Aktuelles aus Berlin

Der Tanz im Berliner Kulturausschuss

Anhörung am 16. September 2024 im Abgeordnetenhaus | Rede des Tanzbüro Berlin

Im Kulturausschuss zum Themenschwerpunkt Tanz wurden Nele Hertling, Janina Benduski, Oleksandr Shpak sowie Antonia Gersch und Marie Henrion vom Tanzbüro Berlin als Anzuhörende eingeladen. Die Aufzeichnung des Ausschusses kann hier angeschaut werden und Interessierte können anchfolgend die Rede des Tanzbüro Berlin lesen:

"Wir bedanken uns herzlich für die Einladung und Schwerpunktsetzung, die Anhörung des Tanzes kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt. Als mitreißende Kunstform von und mit dem Körper trägt der Tanz wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, er hinterfragt Körpernormen und baut Barrieren ab, seine oft kollektiven, demokratischen Produktions- und Gestaltungsprozesse haben mehr denn je politische Relevanz. Förderpolitisch aber steht der Tanz gerade am Abgrund.

Als im letzten Jahr die Ergebnisse der Basis- und Konzeptförderung veröffentlicht wurden, waren 8 Compagnien bzw. Künstler*innen, die seit Jahrzehnten unsere lebendige Tanzszene prägen, nicht mehr dabei. Christina Ciupke, Eszter Salamon, Grupo Oito, July Weber, Kat Valastur, Ligia Lewis, Rubato, Wilhelm Groener. Eine Jury muss selbstverständlich frei sein in ihrer Entscheidung, aber die Folgen zeigen, wie dramatisch der Tanz in Berlin aufgestellt ist. 

Weder gibt es Strukturen des Tanzes, noch ein als kommunizierende Röhren funktionierendes Fördersystem, das die betroffenen Künstler*innen hätte auffangen können. Sie müssen alles, was an eigener Infrastruktur mühsam aufgebaut wurde - Probenstudios, Lager, Netzwerke der Zusammenarbeit - schmerzhaft wieder aufgeben. 

Als Einzelkünstler*innen konkurrieren sie in Berlin mit 2300 soloselbständigen Tanzschaffenden um ca. 5 Millionen €. Ihre Chancen auf Projektförderung stehen bei 9%, ihr durchschnittliches Jahreseinkommen bewegt sich an der Armutsgrenze. 

Über 90% der professionellen Berliner Tanzschaffenden sind Soloselbständige und über 90% der Infrastruktur für den Tanz ist privatwirtschaftlich organisiert. Dennoch: Der Tanz ist keine Sparte der Freien Szene. Es fehlt ihm schlicht an verlässlichen Strukturen und die Förderung der Freien Szene fängt diese Fehlstelle nicht auf. Der Tanz inklusive aller festen und freien Akteur*innen, inklusive aller festen und freien Strukturen, inklusive aller Beteiligungen an spartenübergreifenden Orten erhält in Berlin ca. 31 Millionen €. Die Berliner Sprechtheaterbühnen erhalten zusammen das Vierfache, die Opernstiftung das Fünffache. Das freie Sprech- und Musiktheater kommt noch dazu.

Welche Argumente haben Sie, die Kunstform mit der internationalsten Reichweite, mit den vielleicht innovativsten Ansätzen, dem diversesten Publikum und den höchsten Auslastungszahlen so stark ins Abseits zu stellen? 98% Auslastung im Staatsballett Berlin, 97% bei Tanz im August. Das Berliner Publikum will Tanz. Auszeichnungen allein in diesem Jahr: Joana Tischkau: Taboripreis, Sasha Waltz: Deutscher Tanzpreis. Die Hälfte der bei der Tanzplattform Deutschland ausgewählten Produktionen wurde von Ihrem Haus gefördert. Der Berliner Tanz ist exzellent. 

Um dieser exzellenten Sparte endlich klare Perspektiven zu geben, wurde 2018 mit dem Runden Tisch Tanz ein einmaliger Prozess mit über 300 Beteiligten aus Tanz, Politik und Verwaltung durchgeführt. Sein Ergebnis: Ein Stufenplan bis zum Jahr 2025, der eine erhebliche Verbesserung der Künstler*innenförderung, gestärkte dezentrale Tanzorte sowie ein Haus für Tanz und Choreografie vorsah. Berlin sollte zur TanzHauptstadt werden. 

2020 wurden sieben Maßnahmen aus dem Runden Tisch mit einem ersten kleinen Ansatz in das Fördertableau aufgenommen. Darunter das bundesweit Aufmerksamkeit erregende Stipendienprogramm Tanzpraxis, die Residenzförderung und der Distributionsfonds. Alle drei in einem externen Gutachten positiv evaluiert. 

2023 wurden wir von der Kulturverwaltung mit 25.000€ beauftragt, einen Workshop zur Auswertung und perspektivischen Ausrichtung des Runden Tisch zu veranstalten. Nach 8 Stunden gemeinsamer Diskussion und positiver Evaluation teilte die Kulturverwaltung den anwesenden Expert*innen mit, dass statt der für die nächsten Schritte benötigten 1,5 Millionen € eine Kürzung um 250.000€ vorgesehen sei. 

Diese Kürzung wurde im Zuge der Haushaltsverhandlungen Dank der CDU-Fraktion zwar zu einem großen Teil ausgeglichen, doch eine Entwicklung für den Tanz ist seit 2024 nicht mehr möglich.

Schlimmer noch. Die wackligen Füße, auf denen der Tanz strukturell seit jeher steht, sind in Berlin kurz davor zu brechen: In unseren persönlichen Beratungen im Tanzbüro werden wir nahezu täglich konfrontiert mit Zukunftsängsten und der Überlegung, Berlin zu verlassen oder die Tätigkeit als professionelle*r Tanzkünstler*in ganz aufzugeben. Der Verlust für Berlin, das sich als internationale, weltoffene Kunst- und Kulturhauptstadt rühmt, wäre immens, der Verlust für die Gesellschaft enorm. 

Lieber Senator Chialo: Am 13. September hat die Berliner Choreografin Jule Flierl auf dem Aktionstag des Dachverband Tanz Deutschland folgende Worte an Sie gerichtet: 

Lieber Joe Chialo, der Tanz steht für die Vielfalt die Sie so oft beschwören, nicht nur symbolisch, sondern ganz angewandt und alltäglich. Sie wollen bestimmt nicht in die Geschichte eingehen, als derjenige der diese organisch gewachsene Tanzszene ausgetrocknet hat.

Die schwierige Haushaltslage ist uns vollkommen bewusst. Wir appellieren dennoch an Sie, diese reiche, weltweit bewunderte Tanzlandschaft von den drohenden Kürzungen zu verschonen! Halten Sie gemeinsam mit uns an dem Weg zur TanzHauptstadt fest!

Vielen Dank!"

Folgt uns