Aktuelles aus Berlin

Corona | Tanzvermittlung

Positionspapier des Bundesverbandes „Aktion Tanz – Tanz in Bildung und Gesellschaft e. V.“ vom 12.05.2020

Tanzvermittlungsszene – nah und doch so fern

Bundesweit sind sie unterwegs und arbeiten mit Kindern, Jugendlichen, Senior*innen, behinderten Menschen oder divers zusammengesetzten inklusiven Gruppen. Sie gehen an die Orte, in denen die Kunst nicht per se zu Hause ist und arbeiten mit Menschen, denen häufig der Zugang zu Kunst erschwert ist. Viele Tanzkünstler*innen – seien es Choreograf*-innen, (ehemalige) Bühnentänzer*innen oder Tanzpädagog*innen – sind in diesen vielfältigen Settings tätig, um „ihre“ Kunst mit Menschen zu teilen. Hier bekommt jede*r eine Chance, in Gemeinschaft künstlerische Prozesse zu erfahren, sich als kreative Persönlichkeit zu erleben und sich körperlich auszudrücken. Die Künstler*innen gehen in die Schulen, Jugendfreizeiteinrichtungen, Seniorenheime, Kindertageseinrichtungen, in Bürgerzentren, Geflüchtetenunterkünfte oder in Kultureinrichtungen, um dort mit Menschen auf partizipativer Basis tänzerisch zu arbeiten.

Als bundesweit agierender Verband engagiert sich „Aktion Tanz“ für dieses Feld und somit für einen demokratischen und gerechten Zugang aller gesellschaftlichen Gruppen zur Tanzkunst. Zentral war und ist in unserer Arbeit die Sicherung von Qualität, da bislang in Deutschland für diese vermittelnde künstlerische und auch soziale Arbeit kaum ausgebildet wird. Wir arbeiten an den Schnittstellen von Institutionen, von Tanzkunst, Bildung, Therapie, reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen und setzen bei den Bedarfen der Menschen an.

Mit dem Einzug der Corona-Pandemie wurden all diese Angebote per Auflage für einen unabsehbaren Zeitraum gestoppt. Dies reißt tiefe Wunden bei den Teilnehmenden, den Künstler*innen und auch den beteiligten Institutionen, die diese Projekte und Angebote koordinieren und qualitativ stützen oder als Sozial- oder Bildungspartner ihren Schüler*innen, den behinderten Menschen, den Geflüchteten, sozial benachteiligten Menschen und anderen, Teilhabe an diesen Angeboten ermöglichen. Um den Kontakt mit den Teilnehmenden nicht abbrechen zu lassen, wurden bereits von vielen Künstler*innen und Einrichtungen digitale Angebote geschaffen. Deutlich ist jedoch, dass damit häufig diejenigen Menschen, die unter sozialer Ausgrenzung leiden, wie es bei ökonomisch Benachteiligten, geflüchteten, alten oder behinderten Menschen der Fall ist, nicht erreicht werden können. Klar ist auch, dass die Besonderheiten der Tanzkunst, die u. a. in seiner körperlichen Unmittelbarkeit, in der Berührung und im gemeinsamen Tun liegen, hier fehlen.

Nicht zuletzt deswegen werden derzeit Formate entwickelt, die im Zuge der „Lockerungsmaßnahmen“ greifen und zum Beispiel mit kleinen Gruppen unter Einhaltung der Distanzregeln funktionieren.

Der Lockdown trifft natürlich nicht nur die Inhalte, sondern auch die vielen soloselbstständigen Künstler*innen und Initiativen, die unter den Honorarausfällen leiden und in ihrer Existenz grundlegend bedroht sind.

