Aktuelles aus Berlin

Der Berliner Kulturhaushalt 2016/2017 gerät in Bewegung

Mit der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2016/2017 macht das Abgeordnetenhaus erste Schritte zu einer Stärkung der Kunstsparte Tanz. Es geht dabei um Balancen.

Anlässlich der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2016/17 haben das TanzRaumBerlin Netzwerk und der Zeitgenössische Tanz Berlin im Dezember 2015 eine gemeinsame Stellungnahme verfasst, die sowohl an das Abgeordnetenhaus und die Kulturverwaltung als auch an die Presse verschickt wurde:

Der Berliner Kulturhaushalt 2016/2017 sieht insgesamt rund 744.750 € (2016) und 754.600 € (2017) Aufwuchs für einzelne Player der Tanzszene vor und erfüllt damit seit Jahren überfällige Notwendigkeiten herausragender Tanzkompanien Berlins, um deren fachspezifische Produktionspraxis und kontinuierliche Präsenz in Berlin zu sichern. So erhält die cie. toula limnaios einen Aufwuchs von 180.000€ p.a., das Budget von Sasha Waltz & Guests wurde um gerundet 450.000 € angehoben. Auch innerhalb der Konzeptförderung beschloss das Abgeordnetenhaus eine Stärkung des Tanzes, indem Constanza Macras / Dorky Park rund 120.000€ mehr pro Jahr erhält. Seit Jahren wurde die Unterausstattung dieser Akteure, die für den Tanz in Berlin internationales Aushängeschild sind, angemahnt. Darauf wurde nun reagiert. Dass diese
Einzelförderungen ebenso mit Struktur- und Etatstärkungen einhergehen, die für viele Künstler offen sind, ist gut und wichtig für die Balance des gesamten Felds.
Der Doppelhaushalt bedenkt auch bedeutsame Präsentationsplattformen für den Tanz in Berlin: Dem HAU Hebbel am Ufer wird ein Aufwuchs gewährt, mit dem jenseits einer Strukturstärkung des Hauses auch eine bessere Ausstattung des internationalen Festivals Tanz im August gewährleistet ist. Durch die Aufstockung im Landeshaushalt und die 2-jährige Zusicherung einer HKF Förderung i.H.v. nun 600.000 € ist die Finanzierung des Festivals somit erstmals auf solide Füße gestellt, nachdem es über 20 Jahre mit gleichbleibendem, mehr oder minder unzureichendem Etat ein herausragendes Programm gestaltet hat. Auch die Stärkung des Ballhaus Naunynstrasse i.H.v. 50.000€ p.a. ist ein positives Signal; eine Stärkung der für den freien Tanz wesentlichen Spielstätte Sophiensaele und ihres renommierten Nachwuchsfestivals Tanztage Berlin wäre allerdings genauso dringlich gewesen. Derzeit werden bei letzterem aufgrund der Unterfinanzierung Premieren für Honorare unter Mindeststandard produziert und gezeigt. Das muss spätestens zum neuen Konzeptförderentscheid revidiert werden.
Im gemeinsamen Kampf von Koalition der Freien Szene, insbesondere mit ihren Vertretern des Tanzes und der darstellenden Künste, wurde eine seit langem eingeforderte Erhöhung der Einzelprojektförderung zur Gewährung von angemessenen Honoraren vorgenommen. Im Bereich Einstiegs- und Einzelprojektförderung stehen rund 450.000€ mehr zur Verfügung (Erhöhung rechnerisch 100.000€). In den Einzel- und Basisförderinstrumenten wurden hierbei erstmalig jene Lücken, die durch in die Konzeptförderung aufgerückten Gruppen entstanden, wieder aufgefüllt – allein dieser Zug ist der neuen Förderpolitik hoch anzurechnen! Mit der zusätzlichen Anhebung des Titels werden ansatzweise Honoraruntergrenzen umsetzbar sein. Anzumahnen bleibt für diesen Fördertitel, dass durch die zu Recht gestärkte Ausstattung geförderter Projekte im Sinne von Honoraruntergrenzen nun ein Missverhältnis zwischen etablierten Künstlern und dem nachrückenden Feld entsteht. Hier müsste in Zukunft nachjustiert werden, damit das Kunstfeld nicht nur im Status Quo verharrt, sondern auch durch den choreografischen Nachwuchs bereichert wird.
Eine zukunftsgerichtete Kulturpolitik steht hier in Verantwortung – nicht zuletzt um Berlins renommierter Ausbildungsstätte Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin gerecht zu werden.
