gezielt(er) für Zwecke eingesetzt werden könnte, die auch in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Attraktivität Berlins – der lebendigen, vielfältigen, dezentralen Kunst- und Kulturszene – und den daraus resultierenden Übernachtungsgästen stehen. Im Zuge einer möglichen Reform erneuern wir daher unsere Forderung, der Freien Szene 50 % der Einnahmen aus der City Tax zugute kommen zu lassen.

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