Wir begrüßen die vielfältigen Soforthilfeprogramme der Bundesregierung, der Länder und Kommunen sehr. Und auch die Idee eines Kulturinfrastrukturfonds muss dringend weiterverfolgt und umgesetzt werden. Dass die Soforthilfen des Bundes nicht für Lebenshaltungskosten eingesetzt werden können, sondern ausschließlich zur Deckung laufender Betriebskosten dienen dürfen, geht an der Lebensrealität vieler soloselbstständiger Tanzkünstler*innen vorbei, bei denen diese Kosten nicht anfallen. Wir kritisie-ren diese Vorgabe scharf. Denn der Betrieb der Tanzkünstler*innen besteht in vielen Teilen im täglichen Üben, in der Recherche und der Vorbereitung von Projekten. Nur diese Arbeiten sichern im nächsten Schritt, dass die Künstler*innen Angebote zur weiteren Realisierung von Projekten erhalten. Ebenso muss der Kulturinfrastrukturfonds auch den Künstler*innen zugutekommen, die im Kontext der tanz-künstlerischen Vermittlungsarbeit an Schnittstellen jenseits großer Kultureinrichtungen arbeiten. Denn ihre künstlerische Arbeit an Schulen, Bürgerhäusern etc. ist relevant für die Verbreitung, den Erhalt und die Entwicklung von Kultur in ihrer Gesamtheit! Um sowohl die Entwicklung derzeit notwendiger digitaler und „kontaktarmer“ Formate im Vermittlungskontext zu ermöglichen, und um darüber hinaus die Existenz der Vermittlungsangebote im Zuge des Neustartes zu sichern, braucht es jetzt und in den kommenden Monaten ein Förderformat, das auch für diese kulturelle Bildungsarbeit greift.

Die Arbeit der Tanzvermittlungsszene steht noch vor weiteren Herausforderungen. Wir arbeiten stetig in Kooperationen und sind auf diese angewiesen. Wir benötigen nicht nur die Theater und Kultureinrich-tungen, sondern genauso die Schulen, Seniorenheime, Geflüchtetenunterkünfte, die Kitas, die Bürger-häuser und alle anderen sozialen und Bildungseinrichtungen, um unsere Arbeit wieder aufnehmen zu können. Unsere Stärke, an Schnittstellen zu arbeiten, um die Tanzkunst in die Gesellschaft zu tragen, kreative Potentiale bei Menschen zu entfachen und im demokratischen Sinne, Teilhabegerechtigkeit zu ermöglichen, hat uns in „normalen“ Zeiten bereits häufig das Leben erschwert. Die Förderung dieser Angebote war schon immer ein Flickenteppich und ist häufig nur ein Zusatz in den Budgets von Kultur, Bildung, Jugend und Soziales. Gleichzeitig wird die große Bedeutung dieser Angebote an keiner Stelle in Frage gestellt. In einem ersten großen Entwurf wird dies auf Bundesebene durch das Programm „Kultur macht stark“ des BMBFs deutlich, das sich mit außerschulischen Angeboten speziell an sogenannte bil-dungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche wendet. Auch hier ist unser Verband mit dem Förderprojekt „Chance Tanz“ bundesweit vertreten.

Unser Feld beinhaltet jedoch weit mehr und so braucht es Unterstützung von vielfältigen Förderstellen und die Bereitschaft aller Einrichtungen, baldmöglichst wieder die Türen zu öffnen. Dass dies in Formaten geschieht, die die notwendigen Hygiene- und Abstandsregeln einhalten müssen, ist selbstverständ-lich und auch im Tanz umsetzbar. Dafür werden aktuell vom Dachverband Tanz Deutschland in Zusammenarbeit mit Landesverbänden für Tanz und dem Deutschen Bundesverband für Tanzpädagogik bereits Handlungsempfehlungen ausgearbeitet.

Gerade in Krisenzeiten und den damit einhergehenden Verunsicherungen, schafft die kulturelle Bildung Räume, die jedem Einzelnen Erfahrungen ermöglichen, den Auswirkungen der Krise konstruktiv und selbstwirksam zu begegnen. In diesen Zeiten ist beispielsweise in allgemeinbildenden Schulen die Fokussierung auf „harte“ Kernfächer kontraproduktiv. Da für viele junge Menschen die Schule der einzige Ort ist, mit Kunst und Bewegung in Kontakt zu kommen, empfehlen wir dringend, diesen Angeboten schnellstmöglich wieder Raum zu geben!

Die Öffnung der Institutionen für kulturelle Angebote ist kein Luxus, der warten kann, sondern notwendig. Sie ist nicht nur wichtig, um unzählige Künstler*innen in ihrer Existenz zu retten und ihnen baldmöglichst wieder Honorareinnahmen zu sichern, sondern vor allem, um Menschen jetzt und in Zukunft wieder mit Tanz zu berühren und sich entfalten zu lassen.

Rückfragen richten Sie bitte an: mkesselnoSpam@aktiontanz.de; 030-68 00 99 31


Download
Hier  können Sie das Positionspapier im pdf-Format herunterladen.

Folgt uns