Mit der nicht unerheblichen Erhöhung der Basisförderung wurde ein wichtiger Schritt unternommen, dieses essentielle und effiziente Instrument so auszustatten, dass künstlerische Arbeit angemessen honoriert wird. Allerdings lässt dieses Förderinstrument nach wie vor die Möglichkeit wirklich stetiger Arbeitskonstellationen vermissen – für den Tanz in Berlin besonders schmerzlich, da die Basisförderung im Tanz eines der wichtigsten Scharnierinstrumente ist, um den eklatanten Mangel an institutionellen Strukturen wenigstens ansatzweise auszugleichen. Begrüßenswert und neu ist, dass die Ausgestaltung der freien Förderinstrumente in einem partizipativen Verfahren zwischen Verwaltung, politisch Verantwortlichen und der Koalition der Freien Szene vorgenommen wurde. Speziell in punkto City Tax bleibt jedoch zu vermerken, dass der letztlich durch alle Seiten erfolgte Kompromiss im Grunde lediglich das schlimmste Übel verhindert
hat. Denn nach Beschneidung der Gesamteinnahmen aus der City Tax, wurde nun durch die erneut eingezogenen Deckelung auf 3.5 Mio.€ nur ein geringer Bruchteil dieser Einnahmen für die Kunst in Berlin freigegeben.
Einem „Regen in der Wüste“ kommt die Einführung von Arbeits- und Recherchestipendien für den Tanz und die darstellenden Künste gleich. Dass hier die bereits im minimalen Rahmen bestehenden Tanzstipendien nicht aufgestockt, sondern diese unter die Darstellende Kunst subsummiert wurden, ist von Seiten Verwaltung offensichtlich eine Entscheidung aus Kapazitätsgründen, hinterlässt aber eine bittere Note.
Dem Raummangel und zunehmenden Verdrängungsprozessen soll nun durch die im Parlament bestätigten Haushaltstitel für investive und konsumtive Maßnahmen ein Raumprogramm mit unterschiedlichen Förderlinien entgegenwirken. Der AK Räume muss sich bis zum Frühjahr 2016 erst konstituieren; die beständigen Meldungen aus der Tanzszene über verlorene Arbeitsräume erhöhen den Zeitdruck. Eine kluge Balance aus der Unterstützung bestehender Arbeitsraumanbieter und der Schaffung neuer Räume ist unumgänglich.
Das Kerndefizit im Tanz wurde auch über diesen Doppelhaushalts nicht ausreichend angegangen: Nach wie vor müssen Tanzkünstler fast zur Gänze ihre eigene Infrastruktur mitfinanzieren, von Produktionsstrukturen bis zu Arbeitsräumen und Präsentationsplattformen. Auch deshalb ist die Ablehnung der im Entwurf vorgesehenen Förderung der Radialstiftung doppelt herb: hiermit ist dem Tanz die Öffnung des RADIALSYSTEM V, einer gut ausgestatteten und großen Bühne, verwehrt worden. Obwohl die Fachverwaltung diesen Bedarf genau kennt und dahin gehend im Haushaltsentwurf reagiert hat, wurde dieser Posten bereits in der ersten Kulturausschusssitzung gestrichen. Somit wurde auf die Chance verzichtet, erste Akzente zu legen, um dem Tanz eine breitere Sichtbarkeit zu verleihen.
So lange man den Tanz in Berlin frei flottierend halten will und nur punktuell zu bedenken hat, scheint diese Haushaltsentscheidung ein Erfolg zu sein. Die Notwendigkeit, den Berliner Tanz institutionell und strukturell stärker zu verankern, bleibt jedoch auch nach diesem Haushalt bestehen. Dies weist auch darauf hin, dass dem Tanz seine Anerkennung als eigenständige Kunstform, mit einer sehr spezifischen Arbeits- und Diskurspraxis und eigenem Publikum trotz seiner herausragenden und zukunftsweisenden Rolle in der zeitgenössischen Kunst noch lange nicht zugemessen wird. Mit diesem Haushalt ist Bewegung in das Denken der Abgeordneten gekommen, viele der allzu lange geltenden Missstände wurden endlich angegangen. Als nächster Schritt sollte eine systematische Förderung des Tanzes angegangen werden. Die Stärkung von Einzelakteuren hier und strukturelle Verankerung da kann nicht auf Dauer gegeneinander ausgespielt werden. Es braucht eine ausbalancierte Förderung beider, denn das eine lebt ohne das andere nicht.

18.12.2015

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